Podiumsdiskussion zur Semesterfrage

Am Quantenursprung von Raum und Zeit

5. Juni 2025 von Redaktion
Zum Abschluss der Semesterfrage am 16. Juni diskutieren internationale Wissenschafter*innen und Alumni über das Zukunftspotenzial der Quantenforschung. In ihrem Impulsvortrag gibt die deutsche Quantenphysikerin Renate Loll Einblick in das "heiße Forschungsthema Quantengravitation" und nimmt uns mit an die Grenzen der modernen Physik.
Renate Loll und ihr Team untersuchen mit Hilfe von Computerexperimenten die physikalischen Eigenschaften einer dynamisch erzeugten Quantenraumzeit. © Pixabay

Rudolphina: Frau Loll, wie lautet Ihre Antwort auf unsere Semesterfrage: Wie verändert Quantenforschung unsere Wirklichkeit?

Renate Loll: Ein Großteil moderner Physik ist Quantenphysik und daher Quantenforschung. Unzählige Gegenstände unseres täglichen Gebrauchs beruhen auf Quantentechnologie, also letztendlich auf Erkenntnissen über mikroskopische Quanteneigenschaften von Licht und Materie, die wir aus Grundlagenforschung gewinnen. Sie steckt in den Mikroprozessoren unserer Computer, Handys und Autos, und macht Laser, Solarzellen und Supermarkt-Scanner möglich. Diese Forschung schreitet stetig voran und wird auch in Zukunft unsere Lebensart und unser Weltbild mitbestimmen.

Rudolphina: Was fasziniert Sie am meisten an der Quantenforschung, was hat Ihr Interesse an diesem Thema geweckt?

Renate Loll: Das für mich faszinierendste Forschungsgebiet ist die Quantengravitation: seit den Anfängen der Quantentheorie vor mehr als 100 Jahren haben wir unglaublich viel über das Quantenverhalten von drei der vier fundamentalen Wechselwirkungen gelernt, nämlich dem Elektromagnetismus und den schwachen und starken Kernkräften. Was uns noch fehlt, ist ein ähnlich gutes Verständnis der Quanteneigenschaften der Schwerkraft (Gravitation) und damit auch des Quantenursprungs von Raum und Zeit. Dies liegt an der Grenze dessen, was wir hoffentlich mit den Mitteln der modernen Physik noch erfassen können und ist daher eine unwiderstehliche Herausforderung für Theoretikerinnen wie mich. 

Am Imperial College, wo ich meine Doktorarbeit gemacht habe, war die Quantengravitation als heißes Forschungsthema sehr präsent und ich habe mich ab meiner ersten Anstellung als Postdoc voll darauf gestürzt.

Rudolphina: Was war Ihr bisher wichtigstes Forschungsergebnis? Was hat Sie am meisten überrascht?

Renate Loll: Es gibt nicht das eine wichtige Forschungsergebnis, sondern ein ganzes Forschungsprogramm, das meine Mitarbeiter*innen und ich entwickelt haben, in dem wir mit Hilfe von Computerexperimenten die physikalischen Eigenschaften einer dynamisch erzeugten Quantenraumzeit untersuchen. Eine große Überraschung ist, dass diese Eigenschaften auf sehr kleinen Längenskalen wegen der großen Quantenfluktuationen absolut nicht mit denen klassischer Raumzeiten aus Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie übereinstimmen, z.B. ist ihre Dimensionszahl 2 anstatt der erwarteten 4!

Rudolphina: Inwiefern ist die Quantenphysik ein „Gamechanger“?

Renate Loll: Wegen ihres universellen Charakters umfasst die Quantenphysik heute sowohl etablierte als auch immer wieder neu entstehende Forschungsgebiete, die weitgehend voneinander unabhängig sind. Sie eröffnen uns stets neue Perspektiven, sowohl in der Grundlagenforschung als auch im Sinne vielversprechender, neuer Anwendungen, z.B. in der Daten-, Informations- und Kommunikationstechnik. Welche davon mittelfristig das Zeug zum „Gamechanger” haben, muss sich noch herausstellen, das Potenzial ist auf jeden Fall da.

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Rudolphina: Was würden Sie gerne noch über die Quanten(theorie) herausfinden? Was ist Ihre wichtigste offene Frage?

Renate Loll: Ich möchte natürlich mein Forschungsprogramm zur Quantengravitation, mit der Gittermethode der sogenannten Kausalen Dynamischen Triangulierungen, soweit wie möglich vorantreiben. Es wäre fantastisch, wenn wir daraus Vorhersagen über Quanteneffekte der Gravitation ableiten könnten, die sich dann tatsächlich in astrophysikalischen Beobachtungen nachweisen ließen. Soweit sind wir noch nicht, aber zumindest zeichnet sich ein konkreter Weg ab, wie wir dahin kommen könnten – ein echter Schritt vorwärts in der Welt der Quantengravitation.

Rudolphina: Mit welcher historischen Persönlichkeit würden Sie gerne diskutieren und worüber?

Renate Loll: In der Kategorie der toten Helden und Heldinnen fällt mir spontan niemand ein, aber ich würde mich sehr gerne mit der anonymen und hoffentlich noch lebenden Schriftstellerin hinter Elena Ferrante über ihre genialen Romane und ihren einzigartigen, Nobelpreis-würdigen Schreibstil unterhalten.

Rudolphina: Worüber werden Sie in Ihrem Impulsvortrag sprechen?

Renate Loll: Ich werde Motivation und Inhalt meiner Forschung zur Quantengravitation skizzieren und was sie so spannend macht, und das Ganze in den größeren Zusammenhang der Quantenphysik und Quantenfeldtheorie setzen.

© Renate Loll
© Renate Loll
Renate Loll ist Professorin für Theoretische Physik an der Radboud Universität in Nijmegen und hat außerdem seit 2009 eine Gastprofessur am kanadischen Perimeter Institute inne. Sie arbeitet an einer Theorie der Quantengravitation, die die Prinzipien der Quantentheorie mit den grundlegenden Einsichten der allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins in Einklang bringt.

Loll ist Mitbegründerin von „Causal Dynamical Triangulations“, einem führenden Gitteransatz für die nichtperturbative Quantengravitation. Sie ist Mitglied der Königlichen Niederländischen Akademie der Künste und Wissenschaften (KNAW), gewähltes Mitglied der Internationalen Gesellschaft für Allgemeine Relativitätstheorie und Gravitation (ISGRG) und Ritterin des Ordens des Niederländischen Löwen. Wie kürzlich bekannt wurde, erhält sie den diesjährigen Europäischen Preis für Gravitationsphysik, die Amaldi-Medaille.