Wie baut man einen Quantencomputer in elf Tagen
Abends, irgendwo in einer deutschen Kleinstadt, sitzt Peter Schiansky und Simon Steiner die Deadline im Nacken. Bis morgen müssen sie dringend ein Bauteil mit dem 3D-Drucker fertigen. Den Drucker haben sie extra aus Wien mitgebracht, nur das Netzkabel – ein ganz gewöhnliches Haushaltskabel – ist daheim zurückgeblieben. Aber Not macht bekanntlich erfinderisch: Kurz vor Ladenschluss durchstöbern die beiden jungen Quantenforscher den nahegelegenen Lidl-Supermarkt, spähen heimlich in Verpackungen von Mikrowellen und anderen Elektronikgeräten – und kaufen schließlich einen Toaster, um ihr Projekt zu retten…
Insgesamt vier Wochen verbringt ein 12-köpfiges Forschungsteam der Uni Wien Anfang 2025 in einem speziellen Reinraum des DLR Responsive Space Cluster Competence Centers in Trauen (Deutschland). Nahezu von der Außenwelt abgeschnitten, haben die jungen Quantenforscher*innen nur ein Ziel vor Augen: in Rekordtempo den weltweit ersten funktionierenden Mini-Quantencomputer zu bauen, der im Juni 2025 ins Weltall starten und Erdbeobachtungsdaten liefern soll.
"Die Stimmung war extrem angespannt – wir hatten nur elf Arbeitstage Zeit, um das Flugmodell von Grund auf fertigzustellen", blicken Postdoc Iris Agresti und PhD-Student Simon Steiner zurück. Heute, vier Monate später, sitzen die beiden sehr gelassen und voller Erzähldrang im Büro von Teamleiter Philip Walther in der Boltzmanngasse, vor uns am Couchtisch das 3D-Modell des Miniatur-Quantencomputers: "Unser Zeitslot im Clean Room startete am 14. Jänner, spätestens am 27. Jänner musste die flugfähige Nutzlast für den Einbau in den Satelliten und die Integrationstests bei der Partnerfirma in Italien angekommen sein." Diese Deadline bot keinen Spielraum für Fehler. "Besonders heikel war die Verlegung eines hochsensiblen Glasfaserkabels. Ein falscher Knick, eine unachtsame Berührung – und wir hätten zwei ganze Arbeitstage verloren", erinnert sich Steiner.
Kleines Begriffslexikon für den Satellitenstart
- Satellitennutzlast: Der Teil des Satelliten, der die Hauptmission erfüllt, z. B. Messinstrumente, Kameras oder Kommunikationssysteme. Sie führt die eigentlichen Aufgaben des Satelliten im All aus.
- Flugmodell: Die endgültige, einsatzbereite Version des Satelliten, die für den Start und den Betrieb im All vorgesehen ist. Es wird nach umfassenden Tests auf die Raumfahrtmission vorbereitet.
- Engineering Modell: Ein Prototyp des Satelliten, der hauptsächlich für Tests und Validierungen entwickelt wird. Es dient dazu, die Funktionalität zu prüfen und technische Herausforderungen zu lösen, bevor das Flugmodell gebaut wird.
- Clean Room (Reinraum): Ein speziell klimatisierter Raum, in dem Satelliten und deren Komponenten montiert und getestet werden, um sie vor Staub und Verunreinigungen zu schützen, die die Technik beschädigen könnten.
- Integrationstest: Prüfung, ob verschiedene Systemkomponenten, wie die Nutzlast und der Satellit, reibungslos zusammenarbeiten.
Ein Quantenlabor im Taschenformat
Aber der Reihe nach: Die heiße Phase im Clean Room war der wichtigste Meilenstein einer intensiven Projektarbeit mit vielen Höhen und Tiefen, die bereits im Mai 2023 mit der ersten Idee begann und – so Wetterbedingungen und Technik wollen – im Juni 2025 mit dem Raketenstart die nächste wichtige Hürde nehmen soll. Dann heißt es abwarten und Tee trinken, ob der erste Quantencomputer im All auch funktioniert und wie erwartet Daten liefert.
"Begonnen hat alles mit der Möglichkeit, an einer potenziellen Weltraummission teilzunehmen, die uns einen freien Platz auf einem Satelliten für ein Quantenexperiment bot, also quasi einen Freiflug ins All. Allerdings gab es strenge Zeitvorgaben – alles musste innerhalb eines Jahres fertig sein. Wir entschieden uns, die Challenge anzunehmen und etwas völlig Neues zu probieren, das über die bestehende Quantenkommunikation hinausgeht: nämlich ein komplettes Quantenlabor auf die Dimension einer Satellitennutzlast zu schrumpfen", sagt Philip Walther, Leiter der Forschungsgruppe Quantum Information Science and Quantum Computation. "Wir mussten von der Pike auf alles selbst lernen, da wir keine Raumfahrtingenieure sind. Es war ein klassischer Fall von Learning by doing", fügt Simon Steiner hinzu.
Und auch die Rahmenbedingungen änderten sich: "Ursprünglich war die Mission mit einem Start-up geplant, das jedoch scheiterte. Wir waren daher gezwungen, auf einen anderen Satelliten umsteigen und die Nutzlast anzupassen", schildert Iris Agresti. Quasi in letzter Minute gelang es den Forscher*innen dann, eine hochdotierte Drittmittelförderung einzuwerben: Das Projekt konnte weitergehen.
Know-how für die Quantenforschung im All
Alles in allem arbeitete das Team der Uni Wien eineinhalb Jahre an dem Quantencomputer, zunächst jede*r für sich allein an den verschiedenen Komponenten, wie der Photonenquelle, dem optischen Schaltkreis und den Detektoren, die alle von Grund auf entwickelt werden mussten.
"Aber in der Endphase mussten wir alles zusammenbringen, und das auf einem Raum von weniger als drei Litern: das mechanische Gerüst, die Optik, die Elektronik mit dem Bordcomputer inklusive Software und insbesondere die Schnittstelle zum Trägersatelliten. Das war eine intensive Zeit, aber auch eine wertvolle Erfahrung", so Agresti. "Jede*r brachte seine Expertise ein, und wir mussten lernen, uns gegenseitig zu vertrauen", sagt Steiner: "Der größte Erfolg war dann, dass unser Quantencomputer alle Tests bestanden hat und nun bereit ist, ins All zu fliegen."
Dieses Projekt hat uns zu einer "Raumfahrtgruppe" gemacht. Wir haben nun das Know-how, um weitere Experimente im All durchzuführen, sei es für fundamentale Quantenphysik oder praktische Anwendungen.Philip Walther
Hightech-Teamwork im Clean Room
In den insgesamt vier Wochen im Clean Room entstanden zwei Modelle des Mini-Quantencomputers: ein Flugmodell für den Einsatz im All – fertiggestellt in elf Tagen – und anschließend ein identisches Ersatzmodell für Tests auf der Erde. In dieser kurzen Zeit mussten alle Einzelkomponenten geprüft und optimiert, in ein kompaktes Gehäuse eingebaut und anschließend präzise aufeinander abgestimmt werden. Dabei kam Expertise aus den Bereichen Quantenphysik, Raumfahrttechnik, Elektronik und Softwareentwicklung zum Einsatz.
Das Projektteam: Iris Agresti, Mathias Dragosits, Martin Mauser, Daniel Martinez, Raphael Pimenta, Simon Steiner, Zhenghao Yin (Universität Wien); Peter Schiansky (Universität Wien/Qubo Technology); Tobias Guggemos, Antonius Scherer (Universität Wien/DLR); Riccardo Albiero, Francesco Ceccarelli (Istituto di Fotonica e Nanotecnologie, Mailand) und Niki di Giano (Polytechnikum Mailand).
Tipp: Im Rahmen der Podiumsdiskussion zur Semesterfrage am 16. Juni können Sie Mitglieder des Projektteams kennenlernen und mehr über den Mini-Quantencomputer erfahren!
Datenverarbeitung ohne Umwege
Was bringt uns nun ein Quantencomputer im All? Der große Vorteil liegt darin, dass er "Edge Computing" ermöglicht. Das bedeutet, dass die Daten direkt auf dem Satelliten verarbeitet werden. Dies spart Zeit und Energie, da die Daten nicht über Kommunikationskanäle übertragen werden müssen. Stattdessen liefert der Satellit die Analyseergebnisse – z.B. die Erkennung eines Waldbrandes – direkt.
Außerdem rechnen Quantencomputer energieeffizienter. So können optische Systeme mathematische Operationen, die für klassische Computer sehr rechenintensiv sind (wie etwa sogenannten Fourier-Transformationen oder Faltungen), analog durchführen, indem sie die Physik von Interferenz und Beugung ausnutzen. Das von den Wiener Quantenphysiker*innen entwickelte System ist zudem vielseitig einsetzbar und kann für zukünftige Missionen angepasst werden.
"Darüber hinaus ermöglicht uns diese Mission, die Leistung und Haltbarkeit von Quantenhardware unter extremen Bedingungen zu testen – wir können untersuchen, wie lange sie in der rauen Umgebung des Weltraums funktionsfähig bleiben", erklärt Philip Walther.
Wir arbeiten mit Photonen, den Teilchen des Lichts, weil sie sich ideal für Quantenanwendungen eignen. Sie sind schnell, interagieren kaum mit der Umgebung und ermöglichen präzise Informationsverarbeitung.Iris Agresti
Mehr über die Forschung der "Walther Group"
Philip Walther und sein Team an der Uni Wien sind Pioniere bei der Entwicklung photonischer Quantentechnologien für Quantencomputer, welche sie – typisch für die lange Tradition der Quantenforschung an der Universität Wien – mit der Forschung zu grundlegenden Quantenphänomenen verbinden. Das reicht von der Kontrolle einzelner Lichtteilchen bis hin zur Erforschung von Gravitationskräften. Damit sind die Quantenphysiker*innen der Uni Wien im weltweiten Wettlauf um die nächste Generation von Quantentechnologien vorne mit dabei.
- Mehr "Quäntchen Wissen" gibt es in unserer YouTube-Playlist zur Semesterfrage!
Was diese engagierte, kreative Truppe mit der Entwicklung des ersten photonenbasierten, weltraumfesten Quantencomputers geleistet hat, könnte den Uni Wien-Professor kaum stolzer machen: "Es gab eine unglaubliche Hingabe in diesem Team, das sich hingestellt und gesagt hat: 'Wir haben die Chance, mit diesem Projekt die ersten auf der Welt zu sein, viele Jahre bevor andere Länder soweit sind'", sagt Philip Walther.
Das Endprodukt ist ein voll funktionsfähiges System, das man buchstäblich aus dem fünften Stock werfen könnte, ohne es kaputt zu machen: "Damit zeigen wir, dass auch kleinere Forschungsteams in der Lage sind, ehrgeizige und neuartige Ergebnisse zu erzielen, ohne notwendigerweise auf sehr große Plattformen skalieren zu müssen, wie es große internationale Akteure wie IBM oder Google tun."
Steckbrief eines Mini-Quantencomputers
- Größe: 150x150x453mm
- Gewicht: ca. 9,5 kg
- Material: Aluminiumrahmen, optischer Schaltkreis aus Borosilikatglas, Kohlefaserrahmen für die Einzelphotonenquelle, Titanhalterungen für empfindliche Komponenten, optische Glasfasern, optische Linsen, Fokussierobjektive, sehr viel Klebstoff (!)
- Energieverbrauch: weniger als 30 W
- Funktionen: Der Quantencomputer kann Bilder der Erde aufnehmen und Transformationen auf Einzelphotonen durchführen. Dies ermöglicht Experimente im Bereich maschinellen Lernens und andere geplante Experimente.

Quantenphysik trifft Schwerelosigkeit
Die Raumfahrtindustrie wächst rasant, und es besteht ein großer Bedarf an innovativen Technologien. "Unsere Erkenntnisse können dazu beitragen, Quantenhardware für kommerzielle und wissenschaftliche Anwendungen weiterzuentwickeln, etwa in den Bereichen Erdbeobachtung, Klimaforschung oder Kommunikation", blickt Philip Walther in die Zukunft. Für die Grundlagenforschung sei es besonders spannend, fundamentale Fragen der Quantenphysik zu untersuchen, wie z.B. die Wechselwirkung von Quantenverschränkung mit Gravitation oder die Stabilität von Quantenphänomenen unter kosmischer Strahlung.
Mission accomplished
Bis zum tatsächlichen Satellitenstart heißt es jetzt erstmal Zittern. Und danach wieder: Die ersten Signale – und damit die Gewissheit, dass der Quantencomputer im All läuft – sind frühestens eine Woche später zu erwarten. Was auch passiert – für das Team um Iris Agresti und Simon Steiner ist das Projekt bereits ein Erfolg. Sie haben einen Mini-Quantencomputer gebaut, dessen Weltraumtauglichkeit offiziell bestätigt wurde – eine technologische Meisterleistung. Sie haben gezeigt, was die Kombination aus interdisziplinärer Expertise und Teamgeist möglich machen kann – und sind zu Raumfahrtexpert*innen geworden.
Dem kleinen Quantencomputer ist übrigens kein Schicksal als Weltraumschrott beschieden, der Satellit wird nach Abschluss seiner Mission kontrolliert in der Atmosphäre verglühen. Bis dahin könnte er Daten liefern, die die Zukunft der Quantenforschung prägen – wir von der Rudolphina blicken gemeinsam mit den Wiener Quantenphysiker*innen in die Sterne und halten Sie, liebe Leser*innen, weiter auf dem Laufenden.
Ask the scientists: Stellen Sie Ihre Fragen zum Quantencomputer im All!
Im Anschluss an die Podiumsdiskussion zur Semesterfrage am Montag, 16. Juni 2025, stehen Mitglieder des Quantensatelliten-Projekts aus der Forschungsgruppe Philip Walther den Besucher*innen für Fragen zur Verfügung und bringen Anschauungsmaterial von der Entwicklung des Quantencomputers "zum Anfassen" mit.
Podiumsdiskussion: Wie verändert Quantenforschung unsere Wirklichkeit?
In Kooperation mit Science Talks (BMFWF) und "Der Standard"
Mit: Renate Loll (Radboud Universtät, Nijmegen, NL), Markus Aspelmeyer (Universität Wien), Christina Hirschl (CEO Silicon Austria Labs) und Thomas Jennewein (Simon Fraser University, Vancouver, CAN); im Anschluss Umtrunk und Mitmachstationen zur Quantenforschung. Moderation: Gerold Riedmann (Der Standard)
- Wann: Montag, 16. Juni 2025, 18 Uhr
- Wo: Aula der Wissenschaften, Wollzeile 27a, 1010 Wien
- Nähere Informationen
- Zur Anmeldung
Das Projektteam dankt dem WSM-Supervisionsteam (David Kleemann, Hannes Brandt, David Freiknecht) vom RSC3 (Responsive Space Cluster Competence Center) am DLR-Standort Trauen für seine Unterstützung und die Bereitstellung der Testinfrastruktur.
- Video-Playlist zur Semesterfrage: Wie verändert Quantenforschung unsere Wirklichkeit?
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