Die Welt hat gewählt – und jetzt?
Rudolphina: Was war das folgenreichste Ergebnis des Superwahljahrs?
Alfred Gerstl: 2024 war nicht nur in Österreich ein Superwahljahr. Ebenfalls gewählt wurde in zahlreichen anderen Staaten, darunter den drei größten Demokratien der Welt, nämlich Indien, den Vereinigten Staaten und Indonesien. Die meisten Wahlen hatten lediglich nationale und regionale Auswirkungen ‒ auch jene zum Europäischen Parlament, bei der sich die Parteien der Mitte trotz Erfolgen rechtspopulistischer Gruppierungen weitgehend behaupten konnten.
Weitreichende geopolitische und geoökonomische Folgen wird jedoch die Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus im Jänner 2025 haben. Dies gilt speziell für Ostasien. Es ist davon auszugehen, dass Trumps Politik die strategische Rivalität mit China noch weiter verschärfen wird. Erwartbar ist zudem, dass er, wie bereits in seiner ersten Amtszeit, Taiwan wirtschaftlich und militärisch stark unterstützen wird. 2024 hatten die taiwanesischen Wählerinnen und Wähler erneut mehrheitlich einen China-kritischen Kandidaten zum Präsidenten gewählt. Die Spannungen zwischen dem autoritären China und dem demokratischen Taiwan drohen die regionale Sicherheitslage in Ostasien noch weiter zu verschärfen.
Die Spannungen zwischen China und Taiwan drohen die regionale Sicherheitslage in Ostasien noch weiter zu verschärfen.Alfred Gerstl
Fabio Wolkenstein: Trumps Sieg kam nicht überraschend. Denn im Superwahljahr 2024 gab es weltweit einen klaren Trend: Fast ausnahmslos verloren Regierungsparteien Wahlen. Vieles spricht dafür, dass dies wirtschaftliche Gründe hat. Die Inflation hat in den vergangenen Jahren viele Länder hart getroffen. Und nur wenige Regierungen haben sie in den Griff bekommen. Das rächt sich. Die Verschärfung ökonomischer Konfliktlagen erklärt auch, warum die "soziale Frage" in den USA erfolgreich von den Republikanern besetzt wurde. "America First" wurde zum Slogan eines arbeitnehmerfreundlichen Protektionismus.
Bemerkenswert ist auch die enge Zusammenarbeit zwischen Trump und Elon Musk. Wenn der mächtigste und der reichste Mann der Welt gemeinsame Sache machen, haben wir eine hochproblematische Machtkonzentration. Das Erpressungspotenzial dieser neuen Allianz wird künftig nicht zu unterschätzen sein, auch in sicherheitspolitischen Belangen. Trumps künftiger Vizepräsident J.D. Vance drohte bereits mit einem NATO-Austritt der USA, sollte die EU nicht aufhören, Elon Musks Plattform X inhaltlich regulieren zu wollen.
Aktuell leitet er an der Palacký-Universität in Olmütz (Tschechien) das Horizon Europe-Projekt zur Rolle der EU in der volatilen Indopazifik-Region.
2022 erschien sein Buch die "Die Dunkle Seite der Christdemokratie".
Rudolphina: Was können wir für 2025 erwarten?
Alfred Gerstl: Nimmt man Trumps erste Amtszeit zum Maßstab, so war ihm die globale Förderung von Demokratie und Menschenrechten nie ein Anliegen. Die Europäische Union könnte sich bei der Verfolgung ihrer wertebasierten Außenpolitik international weitgehend auf sich allein gestellt sehen.
Auf globaler Ebene ist jedenfalls eine noch stärkere Konfrontation zwischen den USA und China zu erwarten, die es kleineren Staaten erschweren wird, sich in diesem Konflikt neutral zu verhalten. Innenpolitisch dürften angesichts der sich verschlechternden Wirtschaftslage und der multiplen weltweiten Krisen gesellschaftliche Spannungen zunehmen, was zu politischer Instabilität führen kann. Die Staatsform der Demokratie wird 2025 vor einer massiven Bewährungsprobe stehen.
Wenn der mächtigste und der reichste Mann der Welt gemeinsame Sache machen, haben wir eine hochproblematische Machtkonzentration.Fabio Wolkenstein
Fabio Wolkenstein: Vor allem aufgrund der hohen sicherheitspolitischen Abhängigkeit der EU von den USA könnte Trumps Präsidentschaft weitreichende Folgen für Europa haben. Trump hat mehrfach angekündigt, die amerikanische Unterstützung für die europäische Sicherheitsarchitektur zurückzufahren. Dies würde die EU geopolitisch weiter schwächen und könnte sogar zu einem Sieg Russlands im Ukraine-Krieg führen.
Eine offene Frage ist, ob der Wahlsieg Trumps den Trend der "Autokratisierung" formal demokratischer Länder weiter beschleunigen wird. Schließlich ist die Republikanische Partei Teil einer transnationalen konservativen Bewegung, die sich bewusst von der liberalen Demokratie abgewandt hat. Einen Gleichgesinnten im Weißen Haus zu haben, wird antiliberale Politiker wie Ungarns Premier Viktor Orbán sicherlich stärken. Für die Verfechter der liberalen Demokratie gilt es nicht nur, das bedrohte liberale Institutionengefüge zu erhalten, sondern auch eine attraktive liberale Gegenvision des demokratischen Zusammenlebens zu entwickeln.