Physiknobelpreis 2022

Anton Zeilinger: Pionier der Quanteninformation

10. Dezember 2022 von Redaktion
"Man muss seiner Intuition und seinen Spinnereien ein bisschen vertrauen", so Anton Zeilinger. Dass er damit Recht behalten sollte, beweist neben zahlreichen Forschungserfolgen nun der Nobelpreis für Physik, der dem Quantenphysiker der Uni Wien am 10. Dezember in Stockholm feierlich verliehen wurde. Mehr über den Physik-Nobelpreis 2022 und eine Nachschau der Nobel Week 2022 finden Sie hier!

Eindrücke von der Nobel Week 2022 in Stockholm

Der Nobelpreis von Anton Zeilinger ist ein großartiger persönlicher Erfolg und zugleich eine Auszeichnung für den Wissenschaftsstandort insgesamt. Herzlichen Glückwunsch an Anton Zeilinger.
Sebastian Schütze, Rektor der Universität Wien

Video von der Nobelpreisverleihung in Stockholm

Am Samstag, 10. Dezember, wurde dem Quantenphysiker Anton Zeilinger der Nobelpreis für Physik 2022 verliehen – er erhält diese höchste wissenschaftliche Auszeichnung zusammen mit Alain Aspect und John F. Clauser für seine bahnbrechenden Forschungsarbeiten zu den Grundlagen der Physik und im Bereich der Quanteninformation.

Nobel Week: Live aus Stockholm!

Auf unseren Social Media-Kanälen (Instagram, Twitter) berichtete Viktoria Kabel, PhD-Studentin in der Gruppe Quantenoptik, Quantennanophysik und Quanteninformation, live von der Nobel Week 2022 in Stockholm und lieferte spannende Einblicke rund um die Nobelpreisverleihung an Anton Zeilinger.

Video der "Nobel Prize lecture" von Anton Zeilinger in Stockholm vom 8. Dezember

Hier können Sie ein Video der "Nobel Prize Lectures in physics" der Nobelpreisträger Alain Aspect, John F. Clauser und Anton Zeilinger sehen. Anton Zeilinger sprach zum Thema "A Voyage through Quantum Wonderland".
It is very important not to oversee that there is a future beyond the present future. You need to develop new fundamental experiments, new ideas, to open up possibilities for applications at a later time.
Anton Zeilinger bei der Pressekonferenz am 7.12. in Stockholm

Nobelpreis-Vortrag von Anton Zeilinger am 25. Jänner 2023

In seinem öffentlichen Nobelpreis-Vortrag am 25. Jänner 2023 um 18 Uhr im Audimax der Universität Wien lädt Anton Zeilinger auf eine Reise durch die wunderbare Welt der Quanten. Der Vortrag wird parallel im BIG-Hörsaal im Hauptgebäude sowie online über die univie-Website gestreamt.

Alle Infos finden Sie hier!

 

Anton Zeilinger: Am Anfang war die Neugier

"Diese hohe Auszeichnung ist nur deshalb möglich geworden, weil mir schon sehr früh die Chance gegeben wurde, in der Physik jene Dinge zu machen, die mich interessiert haben – ohne Rücksicht darauf, ob das einen Nutzen haben könnte", erklärt Anton Zeilinger am Dienstag, 5. Oktober 2022, vor dichtgedrängtem Publikum bei einer Pressekonferenz im Ludwig-Boltzmann Hörsaal der Universität Wien. Alle Kameras sind heute auf ihn gerichtet: Der österreichische Physiker wird, wie die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm an diesem Dienstagvormittag bekannt gab, gemeinsam mit seinen Mitstreitern Alain Aspect und John F. Clauser mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet: für Pionierarbeiten in der Quanteninformation, Experimente mit verschränkten Photonen und den Nachweis der Verletzung der Bellschen Ungleichungen.

Wenn wir die Quantenphysik eines Tages wirklich verstanden haben, wird das noch revolutionärer sein als die Leistungen von Kopernikus und Kolumbus – und zwar für alle, nicht nur für uns Physiker.
Anton Zeilinger (2005)

Der emeritierte Professor der Uni Wien wurde schon länger als Kandidat für die begehrte Auszeichnung gehandelt; als dann tatsächlich am Dienstag um elf Uhr der Anruf aus Schweden kam – Zeilinger arbeitete zu dem Zeitpunkt gerade an einer Publikation und hatte eigentlich darum gebeten, nicht gestört zu werden –, habe er dennoch einen "positiven Schock" bekommen, gesteht der heute 77-Jährige: "Es gibt auch so viele andere." 

"Diese höchste wissenschaftliche Auszeichnung ist der beste Beweis, dass wir Spitzenforschung auf internationalem Niveau betreiben. Das zeigen auch 25 Preise und Exzellenzprogramme im Fach Physik in den vergangenen Jahren", freut sich Rektor Sebastian Schütze und gratuliert Anton Zeilinger "zu diesem großartigen Erfolg aufs Herzlichste". Auch die Fakultät für Physik freut sich riesig über diese "hochverdiente Auszeichnung für Anton Zeilinger, der seit 1999 bei uns die Forschung und Nachwuchsförderung maßgeblich geprägt hat – als Spitzenforscher, wissenschaftlicher Mentor und auch als Dekan unserer Fakultät", so Dekan Robin Golser: "Dass in Österreich insgesamt eine blühende Landschaft für die Quantenforschung besteht, ist auch ein großes Verdienst von Anton Zeilinger. Mit seiner wissenschaftlichen Neugierde und Energie ist er eine Inspiration für alle Fakultätsmitglieder."
 

Von fundamentalen Fragen zu konkreten Anwendungen

Dem schwedischen Komitee zufolge haben Zeilingers Pionierarbeiten in der Quanteninformation und seine Experimente mit verschränkten Photonen "die Brücke von den fundamentalen Fragen der Natur hin zu konkreten Anwendungen geschlagen". Befragt, ob es denn bereits konkrete Anwendungen seiner Arbeit gebe, antwortet Zeilinger auf der Pressekonferenz: "Die Anwendung, die am weitesten gediehen ist, ist Quantenkryptographie" – eine Technologie, die Effekte der Quantenphysik nutzt, um grundsätzlich abhörsicher Information zu übertragen. Vielversprechende Entwicklungen seien auch Quantensimulatoren, um bestimmte Prozesse in Festkörpern nachahmen zu können. Konkrete Anwendungen für "Otto Normalverbraucher" seien noch nicht so weit: "Wir werden wissen, wann das wirklich angewendet wird, wenn wir so etwas nicht mehr in der Hand haben müssen", so der Quantenphysiker und hält sein Handy hoch. Für ihn selbst steht aber ohnehin seit jeher die Grundlagenforschung im Mittelpunkt: Auf die oft an ihn gerichtete Frage, wozu denn das alles gut sei, habe er zumeist geantwortet: "Ich kann Ihnen ganz stolz sagen: Das ist für nichts gut. Das mache ich aus Neugierde", erzählt er.

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Schwerkraft trifft Lichtquanten
Spitzenforscher*innen um Philip Walther und Piotr Chruściel von der Uni Wien möchten das, was bisher noch niemandem gelang: den Einfluss der Schwerkraft auf Lichtquanten experimentell untersuchen. Die internationale Forschungstruppe erhielt für ihr Vorhaben eine der höchsten Förderungen, die der Europäische Forschungsrat vergibt.
Anton Zeilinger bedankt sich zuerst bei seiner Familie und gleich danach bei den europäischen Steuerzahler*innen – diese hohe Auszeichnung sei nur deshalb möglich, weil ihm schon sehr früh die Chance gegeben wurde, den Phänomenen nachzugehen, die ihn wirklich interessieren – ohne Rücksicht darauf, ob das einen "Nutzen" haben könnte. © Jacqueline Godany

Wie alles begann…

Und neugierig war Anton Zeilinger schon immer: Bereits als Kind hat er Dinge in ihre Einzelteile "zerlegt", um zu verstehen, wie sie funktionieren – das Zusammenbauen danach war weniger spannend, erzählt er. Das physikalische Ausnahmetalent wurde am 20. Mai 1945 in Ried im Innkreis (OÖ) geboren und wuchs in einer wissenschaftsfreundlichen Familie auf. Als Gymnasiast in Hietzing begegnete er einem Lehrer, der für komplexe Zusammenhänge begeistern konnte – von 22 Schüler*innen begannen fünf das Physikstudium, darunter Zeilinger. Er studierte Mathematik und Physik an der Universität Wien, wo ihm Helmut Rauch, Pionier der Quantenoptik in Österreich, als Doktorvater zur Seite stand – rückblickend "ein Riesenglück". 

"Ich möchte keine Dinge machen, die Mainstream sind", sagte er 2020 gegenüber der APA, und das war bereits sein frühes Credo. Zu Beginn seiner Karriere sei vieles in dem Feld noch "komplett philosophisch" gewesen und Theorien über quantenphysikalische Zustände wurden als "Spinnerei" abgetan. Aber manchmal muss man "seiner Intuition und seinen Spinnereien ein bisschen vertrauen", kann Zeilinger heute mit Stolz sagen. 

In die weite Welt

Zeilinger arbeitete wie Helmut Rauch mit Neutronen, beschäftigte sich aber bald mit grundlegenden Fragen der Quantenphysik. Nach seiner Habilitation an der TU Wien und einer Forschungsassistenz am Atominstitut Vienna folgten Forschungsaufenthalte in der weiten Welt. Zeilinger war u.a. als junger Fulbright Fellow am renommierten MIT, wo er den späteren Nobelpreisträger Clifford G. Shull kennenlernen sollte.  

Video-Zusammenschnitt der Pressekonferenz mit Anton Zeilinger

© Benjamin Furtlehner

Hier nahm er sich auch verstärkt dem quantenphysikalischen Phänomen der Verschränkung an und beschrieb mit zwei Fachkollegen – Daniel Greenberger und Michael Horne – den "GHZ-Zustand" (wer sich wundert: die Initialen der Physiker waren namensgebend). Gemeint ist damit eine Verschränkung von drei Teilchen; das Besondere daran: Im Gegensatz zu den Bellschen Ungleichungen reichen vier Messungen aus, um die Korrektheit der Quantenmechanik zu zeigen. Das dazugehörige Experiment – und damit der Beweis der theoretischen Vorhersagen – gelang Zeilinger und seinen Kollegen erst in den späten 1990er Jahren. Bis heute gilt das GHZ-Experiment als eine der wichtigsten Erkenntnisse im Werk Zeilingers. 

Immer weiter, immer höher: Von Clifford G. Shull, der 1994 den Nobelpreis erhielt, habe Zeilinger mühsam gelernt, "dass wenn man etwas tut und glaubt man sei schon zufrieden, es sich trotzdem auszahlt, noch genauer zu arbeiten". Im Bild bei einer Physikvorlesung für die breite Öffentlichkeit im Jahr 2013. © derknopfdruecker.com
Anton Zeilinger, damals Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, und Heinz W. Engl, ehemals Rektor der Universität Wien, führten 2017 das erste interkontinentale Quanten-Videotelefonat mit einem Modell des Satelliten "Micius". © ÖAW

Aber damit nicht genug: 1997 gelang ihm die erste Teleportation von Lichtteilchen, die ihm den Beinamen "Mr. Beam" einbrachte, 1997 demonstrierte er im Wiener Rathaus eine mit Quantenkryptographie verschlüsselte Geldüberweisung und 2017 führte er das erste abhörsichere Quanten-Videotelefonat mit seinem Amtskollegen Chunli Bai in China. An der Universität Innsbruck initiierte er schließlich jene Experimente mit verschränkten Photonen, für die er am 10. Dezember 2022 in Stockholm den Nobelpreis entgegennehmen wird.  

Ein besonderer Dank geht an das Team um Anton Zeilinger – mittlerweile sind es rund 200 Mitarbeiter*innen in der ganzen Welt verstreut. Sie waren es, die im Labor standen und die Experimente mit Engagement betreut haben. Der Universität Wien ist er dankbar, dass sie ihm durch die Professur die Möglichkeit gegeben hat, wieder neue Richtungen zu erschließen und auf dem aufzubauen, was er an der Universität Innsbruck begonnen hat. Im Bild: Anton Zeilinger beim Festakt zum 650-Jahr-Jubiläum der Universität Wien 2015. © derknopfdruecker.com

"Heimspiel" an der Universität Wien

Nach Professuren in Innsbruck und München war er seit 1999 Professor für Experimentalphysik an der Universität Wien, seit 2013 bis heute als Professor Emeritus. Sein Auftritt im Ludwig-Boltzmann Hörsaal der Universität Wien, der per Live-Stream übertragen wurde, ist also ein "Heimspiel" – auf der "Fantribüne" gesellen sich zu den üblichen Studierenden aber Fachkolleg*innen, Presse und Bewunder*innen. Das Interesse an der eigenen Person dürfte für den Publikumsliebling und "Wissenschafter des Jahres" (1996) nicht neu sein: Zeilingers Liste an prestigeträchtigen Preise ist lang und reicht vom Wolf-Prize in Physics bis hin zum Großen Goldenen Ehrenzeichen für die Verdienste um die Republik Österreich. Mit dem hochdotierten Nobelpreis hat Zeilinger nun aber den Höhepunkt seiner Karriere erreicht. 

Die Auszeichnung kommt heuer – so wie im Vorjahr – mit zehn Millionen Schwedischen Kronen (knapp 920.000 Euro) daher. Auf die Publikumsfrage, was er denn mit dem Preisgeld vorhabe, muss der 77-jährige Quantenexperte kurz überlegen. Er habe eine große Familie mit Kindern und Enkelkindern: "Da wird sich schon jemand finden", schmunzelt er. (Redaktion/APA)

  • Dieser Beitrag erschien am 7. Oktober 2022 und wird laufend aktualisiert.