Archäologie als Game-Changer

Was uralte Gene über uns verraten

16. Mai 2022 von Lisa Kiesenhofer
Mit neuesten wissenschaftlichen Methoden wollen Tom Higham und Katerina Douka von der Universität Wien ein altes Rätsel der Evolution lösen: Warum hat Homo sapiens als einzige Menschenart bis heute überlebt?

In unserer DNA steckt mehr Steinzeit als gedacht: Wir alle tragen Neandertaler-Gene in uns – Menschen europäischer oder asiatischer Herkunft einen höheren Anteil (durchschnittlich zwei Prozent) als etwa Menschen afrikanischer Herkunft. Diese archaischen Überbleibsel in unserem Erbgut erklären nicht nur verschiedene genetische Veranlagungen im modernen Menschen, sondern beweisen auch, dass unterschiedliche Menschenarten vor über 40.000 Jahren Kontakt zueinander hatten. 

Warum hat Homo sapiens als einzige Menschenart überlebt?

Prähistorische Knochenfragmente und Zähne zu untersuchen und zu datieren ist das täglich Brot von Tom Higham und Katerina Douka: Von Pinsel und Spatel bis hin zu High-Tech-Geräten wie etwa dem laserbasierten Massenspektrometer ist den beiden Expert*innen auf dem Gebiet der molekularen Archäologie dabei keine Forschungsmethode fremd. 

Douka und Higham sind nicht nur langjährige Forschungspartner*innen, sondern auch privat ein Paar, und 2021 von der Universität Oxford bzw. dem Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte an die Universität Wien gekommen. Als wir sie zum Interview im kürzlich eröffneten Biologiezentrum treffen, ist das Team noch damit beschäftigt, die neuen Labors zur Erforschung uralter DNA einzurichten. Auch wenn noch einige Geräte fehlen, die Kaffeemaschine in der kleinen Küche nebenan läuft jedenfalls schon auf Hochtouren.

Seit 15 Jahren arbeiten Higham und Douka gemeinsam mit internationalen Kolleg*innen an einem besseren Verständnis der "entscheidenden Phase" des Paläolithikums (Altsteinzeit) zwischen 150.000 und 30.000 Jahren vor unserer Zeit. Vermutlich bevölkerten damals mindestens acht unterschiedliche Menschenarten die Erde – möglicherweise sogar mehr –, die sich untereinander vermischten und Genmaterial austauschten. "Mit Blick auf die lange Evolutionsgeschichte des Menschen erleben wir heute also ungewöhnlichen Zeiten", sagt uns Tom Higham und erklärt: "Über mehrere Millionen Jahre hinweg haben wir diesen Planeten mit anderen verwandten Homininen-Gruppen geteilt. Und jetzt sind da nur noch wir Menschen und unsere Cousins, die Menschenaffen." 

Versteckt in einem Knochenfragment: Beweis für die Vermischung von Mensch und Neandertaler

Einer der wichtigsten Beiträge, den Douka und Higham zur Erforschung der frühen Menschheitsgeschichte geleistet haben, lag verborgen in einem winzigen Knochen aus der Denissowa-Höhle in Sibirien. Aber von vorne: "Vor 2010 herrschten heftige Debatten zwischen wissenschaftlichen Lagern zur Frage, ob sich unterschiedliche Arten getroffen und möglicherweise Ideen oder ähnliches ausgetauscht haben könnten oder nicht", blickt Katerina Douka zurück. Diese Situation änderte sich drastisch, als man vor 12 Jahren das Neandertaler-Genom veröffentlichte und zeigen konnte, dass heute lebende Menschen einen Teil Neandertaler-DNA in sich tragen. "Menschen und Neandertaler haben sich also tatsächlich vermischt."

Aber wie oft kam das vor? Anscheinend regelmäßiger als vermutet. "2015 fanden wir mithilfe der revolutionären Kollagen-Fingerprinting-Methode 'ZooMS' ein winziges menschliches Knochenfragment. Uralte mitochondriale DNA aus dem Knochen ließ zunächst vermuten, dass wir es mit einem Neandertaler zu tun haben. Nach der vollständigen Sequenzierung stellte sich aber überraschend heraus, dass die DNA einem geschätzt 13-jährigen Mädchen entstammte, das zwar eine Neandertalerin zur Mutter, aber einen Denisova-Mensch zum Vater hatte. Damit hatten wir zum ersten Mal einen sogenannten 'F1-Hybriden' gefunden, also einen Nachkommen erster Generation von zwei verschiedenen Menschenarten", erläutert Katerina Douka.

Cose up of Tom highams Hand wearing latex gloves. He holds a tiny bone in his hand
Ein wesentlicher wissenschaftlicher Durchbruch kam mit der Analyse dieses kleinen Knochenstücks: Es stammt von einem 13-jährigen Mädchen, dessen Vater ein Denisova-Mensch und dessen Mutter eine Neandertalerin war. Damit konnte eindeutig gezeigt werden, dass sich unterschiedliche Menschenarten gepaart haben und Nachkommen zeugten. © feelimage - Matern

Mit Radiokarbondatierung und DNA-Analyse: Die Geschichte der Menschheit neu schreiben

Nur ein paar Jahre zuvor wäre so ein Fund nicht möglich gewesen, weil es schlichtweg die Methoden nicht gab. "Heute reichen uns wenige Milligramm Pulver aus winzigen archäologischen Knochenfragmenten – und tatsächlich lagern tonnenweise Knochen in Archiven weltweit –, um die zugehörige Art richtig zu bestimmen. Und auf diese Weise bisher versteckte, potentiell menschliche Fragmente zu finden, wie ebenjenen kleinen Denisova-Knochen", ist Tom Higham begeistert.

Aber nicht nur die Methoden zur Untersuchung menschlicher Überreste haben sich in den vergangenen 20 Jahren fundamental verbessert. Um ihre grundlegenden Fragen zur Herkunft und zum Verhalten unserer Vorfahren zu beantworten, nutzt die moderne Archäologie Techniken aus den unterschiedlichsten Fachgebieten, u.a. Satelliten- und Lasertechnologie, Künstliche Intelligenz, Elektronenmikroskopie, Computertomographie, Teilchenbeschleunigung und viele mehr. 

Aufregende Zeiten also, sowohl für die Archäologie als auch für Douka, Higham und ihre Kolleg*innen an der Universität Wien. In ihrem Fachgebiet ganz vorne mit dabei, entwickeln sie neue Methoden und Ansätze und bringen ans Licht, wie frühe Menschen gelebt und interagiert haben und noch heute in unseren Genen weiterleben. Und nähern sich damit Stück für  Stück einer der grundlegendsten Fragen überhaupt: Woher kommen wir? 

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MEET THE SCIENTISTS
The archaeologists Katerina Douka and Tom Higham examine ancient fragments and bones to better understand how humans evolved. In two videos, the radiocarbon dating experts explain their research – and why fun is an important part of it.
Katerina Douka  is holding a skull in her hands. She shows her partner - Tom Higham - the conspicuities of the teeth in the scull. Meanwhile Tom Higham opens a casket full of bones.
"Evolution ist wie ein Fluss aus DNA, dem wir zurück durch die Geschichte zur Quelle folgen können und in dem wir Kreuzungen und Verbindungen zwischen Menschen finden", erzählt Tom Higham, im Bild gemeinsam mit Fachkollegin Katerina Douka beim Betrachten fossiler menschlicher Zähne. © feelimage - Matern

Die Evolution menschlicher DNA verstehen – und mehr über uns Menschen erfahren

Welche Bedeutung hat dies alles für unser Leben heute? "Archäologie ist die einzige Methode, mit der wir die weit zurückliegende Vergangenheit verstehen können. Moderne archäologische Methoden wie die Erforschung uralter DNA (Ancient DNA) zeigen, dass es zahlreiche Momente gab, wo sich die verschiedenen menschlichen Gruppen vermischt haben, und dass die gesamte heutige Weltbevölkerung genetisch eng miteinander verbunden ist", sagt Tom Higham. 

Menschen nehmen oft Unterschiede untereinander wahr, zum Beispiel die Hautfarbe. Die Archäologie kann die Geschichte dahinter erzählen. Ein Beispiel: In den 1970er Jahren wurde in der Cheddar Gorge in Somerset (England) ein etwa 11.000 Jahre altes menschliches Skelett gefunden. DNA-Analyse und moderne Technologie ermöglichten es zu rekonstruieren, wie die Person zu Lebzeiten ausgesehen haben muss: Der sogenannte "Cheddar Man" hatte eine dunkle Hautfarbe und helle blaue Augen. Diesen Phänotyp gibt es heute nicht mehr. 

"Wir wissen allerdings, dass dieser Phänotyp auch andernorts in Westeuropa verbreitet war. Was ist also geschehen? Die frühesten Homo sapiens, die nach Eurasien gekommen sind, hatten eine dunklere Hautfarbe, weil sie ursprünglich in wärmeren Gebieten beheimatet waren", erzählt der Archäologe weiter, "der Phänotyp mit hellerer Hautpigmentierung ist erst in den vergangenen paar tausend Jahren in Europa entstanden, durch die Ankunft von Bäuer*innen aus dem Nahen Osten." Sie besaßen zwei Gene, die für eine hellere Hautfarbe verantwortlich sind und vermutlich deshalb an Bedeutung gewonnen haben, weil diese Hautpigmentierung die Synthese von Vitamin D erleichtert. "Diese Daten zeigen uns, dass hier erst vor kurzem Evolution stattgefunden hat, und dass Hautfarbe eben nur 'skin-deep' ist", so Higham.

Wann hat der Mensch begonnen, sich "menschlich" zu verhalten?

Tom Higham: Die Archäologie kann uns jede Menge über den Ursprung des modernen menschlichen Verhaltens erzählen und einen Einblick in die Entwicklung des Gehirns und der Kognition geben. Wir finden in Afrika über 100.000 Jahre alte Belege für menschliches Verhalten, beispielsweise frühe Formen der Symbolkunst, oberflächliche Zeichnungen und Muster, die auf Ockerstücke aufgebracht wurden, das Aufkommen von frühen Ornamenten und Schmuck aus Schalen und Eierschalen, Tierzähne, in die Löcher gebohrt wurden, um sie um den Hals zu tragen, usw. 

Später finden sich Beweise für Bestattungsriten, bei denen Menschen Gegenstände als Grabbeigaben erhielten, die sie offensichtlich in ihrem Leben verwendet hatten. Rituale und Glaube müssen damit verbunden gewesen sein. Beispiele für Kunst auf Höhlenwänden datieren mindestens 45.000 Jahre zurück, vielleicht sogar noch weiter. An einigen Stätten in Eurasien fand man Belege für Musik in Form von Flöten aus den Flügelknochen von Schwänen und Mammutelfenbein, die 40.000 Jahre alt sind. Damit konnten dieselben Töne erzeugt werden wie mit modernen Musikinstrumenten.

Lesen Sie mehr zum Thema "Was bestimmt menschliches Verhalten?" im Rahmen der Semesterfrage 2022

 

Universität Wien: "Hotspot" für Forschung zur frühen Menschheitsgeschichte

Das Schicksal der unterschiedlichen Menschenarten vor 50.000 Jahren steht auch in Zukunft im Zentrum der Forschung von Katerina Douka und Tom Higham. Eine Frage konnte bereits beantwortet werden: Neandertaler sind nicht einfach über Nacht ausgestorben. Die Art hat sich mit anderen gekreuzt und ihre DNA lebt bis heute in uns weiter. "Aber wie bei jeder guten Antwort entstehen daraus eine Reihe weiterer Fragen", erklärt Tom Higham und grinst Katerina Douka an: "Wir glauben, dass Wien das Potential hat, eines der bedeutendsten internationalen Zentren in diesem Forschungsbereich zu werden. Die Universität Wien ist ein echter Hotspot." 

Auf dem Schreibtisch der beiden Archäolog*innen wartet auch schon ein großer Sack voller Probenmaterial darauf, mit noch mehr Cutting Edge-Technologie analysiert zu werden – entwickelt, um einige der größten Rätsel unserer Herkunft zu lösen. Die Antwort steckt vielleicht schon im nächsten winzigen Knochenstück.

 

Der Artikel erschien im Original auf Englisch. (Übersetzung: Barbara Heinisch; Redaktion: Bernadette Ralser)
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Katerina Douka ist Assistenzprofessorin am Department für Evolutionäre Anthropologie an der Fakultät für Lebenswissenschaften. Sie gehört dem Forschungsverbund Human Evolution and Archaeological Sciences (HEAS) an.

Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Radiokarbondatierung, insbesondere die Entwicklung neuer Protokolle für die Dekontanimierung archäologischen Materials, sowie die statistische Auswertung von AMS-Ergebnissen mittels Bayesscher Statistik.

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Tom Higham leitet den Forschungsverbund Human Evolution and Archaeological Sciences (HEAS). Er ist ebenso Professor für Archäologie der Naturgeschichte im Department für Evolutionäre Anthropologie.

Seine Forschungsgebiete umfassen: Radiokarbondatierung mittels Beschleuniger-Massenspektrometrie (AMS); substanzspezifische Aufbereitung von Radiokarbonproben und chemische Vorbehandlung; das mittlere bis spätere paläolithische Zeitalter Eurasiens, Neandertaler, Denisova-Menschen und anatomisch moderne Menschen; archäologische Chronologien