Sommer-Citytrip

Reif für die Hitzeinsel?

Temperaturrekorde und Tropennächte – in Wien ist der Sommer angekommen. Die Rudolphina-Redaktion begleitet Stadt-Expert*innen quer durch Wien um herauszufinden, wie sich die Stadt gegen "Hitzeinseln" wappnet, wer darunter am meisten leidet und wo in Wien Abkühlung wartet.
In der Stadt finden wir sehr viel Wärme speicherndes Material wie Asphalt, Beton, Metall und Glas. Aktuelle Entwicklungsprojekte bringen mehr Grün und schaffen Cooling-Zonen, wie hier im Helga-Pollak-Kinsky-Park unweit des Westbahnhofs. Auf einem Climate Walk mit Uni Wien-Stadtexpert*innen lassen sich die Temperaturunterschiede "erfühlen". © Alexander Bachmayer

Frage in die Runde: Was stellt ihr euch unter einer klimaresilienten Stadt vor? Um die Antworten verstehen zu können, müssen wir erstmal näher zusammenrücken. Autos zischen vorbei, ein Martinshorn heult in nächster Nähe auf. "Ohne Autos", erwidert eine der Climate Walk-Teilnehmer*innen spontan, "dafür mit Wasser und vielen Grünflächen, die für alle zugänglich sind." 

Rund 20 Personen haben sich heute am Maria-Theresien-Platz im 1. Bezirk für einen gemeinsamen Climate Walk versammelt, um Wien von hier aus zu Fuß zu erkunden und zu erfahren, wie sich unsere Stadt für den Klimawandel wappnet. Fachlichen Input geben u.a. Uni Wien-Stadtpsychologe Addi Wala, Eva Braxenthaler, eine Mitarbeiterin des Projekts "Grätzloase", sowie Matthias Ratheiser, der nach dem Meteorologie-Studium an der Uni Wien "Weatherpark" gegründet hat und seitdem Beratung zum Thema Stadtklima anbietet (mehr zu seiner Gründungsgeschichte).

Gruppe von Menschen während des 2. Climate Walks
© Alexander Bachmayer

Climate Walk: "Wien – It's getting hot in here!"

Wie gehen unsere Stadt und ihre Menschen mit Hitzeinseln im Sommer am besten um? Beim Climate Walk am 8.8. vom Karlsplatz bis zur "Coolen Zone" in der Gumpendorferstraße erzählten die Geographinnen und Umweltforscherinnen Kerstin Krellenberg und Yvonne Franz von der Universität Wien, wie man die Stadt umgestalten und vor allem vulnerable Bevölkerungsgruppen schützen kann.

Hier geht's zum Nachbericht des Climate Walks.

Der Climate Walk wurde vom Forschungsverbund Umwelt und Klima (ECH) im Rahmen des Rudolphina Sommer-Citytrips und in Kooperation mit Climate Walk Austria organisiert.

Video: Wie klimafit ist Wien? Stadtspaziergang mit Yvonne Franz und Kerstin Krellenberg

Unser Videoteam hat Yvonne Franz und Kerstin Krellenberg vom Institut für Geographie und Regionalforschung auf einem Spaziergang durch Wien begleitet: Wie fühlen sich die unterschiedlichen Baumaterialien an? Wo ist Wien ein paar Grad kühler? Und wie steht es eigentlich um die Klimagerechtigkeit in Wien? © Petra Schiefer

Urbane Hitzeinseln

Sommer in Wien ist vor allem eines: heiß. Und es wird noch heißer. Zählten wir in Österreich in den 1970er Jahren durchschnittlich sieben Hitzetage pro Jahr, sind es derzeit 27 – Tendenz steigend. "Urbane Gebiete erwärmen sich stärker als ihr Umland", erklärt Stadtforscherin Kerstin Krellenberg von der Universität Wien, "in der Stadt haben wir höhere Versiegelungsraten und sehr viel Wärme speicherndes Material wie Asphalt, Beton, Metall und Glas. Gebäude und Straßen nehmen Sonnenstrahlung auf, speichern die Energie und geben die Wärme wieder an die Umgebung ab – es entstehen sogenannte Hitzeinseln, die bis zu zehn Grad wärmer als das ländliche Umland sein können." 

Scienceseeing im Sommer
Person mit Rucksack
Sommer-Citytrip

Im Sommer heißt es für die Rudolphina: Rucksack packen! Heuer machen wir gemeinsam mit unseren Wissenschafter*innen einen Citytrip durch Wien, dabei gilt: Augen und Ohren auf, kräftig einatmen und ins Spüren kommen. Hier geht es zu den Beiträgen.

Unser Sommer-Citytrip zum Nachspazieren:

Eine Tour durch Wien, um ins Fühlen zu kommen: Für alle, die urbane Grünoasen, Temperaturunterschiede in der Stadt und aktuelle Entwicklungsprojekte in Wien auf eigene Faust erkunden möchte, empfehlen unsere Forscherinnen Kerstin Krellenberg und Yvonne Franz folgende Route:

  1. Lerchenfelder Straße: Der Straßenzug soll zukunftstauglich werden. Die Bewohner*innen wünschen sich vor allem Bäume, Grünflächen und weniger Verkehr. Was fällt Ihnen ein, um die Lerchenfelder Straße attraktiver zu gestalten?
  2. Zollergasse: Durch Verkehrsberuhigung, Entsiegelung im Bereich der Baumscheiben, Begrünung mit Zelkoven und natürlich der errichtete "Zollerbach" fühlt sich die Zollergasse ein paar Grad kühler an als andere innerstädtische Straßen. Spüren Sie es selbst!
  3. Christian Broda Platz: Willkommen auf der Baustelle. Hier sieht es bald schon ganz anders aus. Durch gezielte Entsiegelung soll der Christian Broda Platz einladender werden. Ein wichtiger Schritt in Richtung nachhaltige Stadtentwicklung.
  4. Millergasse: In dieser beschaulichen Gasse wurde der Asphalt entfernt und stattdessen Pflastersteine verlegt. Fühlt sich doch bereits anders an, oder? Bei Starkregen kann das Wasser besser aufgenommen werden als bei kompletter Versiegelung, helle Steine heizen sich weniger auf als dunkler Asphalt. Hier lohnt sich eine kleine Auszeit unter der schattenspenden Platane.
  5. U3-Station Westbahnhof/Helga-Pollak-Kinsky-Park: Wildblumen, Bäume und Sitzgelegenheiten – hier wurde hochwertiger Freiraum geschaffen. Was wir nicht sehen: Marginalisierte Gruppen werden durch die Gentrifizierung verdrängt.
  6. Amtshaus Rudolfsheim-Fünfhaus: Diese Wohnstraße ist zum Spielen, zum Flanieren, zum Sitzen oder zum schnellen Passieren da. Hier treffen sich viele verschiedene Stadtakteur*innen – sie miteinzubeziehen ist in der nachhaltigen Stadtentwicklung besonders wichtig.

Hier geht es zum GPS-Track der Route
Laden Sie untenstehende GPX-Datei auf Ihr Smartphone herunter und importieren Sie sie in die Navigations-App Ihrer Wahl, etwa in Komoot. Hier finden Sie eine Anleitung für den Import in Komoot.

Routenvorschlag für Ihren Sommer-Citytrip durch Wien

Wenn die Hitze zum Problem wird

Krellenberg beschäftigt sich am Institut für Geographie und Regionalforschung mit den Auswirkungen zunehmender Hitze und kooperiert dafür mit verschiedenen Stadtakteur*innen aus Politik, Verwaltung, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft. Wien wird so zum Stadtlabor, in dem gemeinsam experimentiert und den Menschen vor Ort eine Stimme gegeben wird – um innovative Lösungen für unsere Städte zu erarbeiten. Die Hitze wird nämlich zum Problem – insbesondere für jene, die in dichtbebauten Gebieten leben, in unzureichend gedämmten Gebäuden wohnen oder keine kühlenden Grünflächen im Grätzl haben, "aber prinzipiell für alle, die im öffentlichen Raum auf Asphalt und Beton ohne Schatten treffen", so Krellenberg.  

Die Climate Walk-Truppe hat mittlerweile die Lerchenfelder Straße erreicht. Beton und Asphalt flimmern in der Hitze, die Teilnehmer*innen scharen sich um den öffentlichen Trinkbrunnen und befüllen ihre Wasserflaschen. Dabei hören sie Addi Wala von STADTpsychologie zu, der bei einem Stadt Wien-Projekt mitwirkt, das den öffentlichen Raum rund um die Lerchenfelder Straße in den Blick nimmt. "Es geht darum, den Straßenzug im Rahmen eines partizipativen Prozesses neu zu gestalten", erklärt er: "Die Anwohner*innen wünschen sich unter anderem mehr Bäume, viel Begrünung sowie eine Verkehrsberuhigung."

Mensch und Umwelt werden fälschlicherweise oft als Gegensätze gesehen, doch die Stadt- und Umweltpsychologie interessiert sich für das Zusammenspiel der beiden. "Eine Stadt besteht schließlich nicht nur aus Gebäuden und Straßen. Das, was sie wirklich ausmacht, sind die Menschen, die in ihr leben", ergänzt Wala.

"Shade is for the rich"

Der Stadtspaziergang durch Wien ist eine gemeinsame Initiative vom Environment and Climate Research Hub (ECH) der Universität Wien und dem Verein Climate Walk Austria, deren Mitglieder bereits quer durch Europa gewandert sind, um ein Bewusstsein für die Klimakrise zu schaffen und mit lokalen Akteur*innen ins Gespräch zu kommen. "In Brüssel hat uns mal jemand gesagt, dass Schatten nur für Reiche sei, "shade is for the rich", erinnert sich Eva Holzinger von Climate Walk Austria. Wie ist das eigentlich in Wien – wer "darf" denn auf der Schattenseite leben? 

Wir fragen bei Stadtgeographin Yvonne Franz von der Universität Wien nach, die sich mit kooperativer Stadtentwicklung beschäftigt, ihr Spezialgebiet: Wien. "Der Wiener Gürtel war ursprünglich eine Trennlinie zwischen privilegierten Wohngebieten im Zentrum und Grätzln in den historischen Vororten von Wien, in denen sozio-ökonomisch schwächer gestellte Menschen leben. Das hat sich in den letzten Jahren gewandelt", berichtet Franz. "Die Bezirke Wiens sind heute eng miteinander verbunden und die Stadt stößt viele Entwicklungsprojekte an. Zum Beispiel wurde am Vorplatz des Westbahnhofs gemeinsam mit einem internationalen Möbelkonzern hochwertiger Freiraum geschaffen – mit Wildblumen, Bäumen und Sitzgelegenheiten. Doch was wir nicht unmittelbar sehen, ist die Verdrängung marginalisierter Gruppen durch Gentrifizierung, also Aufwertungsprozessen. Was ist beispielweise mit Menschen, die obdachlos sind und ihre Tagesfreizeit im Freien verbringen? Sie sind in den neugeschaffenen Cooling-Zonen oftmals nicht erwünscht; für sie ist dort kein Platz mehr." 

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Städte klimafit machen
Die Sommer werden heißer, extreme Wetterereignisse häufiger. Städte wie Wien stehen vor der Herausforderung sich klimafit zu machen, um in Zukunft noch lebenswert zu bleiben. Welche Lösungsansätze die Wissenschaft liefert, darüber sprechen wir mit Kerstin Krellenberg, Professorin für Urban Studies an der Uni Wien.

Schritt halten und ins Fühlen kommen

Der Spaziergang durch die Stadt schärft unsere Sinne: Wir erfahren, wie sich unterschiedliche Baumaterialien anfühlen, wie Grünflächen und Baumbestand die Stadt kühlen, wie gezielte Cooling-Maßnahmen das Hitzeempfinden verändern und wie weit weg wir eigentlich noch von Klimagerechtigkeit sind. Sommer ist die beste Zeit für einen Climate Walk – begleiten Sie Yvonne Franz und Kerstin Krellenberg am 8. August 2024 auf einem Spaziergang vom Karlsplatz bis zur "Coolen Zone" in der Gumpendorferstraße oder ziehen Sie auf eigene Faust los. (hm)

© Daniel Dutkowski
© Daniel Dutkowski
Kerstin Krellenberg ist Professorin für Urban Studies am Institut für Geographie und Mitglied im interdisziplinären Forschungsverbund Umwelt und Klima (ECH) der Universität Wien.

In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit den Auswirkungen und Herausforderungen des globalen Umweltwandels für städtische Räume sowie den erforderlichen Lösungsansätzen in Kontext von Anpassung, Resilienz und Transformationen.

© Daniel Dutkowski
© Daniel Dutkowski
Yvonne Franz ist Senior Lecturer in der Arbeitsgruppe "Urban Studies" am Institut für Geographie und Regionalforschung. Sie forscht u.a. zu urbanen Ankunftsorten, Super-Diversität und Sozialer Innovation.