Geschmacksforschung

Das süße Leben - aber ohne Zucker

18. Juni 2020 von Barbara Wohlsein
Im Christian Doppler Labor für Geschmacksforschung untersucht die Chemikerin Barbara Lieder die geschmacklichen Profile von Süßstoffen. Die Ergebnisse können dabei helfen, die Wirkung von Süßungsmitteln auf den Stoffwechsel zu verstehen und Zuckeralternativen zu finden, die uns (auch) gut schmecken.
Verschiedene Süßungsmittel und die damit verbundenen Geschmacksrezeptoren werden im Christian Doppler Labor mit Zellkulturstudien und Humanstudien erforscht. © Institut für Physiologische Chemie

Der Mensch liebt den süßen Geschmack. Diese Präferenz ist evolutionsbedingt: Süße zeigte unseren Vorfahren eine gute Energiequelle an. Da bereits Muttermilch süß schmeckt, werden auch unsere Geschmacksnerven früh daran gewöhnt. Mit dem übermäßigen Konsum von gezuckerten Speisen und Getränken, die im komfortablen Alltag des 21. Jahrhunderts quasi ständig verfügbar sind, kommen jedoch schwere gesundheitliche Konsequenzen: Übergewicht und Diabetes sind weltweit auf dem Vormarsch.

Süßungsmittel können eine Alternative anbieten und den Zuckerkonsum reduzieren. Jedoch unterscheidet sich ihre Süße von der klassischen Zuckersüße: Manche bleiben länger im Mund, andere haben einen bitteren oder metallischen Nebengeschmack. Außerdem wirken sie anders auf den menschlichen Stoffwechsel als Zucker. Mit genau diesen Themen beschäftigt sich das Christian Doppler Labor für Geschmacksforschung von Barbara Lieder an der Fakultät für Chemie der Universität Wien. Seit 2018 werden hier alternative Süßungsmittel untersucht.

Eine Hand hält einen kleinen Becher mit der Flüssigkeit, im Hintergrund stehen einige weitere Becher mit unterschiedlichen Proben.
In den ersten zwei Jahren erforschten Barbara Lieder und ihr Team im Christian Doppler Labor für Geschmacksforschung an der Fakultät für Chemie unter anderem die geschmacklichen Profile von Süßungsmitteln in Sensorikexperimenten. © Institut für Physiologische Chemie

Wie wirken Süßungsmittel?

Die Forschung im CD-Labor hat zwei Ebenen, wie Leiterin Barbara Lieder erklärt: "Wissenschaftlich geht es darum, herauszufinden, wie Süßungsmittel mit den Rezeptoren im Körper reagieren und wie diese Signalwege funktionieren. Im größeren gesellschaftlichen Kontext könnten die Ergebnisse dabei helfen, Süßstoffe zu finden, die den Menschen schmecken und von denen man weiß, wie sie im Körper wirken."

Zum Thema Süßungsmittel gibt es zwar bereits viele Studien, aber noch wenige konkrete Ergebnisse – vor allem zur Wirkung einzelner Süßstoffe im Körper. Trotzdem findet man im Internet fast ausschließlich negative Berichte zum Thema Süßstoffe. Ob und wie ein Süßungsmittel beispielsweise eine Insulinausschüttung bewirken kann, ist noch nicht abschließend geklärt. Lieder: "Neueste Studien haben aber gezeigt, dass es zu einer verringerten Insulinsensitivität kommt, wenn Sucralose und Kohlenhydrate gemeinsam konsumiert werden."

Den süßen Geschmack nehmen wir über Süßrezeptoren wahr – derzeit ist ein Typ dieser Rezeptoren bekannt. Diese liegen hauptsächlich auf der Zunge, seit einigen Jahren weiß man aber, dass Süßrezeptoren auch im Verdauungstrakt und auf Fettzellen vorkommen.

In Christian Doppler Laboren wird anwendungsorientierte Grundlagenforschung auf hohem Niveau betrieben. Hervorragende Wissenschafter*innen kooperieren dazu mit innovativen Unternehmen. Sie werden von der öffentlichen Hand und den beteiligten Unternehmen gemeinsam finanziert. Wichtigster öffentlicher Fördergeber ist das Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW). An der Universität Wien gibt es derzeit sechs CD-Labore.

Was schmecken Proband*innen?

In den ersten zwei Jahren des Forschungsprojekts wurden unter anderem die geschmacklichen Profile von Süßungsmitteln in Sensorikexperimenten untersucht. Dabei wurden rund 20 Proband*innen gebeten, verschiedene Flüssigkeiten zu kosten und das Erlebnis zu beschreiben: Wie süß ist das Getränk? Wie entwickelt sich die Süße, wie lange bleibt sie im Mund? Gibt es abseits der Süße unangenehme Geschmackswahrnehmungen? Getestet wurden im ersten Schritt 35 bekannte und zugelassene Süßungsmittel – und auch klassischer Zucker war zu Vergleichszwecken dabei. Nach der Erstellung der Geschmacksprofile geht die Forschung im Christian Doppler Labor mit molekularbiologischen und computergestützten Methoden im Rahmen von Zellkulturstudien und Humanstudien weiter. 

Was nicht schmeckt, wird nicht gekauft

Einer der neuesten Süßstoffe auf dem Markt ist Stevia. Aufgrund des natürlichen Ursprungs – die Steviapflanze stammt aus Südamerika und wird dort seit jeher als Süßungsmittel verwendet – hatte Stevia bei der Einführung ein besonders gutes Image. Nach der EU-Zulassung 2012 fanden sich eine Reihe von Stevia-Produkten in den Supermärkten: Joghurts, Getränke und sogar eine eigene Coca-Cola-Variante. Mittlerweile sind fast alle wieder aus den Regalen verschwunden. Warum? Barbara Lieder: "Die Konsument*innen scheinen vom Geschmack und der eingeschränkten Kalorienersparnis – der Zucker kann nämlich nur teilweise mit Stevia ersetzt werden – nicht überzeugt zu sein. Auch diesen Aspekt muss man bedenken."

Wie und warum ein Süßrezeptor unterschiedliche Süßgeschmäcker erzeugen kann, zählt für Barbara Lieder zu den spannendsten Aspekten ihrer Forschung. Und auch wenn sich die Öffentlichkeit vor allem für die anwendungsbasierte Forschung interessiert, so ist die Grundlagenforschung, wie sie im CD-Labor passiert, für den wissenschaftlichen Fortschritt unerlässlich, wie Lieder betont: "Ohne die theoretischen Erkenntnisse können wir am Ende keine praktischen Ergebnisse präsentieren." (bw)

Barbara Lieder ist Leiterin des Christian Doppler Labors. Sie forscht seit 2015 am Institut für Physiologische Chemie der Fakultät für Chemie an der Universität Wien.

Schwerpunkte ihrer Forschung sind die  Beteiligung von oralen und extraoralen Chemorezeptoren (insbesondere Süßgeschmacksrezeptoren und TRP-Kanäle) an zellulären Stoffwechselfunktionen und die Auswirkungen von Lebensmittelinhaltsstoffen auf die Entwicklung von Chemorezeptoren.