Wie die Quantentheorie die Wissenschaft jenseits der Physik prägt
Die Quantenwelt der Chemie
Rudolphina: Eduarda Sangiogo Gil, Sie arbeiten am Institut für Theoretische Chemie und die Quantentheorie fließt auch in Ihre Forschung ein. Wie hängt sie mit Chemie zusammen?
Eduarda Sangiogo Gil: Die Quantentheorie spielt nicht nur in der Physik eine wichtige Rolle, sondern auch in der Chemie. So gibt es ein eigenes Forschungsfeld, das sich mit der Anwendung der Quantenmechanik auf chemische Systeme und Fragestellungen beschäftigt – die Quantenchemie.
Die Chemie ist die Wissenschaft der Stoffe. Sie beschäftigt sich mit deren Eigenschaften, Veränderungen und der dafür notwendigen Energie. Stoffe bestehen aus Atomen, die wiederum aus subatomaren Teilchen bestehen, wie Elektronen, Protonen und Neutronen. Die klassische Physik ist nicht in der Lage, das Verhalten dieser Teilchen genau zu erklären. Insbesondere Elektronen bewegen sich nicht wie kleine Bälle auf vorhersagbaren Bahnen. Ihr Verhalten folgt vielmehr den Prinzipien der Quantenmechanik.
Ohne die Quantentheorie wäre unser Verständnis von Chemie auf ungefähre Annäherungen beschränkt.Eduarda Sangiogo Gil
Grundlegende Konzepte, wie Atomorbitale, Energieniveaus und chemische Bindung, gehen unmittelbar auf die Quantentheorie zurück. Die Quantenmechanik liefert die Grundlagen für das Verständnis der Elektronenanordnung in Atomen, der Entstehung von Bindungen und der Reaktionsfähigkeit von Molekülen. So können die Energieniveaus von Elektronen beispielsweise nur mithilfe von Quantenmodellen beschrieben werden. Diese Modelle sind der Schlüssel, um zu verstehen, wie Moleküle Licht absorbieren oder abgeben, wie es zu chemischen Reaktionen kommt und weshalb bestimmte Bindungen stärker oder schwächer sind als andere.
Wenn Chemiker*innen bestimmen wollen, wie viel Energie eine Reaktion benötigt, wie ein Molekül mit Licht interagiert und ob sich zwei Moleküle anziehen oder abstoßen, greifen sie also auf die Quantenmechanik zurück. Die Quantentheorie bildet die Grundlage für viele moderne Instrumente und Simulationen zur Vorhersage chemischen Verhaltens und zur Entwicklung neuer Materialien.
Rudolphina: Wie würden Sie Ihren Forschungsansatz beschreiben und wie fügt sich die Quantenforschung darin ein?
Eduarda Sangiogo Gil: Meine Forschung beschäftigt sich mit dem Zusammenspiel zwischen Molekülen und Licht. Dabei interessiere ich mich besonders für ihren ‚angeregten Zustand‘, also vorübergehende Zustände mit hoher Energie, die Moleküle nach der Absorption von Licht annehmen. Für die Erforschung dieses Phänomens nutze ich eine Kombination aus klassischer Mechanik und Quantenmechanik. Die schwereren Teile der Moleküle, die Atomkerne, werden dabei wie kleine Bälle behandelt, die den Regeln der klassischen Mechanik folgen. Die leichteren, beweglicheren Elektronen werden hingegen mithilfe der Quantenmechanik betrachtet. Mithilfe dieses hybriden Ansatzes kann ich die Dynamik von Molekülen im angeregten Zustand simulieren.
Aktuell beschäftige ich mich auch damit, wie Quantencomputing meine Forschung bereichern könnte. Wir hoffen, über die Kombination von Quantenalgorithmen und klassischen Algorithmen die Grenzen unserer derzeitigen Computer zu überwinden und neue Wege zu finden, um das Verhalten von Molekülen zu modellieren und vorherzusagen.
Rudolphina: Wie verändert die Quantenforschung Ihre Disziplin?
Eduarda Sangiogo Gil: Die Quantenforschung führt schon jetzt zu einem Wandel in vielen Bereichen der Naturwissenschaften. In meinem Fachbereich ist die Quantenmechanik beispielsweise grundlegend, um zu verstehen, wie Moleküle und Materialien mit Licht wechselwirken, insbesondere im angeregten Zustand. Diese Wechselwirkungen sind zentraler Bestandteil vieler Prozesse in Natur und Technik, z.B. Photosynthese, visuelle Wahrnehmung und die Umwandlung von Sonnenenergie. Für die Entwicklung neuer Technologien ist es maßgeblich, dass wir diese Prozesse verstehen.
In meinem Forschungsbereich spielt die Quantentheorie in der genauen Simulation molekularen Verhaltens eine maßgebliche Rolle – insbesondere in Hinblick auf das Verhalten von Molekülen oder Gruppen von Molekülen, nachdem sie Licht absorbiert haben. Das ist besonders für die Entwicklung neuer Materialien und das Verständnis grundlegender biologischer Prozesse entscheidend.
Rudolphina: Was fasziniert Sie persönlich an der Quantenphysik, und wann sind Sie erstmals damit in Berührung gekommen?
Eduarda Sangiogo Gil: Während meines Chemiestudiums war ich auf der Suche nach tiefer gehenden Erklärungen. Ich wollte nicht nur verstehen, wie die Dinge passieren, sondern auch warum. Ich interessierte mich für die Hintergründe der Regeln, die uns in den Lehrveranstaltungen vermittelt wurden. Durch diese Neugier habe ich erkannt, dass viele chemische Phänomene durch die Quantenmechanik erklärbar sind.
Mich fasziniert, dass die Quantenmechanik nicht nur eine Reihe von abstrakten Regeln ist, sondern eine einflussreiche Theorie, die eine Erklärung für eine Vielzahl von Phänomenen in der Chemie und Physik liefert. Die Quantenmechanik hat meine Wahrnehmung der Welt herausgefordert und bietet mir eine neue Perspektive auf das Verhalten von Molekülen.
Quantenmechanik im Dienst der Biologie
Rudolphina: Jonas Ries, Sie sind Leiter des Departments für Strukturbiologie und Computational Biology. Wie hängen Quantenforschung und Biologie zusammen?
Jonas Ries: Letztendlich fußt alles auf der Quantenmechanik und wir brauchen sie, um selbst die einfachsten chemischen Reaktionen oder Moleküle zu verstehen. Alleine schon wenn wir über Photonen sprechen, bewegen wir uns in der Welt der Quantenphysik. Wenn wir über die Quantenphysik sprechen, denken wir jedoch meist an die Dinge, die unserem Verständnis der makroskopischen Welt widersprechen, z.B. Überlagerungszustände, Verschränkung und Delokalisierung. Bei biologischen Systemen handelt es sich nicht um Atome, die in einem Vakuum bei Temperaturen nahe dem Nullpunkt isoliert sind, sondern um komplexe Systeme in Lösung, weshalb Quantenphänomene in der Biologie nur sehr kurzlebig sind.
Rudolphina: Wie würden Sie Ihren Forschungsansatz beschreiben und wie fügt sich die Quantenforschung darin ein?
Jonas Ries: Meine Forschungsgruppe arbeitet an der Entwicklung hochauflösender Mikroskope. Eines unserer Mikroskope nutzt zwei Objektive, die das auftreffende Licht über einen Strahlteiler streuen. Wir arbeiten mit Fluorophoren; das sind chemische Stoffe, bei denen Fluoreszenz auftritt und mithilfe derer Biomoleküle in Zellen markiert werden können. Da Fluorophore einzelne Photone emittieren, funktionieren unsere Mikroskope nur, wenn das Photon gleichzeitig durch beide Objektive geht. Es bewegt sich entlang unterschiedlicher Wege und interferiert mit sich selbst, ähnlich wie beim berühmten Doppelspaltexperiment.
Rudolphina: Wie verändert die Quantenforschung Ihre Disziplin?
Jonas Ries: Quanteneigenschaften sind schwierig zu nutzen, da sie so kurzlebig sind. Den größten Nutzen haben sie vermutlich in Anwendungen wie dem Quantencomputer. In der Mikroskopie könnten unkonventionelle Zustände von Licht (gequetschtes Licht, verschränkte Photonen, Einzelphotonen) die Leistungsfähigkeit unserer Instrumente verbessern. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die höhere Komplexität auch tatsächlich zu einer Leistungssteigerung in tatsächlichen Experimenten führt.
Letztendlich fußt alles auf der Quantenmechanik. Wir brauchen die Quantentheorie, um selbst die einfachsten Reaktionen oder Moleküle zu verstehen.Jonas Ries
Rudolphina: Was fasziniert Sie persönlich an der Quantenphysik, und wann sind Sie erstmals damit in Berührung gekommen?
Jonas Ries: Die Quantenphysik ist eine magische Welt, die unserer Alltagserfahrung und unserem Verständnis darüber, wie unsere Welt funktioniert, zu widersprechen scheint. Da sind Katzen zugleich tot und lebendig, Computer können alle möglichen Berechnungen auf einmal anstellen und allein die Betrachtung eines Quantenteilchens kann die Eigenschaften eines anderen meilenweit entfernten Teilchens verändern. Die Faszination für diese Phänomene war Anlass für mich, Physik zu studieren und eine Masterarbeit im Bereich der Quantenoptik zum Thema der Quantenteleportation zu verfassen.