Quantenphysik: Ein noch nie dagewesenes Experiment
Wenn es um die Gesetze des Universums geht, hat die Physik gleich zwei Haupttheorien parat: die Quantenfeldtheorie und die allgemeine Relativitätstheorie. Seit Jahren versuchen Wissenschafter*innen zu verstehen, wie diese Theorien zusammenwirken – um damit die Mechanismen unserer Welt zu ergründen und den Grundstein für neue Technologien zu legen. Doch nach wie vor gibt es keine Experimente, die das Zusammenspiel zwischen den Theorien tatsächlich testen.
Große Auszeichnung für großes Vorhaben
Der Quantenphysiker Philip Walther von der Universität Wien und sein international besetztes Team – mit an Bord sind neben der Universität Wien die Universität München und das Massachusetts Institute of Technology (MIT) – möchten diese Forschungslücke mit ihrem Projekt GRAVITES schließen. Dabei baut die engagierte Wissenschaftstruppe erstmals ein hochempfindliches Quantenexperiment auf, das Aufschluss über den Einfluss der Schwerkraft auf Lichtquanten geben soll. Für dieses revolutionäre Vorhaben erhielten die Quantenforscher*innen den prestigeträchtigen ERC Synergy Grant in Höhe von insgesamt fast neun Millionen Euro.
"Dieser Grant bedeutet mir persönlich sehr viel. In den letzten Jahren ist dafür harte Vorarbeit mithilfe herausragender Mitarbeiter*innen – von Masterstudierenden bis PostDocs – geleistet worden", freut sich Projektleiter Philip Walther: "Ich bin sehr dankbar über 'mein' GRAVITES-Team und sehe diesen ERC nun als Bestätigung dafür, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben, dieses schwierige Experiment wagen zu wollen."
Auf Wissen stützen:
Im ERC-Projekt GRAVITES können die Ergebnisse der interfakultären Forschungsplattform TURIS (Universität Wien) verwendet werden. TURIS entwickelt seit sechs Jahren neue Ideen zu den großen Fragen der Schnittstellen zwischen Quantenphysik und Gravitation und wurde nun mit Beteiligung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zu einem Forschungsverbund erweitert.
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Präzisionsarbeit mit "Feingefühl"
Da Photonen nur sehr schwach mit der Schwerkraft wechselwirken, steht das Projektteam vor der Herausforderung, ein extrem präzises faseroptisches Interferometer zu bauen. Verschränkte Photonen werden hier bei der Ausbreitung durch 40 km lange Glasfasern verschiedenen Gravitationseinflüssen ausgesetzt. Um den Einfluss der Gravitation auf die verschränkten Photonenpaare messen zu können, muss das Experiment Längenschwankungen erheben, die etwa 100-mal kleiner sind als der Radius eines Atoms.
Was ist eigentlich ein Interferometer?
Ein Interferometer ist ein Gerät, in dem sich Licht entlang unterschiedlicher Wege ausbreiten kann. Diese werden kombiniert, um Licht-Interferenzen (die z.B. durch abwechselnde Hell-Dunkel-Intensitäten sichtbar gemacht werden) beobachten zu können. In GRAVITES kommen optische Fasern (Wellenleiter) von 40 Kilometern Länge zum Einsatz, um für das Licht einen möglichst langen Weg zu ermöglichen. Platz sparen ist angesagt: Damit der experimentelle Aufbau kompakter wird und noch ins Labor passt, werden die Fasern auf einer Spule aufgewickelt.
Mit geballtem Wissen
Eine Erfolg versprechende Mischung: Damit der Versuch gelingt, stecken bei GRAVITES zwei experimentelle und zwei theoretische Forschungsgruppen die Köpfe zusammen. Das Experiment selbst wird von der Physikerin Nergis Mavalvala (MIT), die wesentlich am Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory (LIGO)-Projekt beteiligt ist, und von Philip Walther (Universität Wien), GRAVITES-Projektleiter und Experte für Quantenkontrolle verschränkter Photonen, aufgebaut. Das Vorhaben wird von renommierten Forscher*innen auf dem Gebiet der allgemeinen Relativitätstheorie und der Quantenfeldtheorie unterstützt, allen voran durch Piotr Chruściel von der Universität Wien und Gia Dvali von der LMU München.
Mit dem Projekt GRAVITES können wir wissenschaftliches Neuland betreten und der fundamentalen Frage nachgehen, wie die Schwerkraft mit der Quantenphysik wechselwirkt.Philip Walther
Premiere
Innerhalb der nächsten sechs Jahre will das GRAVITES-Team eine Schlüsselfrage des Fachbereichs beantworten: ob verschränkte Quantenzustände die Vorhersagen der relativistischen Quantenfeldtheorie in einer gekrümmten Raumzeit erfüllen. "Dieser ERC Synergy Grant wird es uns ermöglichen, zum ersten Mal zu beobachten, wie verschränkte Zustände gravitieren", so Philip Walther. Das hat nicht nur eine enorme Bedeutung für die Grundlagenforschung, die in GRAVITES entwickelte Technologie hat ebenso Potenzial, die Quantenkryptographie, die Quantenmetrologie oder die Frequenzübertragung einen großen Schritt voranzubringen.
Eine Win-Win-Situation
Das Experiment kann nicht nicht funktionieren. Warum, erklärt Projektmitarbeiter Piotr Chruściel: "Ich finde es faszinierend, dass – falls sich die erwartete Theorie nicht bestätigt – wir uns mit dem auseinandersetzen müssen, was einige Kolleg*innen als 'neue Physik' bezeichnen. Sollten wir jedoch keine Diskrepanzen finden, wird unser Experiment das erste sein, das die Theorie in diesem Regime testet, und somit einen dauerhaften Beitrag zu unserem Verständnis leisten, wie die Schwerkraft mit der Quantenmechanik wechselwirkt – eine Win-Win-Situation also."
Die meisten meiner bisherigen Forschungsarbeiten befassten sich mit mathematischen Aspekten der allgemeinen Relativitätstheorie, und ich bin sicher, dass viele Kolleg*innen mich für einen Mathematiker hielten. Ich freue mich sehr, dass ich ihnen das Gegenteil beweisen kann, indem ich als Physiker und nicht als Mathematiker zu diesem Experiment beitrage.Piotr Chruściel
Neue Wege, neue Anwendungen
In der Quantenphysik ist es übrigens üblich, eigene Technologien zu entwickeln und neue Wege zu beschreiten: "Wir untersuchen Phänomene, die es in der kleinen Welt der Quanten gibt, also Eigenschaften, die sich anders verhalten als in unserer klassischen Welt", erzählt Philip Walther: "Dann versuchen wir, diese Eigenschaften für neue Anwendungen zu nutzen und sie zum Beispiel für eine bessere Kommunikation, bessere Computer und andere Dinge, an die die Menschen bisher noch nicht gedacht haben, einzusetzen. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Grundlagenforschung in den kommenden zehn bis 20 Jahren viele Veränderungen herbeiführen wird", so die Einschätzung des charismatischen GRAVITES-Projektleiters. Wir dürfen gespannt sein. (hm)
Er erforscht Quantenzustände des Lichts, mit deren Hilfe er etwa Quantencomputer baut, abhörsichere Kommunikationsprotokolle umsetzt oder die Verbindungslinien zwischen Schwerkraft und Quantenphysik untersucht. Für seine Arbeit wurde Walther mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Fresnel-Preis der Europäischen Physikalischen Gesellschaft, dem START-Preis des FWF sowie dem Friedrich Wilhelm Bessel-Preis der Alexander-von-Humboldt-Stiftung. Walther ist derzeitig Sprecher der Quantengruppe an der Uni Wien sowie des interinstitutionellen Forschungsverbundes "Quantum Aspects of Space Time (TURIS)".
Während sich seine Forschung hauptsächlich auf mathematische Aspekte der allgemeinen Relativitätstheorie konzentrierte, veranlassten ihn die Herausforderungen zur Frage der Wechselwirkung der Einsteinschen Gravitation mit der Quantenmechanik, seine Forschungspalette in diese Richtung zu erweitern. Mit Piotr Chruściel hat das ERC-Projekt GRAVITES einen Spitzenforscher in Dingen Gravitationsphysik mit an Bord.
- Forschungsgruppe von Philip Walther
- Website von Piotr Chruściel
- Quantenoptik, Quantennanophysik und Quanteninformation an der Fakultät für Physik der Universität Wien
- Forschungsverbund Quantum Aspects of Space Time (TURIS)
- Gravitational Physics an der Fakultät für Physik der Universität Wien
- ERC Grants an der Universität Wien
- European Research Council
- Pressemeldung der Universität Wien
- Interview mit Philip Walther und Chiara Greganti