So können wir die Klimakrise noch abschwächen
99,9 Prozent der Wissenschafter*innen weltweit sind sich sicher: Die Klimakrise ist menschengemacht und sie könnte unseren Planeten unbewohnbar machen. Kipppunkte wie das Schmelzen der arktischen Gletscher, das Erliegen des Golfstroms, das Auftauen des Permafrostbodens oder die Zerstörung der Regenwälder sind bereits dabei, ausgelöst zu werden. Der IPCC-Klimabericht zeigt, dass umfassende Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz unmittelbar nötig sind.
Klimakrise: Technologie ist kein Patentrezept
Am 4. April 2022 veröffentlichte der Weltklimarat IPCC den dritten Teil seines aktuellen Sachstandberichts zur Situation des Weltklimas und den bisherigen und künftigen Entwicklungen in Sachen Klimaschutz (im September 2022 folgt der vierte Teil, nämlich der Synthese-Bericht). Darin wird erneut bekräftigt, dass zur Eindämmung der Klimakrise ein schneller Ausstieg aus allen fossilen Brennstoffen, die Elektrifizierung des Energiesystems, höhere Energieeffizienz sowie die Förderung alternativer Kraftstoffe wie Wasserstoff unerlässlich sind.
Auch die Senkung der Energie- und Ressourcennachfrage, insbesondere im Globalen Norden, Veränderungen der Lebensmittelproduktion und der Ernährungsgewohnheiten, der Schutz und die Wiederherstellung natürlicher Ökosysteme im Einklang mit den Rechten lokaler Gemeinschaften und indigener Völker werden als notwendige Maßnahmen genannt.
Diese Veränderungen können nicht schrittweise erfolgen, sondern müssen unverzüglich umgesetzt werden, um das 1,5-Grad Limit noch irgendwie einzuhalten. Aber welche Pfade die Politik einschlägt, bleibt offen.
Der politisch umstrittene Einsatz von Technologien zur Abscheidung und Speicherung von CO2 aus der Atmosphäre wurden in der technischen Analyse der Arbeitsgruppe III, die diesen Teilbericht erarbeitete, als ungeeignetes Mittel für die Reduktion von Emissionen oder zur Begrenzung des Temperaturanstiegs bewertet. Bislang sind sie im großen Maßstab unerprobt, bergen noch unbekannte Risiken und zudem ist unklar, ob sie funktionieren.
Was sind IPCC und der Weltklimabericht?
Seit 1990 veröffentlichte der Intergovernmental Panel on Climate Change IPCC verschiedene Sonderberichte zu spezifischen Fragen des Klimawandels; so etwa den Sonderbericht von 2018, der die Umsetzbarkeit des Ziels diskutiert, den durchschnittlichen Temperaturanstieg zwischen dem Beginn der Industrialisierung um 1850 und dem Ende des 21. Jahrhunderts bei 1,5 Grad zu halten sowie zu den Folgen wenn das (nicht) geschieht.
Am prominentesten sind die alle sechs bis sieben Jahren veröffentlichten Sachstandsberichte (Assessment Reports) – mittlerweile der sechste (AR6) –, die jeweils aus vier Teilen bestehen. Der erste Teil beschränkt sich auf die Darstellung des naturwissenschaftlichen Kenntnisstands über den Klimawandel. Der zweite Teil, der im Februar 2022 präsentiert wurde, beinhaltet mögliche „Folgen, Anpassung und Verwundbarkeiten“ des bzw. an den Klimawandel.
Am 20. März 2023 erscheint der Synthese-Bericht. Er fasst die Ergebnisse der sechs Einzelberichten zusammen, die in den vergangenen Jahren veröffentlicht
wurden. Der Synthese-Bericht soll die Kernbotschaften noch einmal herausarbeiten. Er ist eine der Grundlagen für die nächsten Klimaverhandlungen.
Der IPCC betreibt keine Forschungen, sondern fasst das bestehende Wissen zusammen. So wurden etwa für den zweiten Teilbericht etwa 34.000 Studien ausgewertet.
Die öffentlich stark wahrgenommene Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger*innen der Teilberichte, denen alle 195 Mitgliedsstaaten des IPCC zustimmen müssen, wird in langen Sitzungen Wort für Wort verhandelt.
Klimakrise für Politik verharmlost dargestellt
In der Zusammenfassung des Berichts für politische Entscheidungsträger*innen wurden diese wissenschaftlichen Kernaussagen heruntergespielt. Der sofortige Ausstieg aus allen fossilen Brennstoffen wurde mit dem Verweis auf technische Lösungen verwässert.
Vage Formulierungen wie „Netto-Null-Emissionen“ verschleiern dringend notwendige politische Maßnahmen. Das bestätigt immer wieder geäußerte Kritiken am IPCC-Prozess, dass die Einbindung der Regierungen in die Erstellung der Zusammenfassungen, die öffentlich besonders stark wahrgenommen werden, nicht unproblematisch ist.
Die Reihenfolge der Veröffentlichung – zuerst die naturwissenschaftlichen Grundlagen, dann der wissenschaftliche Kenntnisstand zu den notwendigen Maßnahmen – wirft die Frage nach dem Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik, zwischen Fakten und Werten auf. Es verdeutlicht, dass der IPCC eine Bewertung des Klimawandels in den Vordergrund rückt, in der z.B. Modelle oder die Genauigkeit von klimatischen Messungen und Zuordnungen betrachtet werden. Der systematischen Bewertung möglicher politischer Maßnahmen wird dagegen nicht die gleiche Priorität eingeräumt.
Zugleich aber sind die integrierten Bewertungsmodelle (Integrated Assessment Models) bei der Entwicklung der politischen Szenarien des IPCC von zentraler Bedeutung. In diesen Bewertungsmodellen werden zentrale Aspekte von Energie, Wirtschaft, Landnutzung, Wasser und Klima zu einem einheitlichen Modellierungsframework kombiniert. Die Art und Weise, wie die Ergebnisse kommuniziert werden, legt nahe, dass die Annahmen, die diesen Bewertungsmodellen zugrunde liegen, wertneutral seien. Aber das sind sie nicht. Denn während die physikalischen Prinzipien unveränderlich sind, wird das sozioökonomische Verhalten aus bestimmten Wirtschaftstheorien und Erkenntnissen abgeleitet.
Alarmierender IPCC-Bericht: Politik und Wirtschaft bremsen den Klimaschutz
Die Hindernisse für die Entwicklung und Umsetzung einer entsprechenden Klimapolitik sind politischer Natur und nicht das Ergebnis mangelnder Erkenntnisse der Klimaforschung. Auch mangelt es nicht an einem öffentlichen Verständnis für die Ergebnisse der Klimawissenschaft. Bislang zeigt sich, dass mehr wissenschaftliche Erkenntnisse über die Ursachen der Klimakrise und der Klimavorhersage eben nicht zum entsprechenden politischen Handeln führen.
Die Dringlichkeit der Klimakrise verdeutlicht, dass es Herausforderungen – in den Bereichen Energie, Landnutzung und Anpassung – zu meistern gilt, die eine politische Antwort erfordern. Und hieran ist der IPCC, so wichtig seine Arbeit ist, wegen der Struktur seiner Berichte mitbeteiligt.
Es bleibt zu kritisieren, dass der IPCC-Bericht insbesondere globale Durchschnittstemperaturen kommuniziert, doch die sind regional sehr unterschiedlich. Österreich wird wahrscheinlich deutlich höhere Temperaturanstiege verzeichnen. Mancherorts wurde das 1,5 Grad-Limit bereits überschritten. In Bezug auf die Auswirkungen der Klimakrise sind vor allem Regionen im Globalen Süden stärker betroffen als jene im Globalen Norden.
Klimakrise: Österreich muss raus aus fossilen Brennstoffen
Die Debatten um Sanktionen gegen Russland angesichts des Angriffskrieges auf die Ukraine zeigt: Das österreichische Energiesystem ist hochgradig abhängig vom Import fossiler Energieträger aus Russland. Bislang wurden die dringend notwendigen strukturellen Veränderungen nicht auf dem Weg gebracht, d.h. eine Abkehr vom fossilen hin zu einem auf Erneuerbaren Energien basierenden Energiesystem.
Die Produktion und Subventionen für fossile Energie werden nach wie vor staatlich gefördert, auch wenn die klimapolitischen Bekundungen anders lauten. Und auch im Verkehrsbereich wurde und wird das fossile System von Automobilität und Flugverkehr weiterhin gefördert, auch wenn es wichtige Initiativen gibt, den öffentlichen Verkehr auszubauen.
Abschwächung der Klimakrise ohne Energiereduktion nicht möglich
Der aktuelle Teilbericht unterstreicht, dass in den letzten zehn Jahren in vielen Ländern die Klimapolitik (climate action) intensiviert wurde. An einigen Stellen wird auch betont, dass es um eine Reduktion des Energieverbrauchs geht – wenn etwa kompakte und Städte der kürzeren Wege als Leitbild genannt werden.
Und dennoch drücken sich die Botschaften des IPCC oft darum, welche Konflikte mit den allerorten geforderten Veränderungen einhergehen und wo es vielleicht „wehtut“. Denn effektive Klimapolitik bedarf eines tiefgreifenden Umbaus der bestehenden Produktions- und Lebensweise, die wir in unseren Forschungen als „imperiale Lebensweise“ bezeichnen. Die Überwindung dieser zerstörerischen Tendenzen, die Orientierung am Wirtschaftswachstum um jeden Preis und die Zurückdrängung damit verbundener Interessen sind allenfalls indirekt angedeutet.
Strukturwandel Klimaschutz: Politik muss handeln
Eine Anregung aus dem aktuellen IPCC-Bericht, den Verbrauch fossiler Energien bis 2030 um 43 Prozent zu reduzieren, könnte in Österreich im Kontext aktueller Debatten um eine Verringerung der Energieabhängigkeit aufgegriffen werden: Ein Leitbild für Politik und Gesellschaft könnte die „Energiesuffizienz“ sein, nämlich konsequent danach zu fragen, wo Energie eingespart werden kann, welche Branchen um- und rückgebaut werden sollen und wie das jeweils von der Politik unterstützt werden kann.
Es geht dabei nicht nur um individuelles Verhalten („Bitte beim Verlassen des Raumes das Licht ausschalten!“), sondern um strukturelle Veränderungen wie einen Rückbau der industriellen Landwirtschaft und die Förderung einer ökologischen Agrikultur. Oder es bedeutet den Umbau problematischer Industrien wie der Autoindustrie – und nicht bloß die Elektrifizierung des Antriebs. Schließlich ginge es um eine Reorganisation der Weltwirtschaft, aber entlang sozialer und ökologischer Kriterien: Eben erstmal als notwendig erachtete Produkte regional herzustellen und nicht dort, wo es möglichst billig und schmutzig geht.
Er leitet den Forschungsverbund Lateinamerika an der Universität Wien. Sein mit Markus Wissen im Jahr 2017 veröffentlichtes Buch "Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus" schaffte es auf die Spiegel-Bestsellerliste und wird aktuell in zehn Sprachen publiziert. Im Jänner erschien es auf Englisch mit einem neuen Kapitel zur COVID-19 Krise.