Politische Psychologie

Die Persönlichkeit von Donald Trumps "Personenkult"

22. Oktober 2024 Gastbeitrag von Lars J.K. Moen
Trotz aller Skandale könnten Donald Trumps loyalste Anhänger*innen ihm noch eine weitere Amtszeit als US-Präsident bescheren. Warum halten sie Trump bedingungslos die Treue? Philosoph Lars Moen von der Universität Wien geht den psychologischen Ursachen auf den Grund.

Schon vielfach wurde versucht, die ungebrochene Anziehungskraft von Donald Trump auf seine treuen Unterstützer*innen zu erklären. Was unterscheidet Trump von anderen Populist*innen? Gibt es einen "Personenkult" um den ehemaligen US-Präsidenten? Die Massenmedien unterstellen den treusten Trump-Fans häufig, Teil eines solchen Personenkults zu sein. Selbst Vertreter*innen von Trumps eigener Partei haben diesen Begriff bereits verwendet, um seine Anhängerschaft zu beschreiben. Die Republikanerin Liz Cheney stellte beispielsweise fest, dass ihre Partei "Donald Trump und den Kult um seine Person mit offenen Armen begrüßt" habe.

Gemeinsam mit Professor Ben Goldsmith von der Australian National University habe ich kürzlich einen Artikel in der Fachzeitschrift Political Psychology veröffentlicht. Darin stellen wir fest, dass Trumps glühendste Anhänger*innen spezifische Persönlichkeitsmerkmale gemeinsam haben, die sie von anderen US-Bürger*innen unterscheiden, sowie auch von weniger loyalen Trump-Wähler*innen. Diese Persönlichkeitsmerkmale werden häufig mit Anhängern eines Kults in Verbindung gebracht. Wir gehen davon aus, dass diese fanatischen Anhänger*innen Trump unterstützen, um ein grundlegendes psychologisches Bedürfnis nach einem starken Anführer zu befriedigen. Das Wissen über diese Mentalität kann unser Verständnis von Trumps starker und beständiger politischer Anziehungskraft verbessern.

Was ist ein Personenkult?

Ein Personenkult ist ein soziales Phänomen, bei dem Menschen einer starken Führungspersönlichkeit, die sie als unfehlbar ansehen, bedingungslose Loyalität erweisen. Ein Personenkult hat sogar Parallelen zu einer Religion, da die Person, auf die sich der Kult richtet, als Retter*in angesehen wird, der*die die einzigartige Fähigkeit besitzt, die Gesellschaft vor inneren oder äußeren Bedrohungen zu schützen. Gemäß der Definition der American Psychological Association zeigen die Mitglieder eines Kults eine "übertriebene Verehrung einer charismatischen politischen, religiösen oder sonstigen Führungsperson, oft geschürt von autoritären Persönlichkeiten oder Regimen als Mittel zur Machterhaltung." Das Phänomen findet sich am häufigsten in Gesellschaften, in denen eine starke Führungsperson an der Spitze eines Regimes steht, das die Verbreitung öffentlicher Informationen streng kontrolliert.

Mein Kollege Goldsmith und ich haben untersucht, weshalb man Trumps treuste Anhänger*innen durchaus als Angehörige eines Personenkults beschreiben kann. Im Speziellen beleuchteten wir auf Basis von zwei landesweiten Umfragen, ob dieser Teil der US-Bevölkerung Persönlichkeitsmerkmale aufweist, die charakteristisch für Mitglieder eines Kults sind. Im Jahr 2021 führten wir eine Umfrage unter 1.083 erwachsenen US-Amerikaner*innen durch, mit dem Ziel, Trump-Loyalist*innen und ihre grundlegenden Persönlichkeitsmerkmale zu identifizieren. Die daraus erhobenen Daten verglichen wir mit den Ergebnissen der umfassenden American National Election Studies von 2016, als Trump die Präsidentschaftswahl gewann. Im Rahmen dieser Studie wurden 4.270 Wähler*innen befragt.

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Loyale Trump-Anhänger*innen sind extrem gewissenhaft...

Anhand von drei Aspekten machten wir Personen als "Hardcore"-Trump-Anhänger*innen aus: (1) Der Glaube, dass Trump der rechtmäßige Sieger der Präsidentschaftswahl 2020 ist; (2) der Glaube an seine Führungsqualitäten und (3) der Glaube, dass er einen überlegenen Status hat, den ihm die Massenmedien häufig nicht zugestehen. Rund 10 Prozent aller erwachsenen US-Amerikaner*innen und rund ein Drittel der republikanischen Trump-Wähler*innen in unserer Stichprobe sind demnach als Trump-Loyalist*innen einzustufen.

Um die Persönlichkeit der Befragten zu messen, griffen wir auf die Persönlichkeitsdimensionen des Fünf-Faktoren-Modells zurück, die standardmäßig in der Persönlichkeitspsychologie zum Einsatz kommen. Sie geben einen Hinweis auf den Grad an:

  1. sozialer Verträglichkeit;
  2. Gewissenhaftigkeit;
  3. Extraversion;
  4. Neurotizismus (Tendenz zu negativen Emotionen), und
  5. Offenheit (oder Aufgeschlossenheit).
Graphik, die das Fünffaktorenmodell zeigt
Die fünf Persönlichkeitsdimensionen (im Englischen auch The Big Five genannt oder, nach den entsprechenden Anfangsbuchstaben, unter der Abkürzung OCEAN bekannt) gelten als universelles Standardmodell in der Persönlichkeitsforschung. © Wikimedia Commons

Diese fünf Dimensionen sind so bedeutend (‚big five‘), weil jede eine Reihe an spezifischen Persönlichkeitsmerkmalen umfasst. In unserer Untersuchung sind wir auch auf untergeordnete und feinere Facetten der fünf übergeordneten Dimensionen eingegangen. Wir untersuchten, ob Trump-Anhänger*innen dieselben Persönlichkeitsmerkmale haben und inwieweit es sich dabei um Merkmale handelt, die man bei Anhänger*innen eines Kults erwarten würde. Auf diese Weise konnten wir feststellen, ob die Loyalität zu Trump durch psychologische Bedürfnisse erklärt werden kann, die in der Persönlichkeit seiner Anhänger*innen begründet sind – Bedürfnisse, die wir bei Anhänger*innen eines Personenkults erwarten.

Besonders bemerkenswert ist unsere Erkenntnis, dass die loyalen Unterstützer*innen Trumps einen hohen Grad an Gewissenhaftigkeit aufweisen. Wir stellten einen engen Zusammenhang zwischen Gewissenhaftigkeit und allen drei abgefragten kultähnlichen Aspekten der Trump-Anhängerschaft fest. Konkret bedeutet das, dass wir hohe Gewissenhaftigkeit unter jenen Trump-Anhänger*innen feststellten, die glauben, dass die Wahl 2020 "gestohlen" wurde, dass Trump herausragende Führungsqualitäten besitzt und dass er fast allen anderen US-Präsidenten überlegen ist.

...und besonders selbstdiszipliniert

Gewissenhaften Personen wird zugeschrieben, überlegt und genau, zuverlässig, ordnungsliebend und selbstdiszipliniert zu sein. Das sind die sogenannten "Facetten" der Gewissenhaftigkeit. Es ist jedoch nicht die Ordnungsliebe, die die glühendsten Trump-Fans verbindet. Bei näherer Betrachtung unserer Daten zeigte sich, dass Trumpist*innen in der Dimension der Gewissenhaftigkeit vor allem bei der Facette Selbstdisziplin auffällig hohe Werte erzielten, und nicht bei der Ordnungsliebe. Selbstdisziplin bedeutet, konzentriert, zuverlässig und ausdauernd zu sein. Hier sehen wir einen Unterschied zwischen Trump-Loyalist*innen und Sozialkonservativen, da Konservatismus im Allgemeinen mit beiden Facetten der Gewissenhaftigkeit assoziiert wird.

Ein hoher Grad an Selbstdisziplin ist auch bei solchen Trump-Loyalist*innen zu beobachten, die sich nicht als konservativ oder republikanisch identifizieren. Dies zeigt, dass die treuesten Unterstützer*innen Persönlichkeitsmerkmale aufweisen, die sich von der breiteren Gruppe der Trump-Wähler*innen unterscheiden.

Wenn wir uns den harten Kern der Trump-Anhängerschaft als Personenkult vorstellen, ist es nicht gerade überraschend, dass sie besonders selbstdiszipliniert sind. Anhänger*innen eines Kults erweisen ihrem Anführer kontinuierlich und diszipliniert Loyalität. Während Konservative soziale Stabilität und Ordnung schätzen, befürworten die Anhänger*innen des Trump-Kults durchaus destabilisierende Handlungen wie den Sturm auf das Kapitol infolge der Wahlniederlage ihres Anführers.

Trumpist*innen sind weniger offen für neue Erfahrungen

Wie man auch von Anhängern eines Kults erwarten würde, zeigen Trumps Hardcore-Fans einen besonders geringen Grad an Offenheit. Die Persönlichkeitsdimension der Offenheit bezeichnet Personen, die wissbegierig, intellektuell und an vielen Dingen interessiert sind. Diese Merkmale werden nicht mit den Anhängern eines Personenkults in Verbindung gebracht, die ihrem Anführer unkritische Loyalität erweisen und keinerlei Gedanken zulassen, die Zweifel an dessen Fähigkeiten aufkommen lassen könnten.

Wir haben jedoch auch festgestellt, dass dieser niedrige Grad an Offenheit die Unterstützer*innen Trumps nicht von anderen Trump-Wähler*innen unterscheidet, z. B. von Konservativen und Republikanern, die keine unbedingte Loyalität zu Trump bekunden, aber dennoch für ihn stimmen.

Ist eine Gruppe mehr als eine Ansammlung von Einzelpersonen?

Was bestimmt das Verhalten einer Gruppe, etwa eines Unternehmens oder einer Sportmannschaft? Dies wirft wichtige moralische Fragen darüber auf, wer für die Handlungen einer Gruppe verantwortlich ist. Im Jahr 2023 erhielt Lars Moen ein ESPRIT-Stipendium des FWF, um den "Ontologischen und normativen Status von Gruppen" zu untersuchen. In diesem Projekt wird untersucht, ob Modelle zur Erklärung sozialer Phänomene Gruppen als nicht reduzierbare Akteure betrachten sollten oder ob sie sich ausschließlich auf Individuen und deren Motivationen für die Erzielung kollektiver Ergebnisse konzentrieren sollten.

Psychologische Bedürfnisse als Motor des Personenkults?

Unsere Untersuchung der Persönlichkeit des "Personenkults" um Trump kann wichtige Erkenntnisse für die Analyse der US-Politik liefern. Die unbedingte Unterstützung, die viele Amerikaner*innen Trump entgegenbringen, zeigt, dass politisches Verhalten nicht unbedingt von politischen Präferenzen und Ideologien bestimmt ist.

Eine treibende Kraft könnten stattdessen die psychologischen Bedürfnisse individueller Personen sein, die sich aufgrund ihrer Persönlichkeit nach einer starken Führung sehnen. Sie setzen auf eine Person, der sie zutrauen, Probleme effektiv zu lösen und ihr Land vor internen und externen Bedrohungen zu retten. Eine Führungsperson wie Trump, der verkündet, dass er alleine "es richten kann", gibt ihnen Sicherheit. Eine solche Beziehung zwischen Anführer*in und Gefolgschaft ist bezeichnend für einen Personenkult. Wähler*innen, die in hohem Maße gewissenhaft sind, insbesondere in Bezug auf Selbstdisziplin, zeigen sich am ehesten empfänglich für starke Führungspersönlichkeiten, die zu unerschütterlicher Loyalität und bedingungsloser Gefolgschaft aufrufen.

Wir folgern daraus, dass Trump einen Personenkult anführt, der seine anhaltende politische Anziehungskraft auf seine Anhänger*innen erklären könnte. Dass ein Personenkult in demokratischen politischen Systemen bestehen kann, sollte unter Politikwissenschafter*innen, die sich mit solchen Systemen beschäftigen, thematisiert werden. Im Versuch, die US-Politik seit 2016 zu verstehen, muss dieses Phänomen berücksichtigt werden. Denn auch anderswo könnten Personenkulte Demokratien in eine autoritärere Richtung drängen.

© Lars Moen
© Lars Moen
Lars J.K. Moen forscht als Postdoc am Institut für Philosophie an der Universität Wien. Nach seinem Doktorat an der Australian National University in Canberra hat sich Lars Moen auf politische Philosophie, politische Psychologie und die Philosophie der Sozialwissenschaften spezialisiert.

2023 erhielt Moen ein Stipendium des FWF für seine Forschungen zum ontologischen und normativen Status von Gruppen. Sein erstes Buch, The Republican Dilemma, wurde 2024 von Oxford University Press verlegt.