Klimaschutz

"Plastik ist nicht unser größtes Problem, aber ein sichtbares"

2. Juni 2021 von Lisa Kiesenhofer
Biodiversitätsverlust, Klimakrise, Landnutzung: Die Menschheit steht derzeit vor immensen globalen Herausforderungen. Thilo Hofmann vom Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft erklärt, wieso jedoch das Thema Plastik die Debatte um Nachhaltigkeit dominiert und was Greenwashing damit zu tun hat.
Beim Thema Umwelt- und Klimaschutz kommen vielen Menschen Bilder wie dieses in den Sinn. Plastik ist sichtbar und deshalb auch ein so präsentes Thema im öffentlichen Diskurs. Gemessen an der Dringlichkeit sind der Biodiversitätsverlust und die Klimakrise aber die viel größeren Herausforderungen. © Pexels Stijn Dijkstra

Rudolphina: Herr Professor Hofmann, was kommt Ihnen spontan in den Sinn, wenn Sie den Begriff Anthropozän hören?

Thilo Hofmann: In den Umweltwissenschaften erforschen wir bereits seit Jahrzehnten, dass der Mensch die Erde dramatisch verändert. Der Mensch hat es geschafft, den pH-Wert der Weltmeere zu ändern, große Stoffkreisläufe zu stören und ein Massensterben auszulösen. Es überrascht mich aber, dass der Begriff erst so spät kommt. Die Signale haben wir bereits vor 60 Jahren erkannt – ein Stichwort ist hier das Buch Silent Spring von Rachel Carson, das bereits 1962 erschienen ist. Seither wurden sie immer stärker. Ich bin froh, wenn der Begriff nun dabei hilft zu begreifen, was der Mensch mit der Erde anstellt.

Rudolphina: Vom Aufscheinen der Signale bis hin zur Begriffsprägung ist also viel Zeit vergangen. Was ist in diesen Jahrzehnten passiert?

Hofmann: Fangen wir vielleicht mit dem Positiven an. Themen wie Umwelt- und Klimaschutz sind im heutigen Mainstream-Diskurs angekommen, auch in der konservativen Politik. Früher waren solche Positionen noch als "links" verrufen, insbesondere zu Beginn der Anti-Atomkraft-Bewegung in den 70er Jahren. In Bezug auf Schadstoffemissionen bewegen wir uns hin zu geringeren Umweltbelastungen, Beispiel ist die bessere Luft- und Gewässerqualität, die wir vielerorts haben. Auch in puncto Klimaschutz geht es, wenn auch noch zu langsam, voran: Ich habe den Eindruck, dass Politiker*innen mit Versprechen ohne zu Handeln nicht mehr überzeugen können. Es muss jedoch schneller und entschiedener gehandelt werden, um die Lasten für zukünftige Generationen nicht ins Unermessliche wachsen zu lassen. Es gibt genügend wissenschaftliche Ansätze, es fehlt einfach mehr Mut. Meine Hoffnung ist, dass wir die Treibhausgasemissionen rasch und drastisch senken. Die derzeitigen Handlungsschritte genügen nicht, wir reagieren zu zögerlich. Das trifft auch auf das Thema Plastik in der Umwelt zu: Wenn wir das Problem jetzt angehen, können wir etwas verändern und haben einen größeren Handlungsspielraum. In 20 Jahren werden die Lasten groß und unserer Optionen wenige sein.

Rudolphina: Zum Vergleich: Welche Entwicklungen beobachten Sie mit mehr Pessimismus?

Hofmann: Der massive Biodiversitätsverlust des letzten Jahrzehnts und in welcher Geschwindigkeit er vonstattengeht ist erschreckend. Wir verlieren in Österreich und auch global gesehen Jahr für Jahr viele Arten. Das Alarmierende dabei: Das Artensterben kann man nicht mehr rückgängig machen – ausgestorben ist ausgestorben. Dem entgegenzusteuern halte ich für eine der größten Herausforderung. Hinzu kommt, dass der Biodiversitätsverlust im öffentlichen Diskurs meines Erachtens zu selten Thema ist. In der Öffentlichkeit noch weniger bekannt ist zum Beispiel auch die Störung wichtiger biogeochemischer Stoffkreisläufe wie Stickstoff oder Phosphor durch unsere landwirtschaftlichen Praktiken. Die Folgen dieser Störung sind beispielsweise Überdüngung und Todeszonen in Meeren.

Infografik
© Universität Wien

Ein Treiber für den starken Biodiversitätsverlust ist die Landnutzung. Rund ein Drittel der Oberfläche des Planeten wird im Moment für Landwirtschaft genutzt, Tendenz steigend – das zerstört die Lebensräume vieler Tier- und Pflanzenarten. Und trotzdem sind wir zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte an dem Punkt, dass wir nicht mehr in der Lage sind, unsere Bevölkerung gesund und nachhaltig zu ernähren.

Rudolphina: Könnte ein nachhaltigeres Konsumverhalten oder die weniger intensive Bewirtschaftung von landwirtschaftlichen Flächen helfen Pflanzen- und Tierarten zu schützen?

Hofmann: Die romantische Vorstellung von kleinskaliger Landwirtschaft als Lösung von Umweltproblemen mag regional funktionieren, ist global aber verkehrt: Wir brauchen eher eine Intensivierung der Landwirtschaft auf geringerer Fläche, zum Beispiel auch in urbanen Gewächshäusern. Noch mehr Oberfläche unseres Planeten für Landwirtschaft zu nutzen ist keine Option. Hierbei gilt: Es gibt nicht "die" eine Lösung, welche überall funktioniert: Was in Europa funktioniert kann in Asien falsch sein, was im Waldviertel sinnvoll ist wird nicht im Pantanal der richtige Weg sein. Gleichzeitig benötigen wir ein Umdenken in Bezug auf unsere Konsummuster: Hier ist der zu hohe Fleischkonsum das größte Problem. Ungesunde Ernährung mit einem hohen Anteil an Fleisch verträgt weder der Planet, noch die Gesundheit. Sorgen bereitet mir, dass diese Umweltprobleme im internationalen Kontext gelöst werden müssen, aber sich Staaten in den vergangenen Jahren immer mehr auf die nationale Ebene zurückziehen. Es braucht national und international glaubwürdige Institutionen und Organisationen, denen die Bevölkerung beim Thema Umwelt- und Klimaschutz vertrauen kann.

Infografik zur globalen Agrarfläche
Etwa 37 Prozent der weltweiten Landfläche ist Agrarfläche, Tendenz steigend. © Universität Wien

Rudolphina: Sie forschen viel zum Thema Plastik in der Umwelt. Wie dringend ist diese Thematik im Vergleich zum Biodiversitätsverlust?

Hofmann: Plastik ist lokal gesehen eine zunehmende Bedrohung für Ökosysteme. In Hotspots wie dem Mittelmeer wird es in den kommenden Jahren eine so hohe Plastikkonzentration im Oberflächenwasser geben, dass zahlreiche Spezies verhungern, weil sie statt Nahrung Plastik aufnehmen. Deshalb müssen wir jetzt handeln. Plastik ist zwar im Vergleich zum genannten Biodiversitätsverlust bei Weitem nicht das größte Problem der Menschheit, aber diese Probleme sollen nicht in Konkurrenz zueinanderstehen. Weil der Biodiversitätsverlust das größere Problem ist, heißt dies nicht, dass wir weiter unseren Planteten mit Plastik verschmutzen können. Der Grund, wieso wir in unserem Alltag so oft mit dem Thema Plastik in Berührung kommen ist, dass es ein sehr sichtbares Thema ist. So sind beispielsweise Bilder einer Schildkröte, die sich in einem Netz verfangen hat, sehr plakativ. Auffallend ist auch, wie stark Greenwashing in den vergangenen Jahren zugenommen hat: Als Konsument*innen haben wir das Gefühl etwas Gutes zu tun, wenn wir im Supermarkt zum Bio-Sackerl greifen. In unserem Blickfeld wird es grüner, in Wahrheit wird es vielleicht sogar schlimmer.

Obst im Plastiksackerl
Greenwashing bedeutet mit nicht weitreichenden Maßnahmen vorzugeben, klima- und umweltfreundlich zu handeln. Paradebeispiele dafür sind das EU-weite Plastiksackerl- oder Plastikstrohhalmverbot. Diese Produkte machen nur einen kleinen Teil des produzierten Plastiks aus. Die konsumierende Person kauft und fühlt sich gut. Auch vermeintlich biologisch abbaubare Plastikalternativen sind oft nur Augenauswischerei. "Bio" ist im Bereich Kunststoffe nicht definiert, so sind Alternativen oft nur unter Laborbedingungen abbaubar und können deshalb Kompost verunreinigen und ökologisch somit schädlicher sein als das klassische PE-Sackerl. © Pexels/Karolina Grabowksa

Rudolphina: Was wären wirksame Maßnahmen gegen die Umweltverschmutzung durch Plastik

Hofmann: Wir müssen unseren Umgang mit Rohstoffen überdenken und die Emission in die Umwelt verhindern. Es fehlt die Regulierung beim Plastik. Diesem Material muss ein höherer Wert beigemessen werden. So würde es sich eher lohnen, Plastik wieder einzusammeln. Rohstoffe würden eingespart, der Verbrauch eingeschränkt und Verschmutzung verringert werden. Aber auch unser eigenes Konsumverhalten müssen wir kritisch hinterfragen: Müssen wir in immer kleineren Gebinden einkaufen? Soll man sich immer mehr in Kleinmengen nach Hause liefern lassen? Ein Beispiel zum Thema Greenwashing: In Kindergärten werden gerne bunte Bambus-Mehrwegbecher als ökologische Alternative verwendet. Was viele nicht wissen: In der mutmaßlich plastikfreien, grünen Alternative sind bis zu 80 Prozent Kunststoffharze enthalten, welche bei heißen Getränken Formaldehyd abgeben. Hier sind einfache PE-Plastik-Mehrwegbecher oder normales Geschirr ökologisch und toxikologisch sinnvoller.

Rudolphina: Was können wir dazu beitragen, den dramatischen Entwicklungen – wie dem Biodiversitätsverlust oder der Klimakrise – entgegenzuwirken?

Hofmann: Wir müssen uns allgemein die Frage stellen, wie wir konsumieren, essen und uns fortbewegen. Unsere Lebensweise muss für den Planeten "erträglich" sein, so dass auch künftige Generationen von Pflanzen, Tieren und Menschen sicher auf der Erde leben können. Nicht der Verzicht auf Plastik also, sondern die Änderung unsere Lebensweise hilft der Umwelt.

Buchtipp zum Thema

"Silent Spring" (Der stumme Frühling) von Rachel Carson aus dem Jahr 1962: In dem Werk thematisiert Carson die Auswirkungen eines rigorosen Pestizid-Einsatzes auf Ökosysteme. Das Buch löste in den USA eine heftige politische Debatte aus und führte letztlich zum späteren DDT-Verbot.

Das ist das Konzept der Planetary Health. Ich bin der Meinung, dass der*die Einzelne etwas verändern kann. Es kann jedoch nicht Ziel sein, dass die Politik die Verantwortung auf das Individuum abwälzt. Transformation geht nur mit einem starken Vertrauen in nationale und internationale Organisationen, die die Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Lebensweise schaffen. Bis diese Vision Realität wird, haben diese Organe aber noch viel Arbeit vor sich.

Rudolphina: Danke fürs Gespräch! (lk)

© Universität Wien
© Universität Wien
Thilo Hofmann ist seit 2019 stellvertretender Leiter des Zentrums für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft an der Universität Wien. Zu seinen Forschungsinteressen zählt u.a. das Verhalten von Umweltschadstoffen.

Er leitet zusammen mit Sabine Pahl den neuen Forschungsverbund "Umwelt und Klima", dem 65 Wissenschafter*innen aller Fachrichtungen angehören. Er leitet außerdem die Forschungsplattform PLENTY, in dessen Rahmen Plastikverschmutzung in einem holistischen, interdisziplinären Ansatz untersucht wird.