Rudolphina Reads

"Verbotene Beziehungen" von Natascha Bobrowsky

4. Juni 2025 von Sebastian Deiber
Dass im nationalsozialistischen Österreich auch homosexuelle Frauen verfolgt wurden, blieb lange unbeachtet. Über ihre Schicksale ist entsprechend wenig bekannt. Natascha Bobrowsky, Historikerin an der Uni Wien, macht Lebensgeschichten sichtbar, die noch nie gehört wurden.
Bis 1971 wurde Homosexualität in Österreich kriminalisiert – sowohl zwischen Männern als auch Frauen. Die Verfolgung lesbischer Frauen in der NS-Zeit ist wenig erforscht. Mit "Verbotene Beziehungen" interveniert Natascha Bobrowsky in diese Wissenslücke. Als erste berücksichtigte sie dabei Strafakten und Dokumente aus allen Bundesländern.

Rudolphina: Frau Bobrowsky, worum geht es in Ihrem Buch und warum haben Sie es geschrieben?

Natascha Bobrowsky: In meinem Buch erzähle ich elf Fallgeschichten über 21 Personen, die zwischen 1938 und 1945 in Österreich nach §129Ib StG verurteilt wurden. Dieser Paragraph des Strafgesetzes von 1852 kriminalisierte sowohl homosexuelle Handlungen zwischen Männer als auch Frauen. Das blieb auch so nach dem Anschluss an den NS-Staat, obwohl in Deutschland nur männliche Homosexualität illegal war.

Ich habe versucht, die Menschen hinter den Gerichtsakten greifbar zu machen und die Geschichten der Verfolgten nachzuerzählen: Wie lernten sich die Frauen kennen, wie kommunizierten sie miteinander und was ereignete sich nach der Verurteilung? Um die Biografien zu rekonstruieren, bin ich in Archive in ganz Österreich gefahren, habe alle relevanten Gerichtsakten durchgesehen und digitalisiert.

Mit dem Buch möchte ich die Ergebnisse dieser Arbeit einem breiten Publikum zugänglich machen. Dafür habe ich die persönlichen Geschichten der Frauen mit historischen Hintergrundinfos ergänzt, etwa indem ich erkläre, was es mit dem Jugendkonzentrationslager für Mädchen und junge Frauen Uckermark auf sich hatte. So will ich vermitteln, in welchem Kontext die individuelle Verfolgungssituation stattfand.

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Buchtipp: "Umgang mit einem schwierigen Erbe" von Franz-Stefan Meissel

Der Band reflektiert Österreichs Umgang mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit aus juristischer Sicht. Die Themen reichen von Rechtswissenschaft und Zivilrechtspraxis in der NS-Zeit Österreichs bis hin zur Restitution von in der NS-Zeit entzogenem Vermögen in der Nachkriegszeit. 

Hier gehts zum Nachbericht der Buchpräsentation. 

Rudolphina: Welche Strafen drohten homosexuellen Frauen in Österreich?

Natascha Bobrowsky: Das Strafgesetz sah ein bis fünf Jahre schweren Kerker vor, das war eine erschwerte Form von Haftstrafe. Diese Höchststrafe wurde aber so gut wie nie ausgesprochen. Häufiger waren zum Beispiel drei Monate Gefängnis, in anderen Fällen aber auch zweijährige Zuchthausstrafen, die von Zwangsarbeit begleitet waren. Für Frauen mit Sorgepflichten gab es zwar kürzere Haftstrafen, diese wurden aber oft durch Maßnahmen wie strenge Fastentage oder Lager auf harten Brettern verschärft. Manche Strafen sind wiederum nur bedingt ausgesprochen worden.

Rudolphina: Warum wurden lesbische Frauen in Nazi-Deutschland nicht strafrechtlich verfolgt?

Natascha Bobrowsky: Erstens ist Frauen generell die sexuelle Autonomie abgesprochen worden – es war also außerhalb des Vorstellungsvermögens, dass Frauen Sexualität ohne einen Mann ausleben können. Zweitens haben die Nazis die Rolle der Frau so geringgeschätzt, dass sie dachten, weibliche Homosexualität könne das "gesunde Volksempfinden" gar nicht nennbar stören. Und drittens war für die Nazis ausschlaggebend, dass lesbische Frauen ungeachtet ihrer sexuellen Orientierung gebärfähig sind.

Grafik mit vier von Natascha Bobrowsky empfohlenen Büchern
"Verbotene Beziehungen" (1) von Natascha Bobrowsky und Leseempfehlungen der Autorin. "Homosexualitäten"(2) von Franz X. Eder bietet einen Überblick über die zeitgenössische Rezeption gleichgeschlechtlicher Liebe. "Als homosexuell verfolgt" (3) von Andreas Brunner ist ein opulenter Band mit anschaulichem Bildmaterial und Biografien von Verfolgten aus allen Wiener Bezirken. Als Kontrastprogramm zum Schmunzeln empfiehlt Natascha Bobrowsky das neueste Werk von Stefanie Sargnagel, "Iowa" (4). © Barbara Veit (Grafik) und die Verlage (Buchcovers)

Rudolphina: Wurden lesbische Frauen in Konzentrationslager deportiert?

Natascha Bobrowsky: Ja, allerdings ist das teilweise schwierig nachzuweisen, da die Quellenlage sehr dünn ist. Homosexuelle Männer wurden in Konzentrationslager mit einem rosa Winkel gekennzeichnet. Dies war nicht der Fall bei Frauen. Einige Studien belegen, dass homosexuelle Frauen in KZs als "Asoziale", also mit einem schwarzen Winkel, gekennzeichnet wurden. Ihre Verfolgung als homosexuell bleibt damit häufig verdeckt. Letztlich wäre es aber unzureichend, nur anhand von Nazi-Kategorien oder der damaligen Rechtslage festzumachen, ob jemand als Verfolgte*r galt oder nicht. Fest steht: Weibliche Homosexualität wurde von den Nazis nicht toleriert ‒ als abweichend von der Norm wurden lesbische Frauen stigmatisiert und verfolgt.

Rudolphina: Homosexualität blieb auch in der Zweiten Republik lange illegal – wie lange dauerte es, bis sich das änderte?

Natascha Bobrowsky: Nach 1945 galt in Österreich weiterhin das Strafgesetz von 1852 mit seinem § 129Ib. Das Totalverbot von Homosexualität fiel erst mit der "Kleinen Strafrechtsreform" von 1971. Aber auch später gab es Folge-Tatbestände, wodurch Homosexualität weiterhin im österreichischen Strafrecht sanktioniert wurde. Es gab das Verbot männlicher homosexueller Prostitution bis 1989, das Vereinsverbot und das Werbeverbot bis 1997, sowie bis 2002 das erhöhte Schutzalter für männliche homosexuelle Kontakte von 18 statt 14 Jahren.

Rudolphina: Zurück in die Jahre 1938 bis 1945. Die Gerichtsakten, die Sie analysiert haben, stellen die Strafprozesse der verurteilten Frauen aus der Sicht der Ermittler*innen dar. Wie ist es Ihnen gelungen, aus den juristischen Unterlagen die persönliche Perspektive der Verfolgten herauszuarbeiten?

Dabei helfen sogenannte Sprachcodes. Ich habe mir angeschaut, welche Phrasen wahrscheinlicher von den Ermittler*innen oder von den Verfolgten stammen. Wenn es in bestimmten Formulierungen etwa um Gefühle wie Liebe oder Freundschaft geht, dann lässt sich eher auf die Ebene der Verfolgten schließen. Solche Stellen finden sich teilweise in Verhörprotokollen. 

Manchmal liegen als Beweismaterial auch Briefe bei. In zwei Fällen mussten Personen im Gefängnis Lebensläufe verfassen. Wobei man dabei berücksichtigen muss, dass diese nicht immer verlässlich sind, da sie in einer psychischen Extremsituation und teils unter Aufsicht zu Papier gebracht wurden. Oder es gab beispielsweise auch Atteste von Lehrkräften aus der Schulzeit. Aus all dem in Kombination mit den persönlichen Stammdaten konnte ich auf einige Details im Leben der verfolgten Menschen schließen.

Event-Tipps: Buchpräsentationen mit der Autorin

Rudolphina: Gibt es einen Fall, der Sie besonders berührt hat?

Natascha Bobrowsky: Länger beschäftigt hat mich der Fall einer jungen Kärntnerin, die nach § 129Ib StG verurteilt wurde und in weiterer Folge ins KZ Ravensbrück deportiert wurde und dann weiter nach Mauthausen. Ich habe ihren Verfolgungsweg relativ gut rekonstruieren können. Ich weiß nicht, ob sie die Befreiung von Mauthausen überlebt hat, weil auf ihrer Häftlingspersonalkarte kein Sterbedatum vermerkt ist und ich weder Meldedaten noch ein Grab ausfindig machen konnte.

Rudolphina: Interessant ist auch, wie manchmal die Grenze zwischen Opfer und Mittäterin verschwimmt.

Natascha Bobrowsky: So ist es ‒ manche Frauen, die angezeigt wurden, waren NS-Sympathisantinnen oder haben eine Funktion im NS-Staat übernommen. Zum Beispiel Lilli R.: Sie wurde angezeigt, weil sie mit Elisabeth S. Geschlechtsverkehr gehabt haben soll. Nachdem sie aber der Polizei eröffnete, dass sie sich im KZ Ravensbrück als Aufseherin beworben hat, wurde ihr Verfahren sofort eingestellt. In ihrer Beziehung mit Elisabeth S. gab es auch Momente von Gewalt. Ich wollte auch diesen Ambivalenzen Raum geben.

Rudolphina: Haben Sie eine Empfehlung zum Weiterlesen für alle, denen Ihr Buch gefällt?

Natascha Bobrowsky: Ein gutes Überblickswerk ist "Homosexualitäten. Diskurse und Lebenswelten von 1870 bis 1970" von Franz X. Eder. Darin werden unter anderem sexualwissenschaftliche Diskurse angesprochen. Zum Beispiel wie Homosexualität zeitgenössisch wahrgenommen und pathologisiert wurde. Auch rechtshistorische Themen werden behandelt, wie eben der Unterschied in der strafrechtlichen Verfolgung zwischen Österreich und Deutschland. Das Buch beleuchtet sowohl männliche als auch weibliche Homosexualität. Es eignet sich sehr gut zum Einlesen in verschiedene Aspekte des Themas in einer größeren Zeitspanne. 

Rudolphina: Welches Buch können Sie noch empfehlen, um sich weiter ins Thema zu vertiefen?

Natascha Bobrowsky: Das wäre "Als homosexuell verfolgt" von Andreas Brunner. Es erzählt 23 Wiener Biografien von verfolgten Männern und Frauen aus der NS-Zeit. Diese sind nach Bezirk sortiert, das heißt, für jeden Wiener Bezirk wird ein Fall präsentiert. Das Buch ist sehr hochwertig gestaltet und mit tollem Bildmaterial ausgestattet, das Schauplätze und Personen zeigt und auch die Quellen, mit denen wir Historiker*innen arbeiten.

Rudolphina: Welche Lektüre liegt gerade auf Ihrem Nachtkästchen?

Natascha Bobrowsky: Es ist angenehm, mal den Kopf freizubekommen, daher liegen dort keine Bücher über Strafverfolgung. Zuletzt habe ich Iowa von Stefanie Sargnagel gelesen. Im September bin ich selbst durch die USA gereist und viele Dinge, über die Sargnagel schreibt, habe ich beim Lesen wiedererkannt. Zum Beispiel den Greyhound-Bus: Das ist ein Reisebus, der durch ganz Amerika fährt, und von dem sie sehr amüsante Geschichten erzählt. Die Texte sind mit augenzwinkernden, "korrigierenden" Fußnoten von Christiane Rösinger versehen, die dem ganzen einen besonderen Pepp und Witz verleihen. Eine sehr schöne Abendlektüre zum Schmunzeln!

Alle Infos zu "Verbotene Beziehungen – Weibliche Homosexualität im nationalsozialistischen Österreich"

Erst seit 2005 werden in Österreich Menschen, die als homosexuell verfolgt wurden, zu den Opfern des Nationalsozialismus gezählt. Die Biografien der Frauen, die wegen gleichgeschlechtlichen Handlungen zwischen 1938 und 1945 nach § 129Ib StG beschuldigt, verurteilt und inhaftiert wurden, sind von der Forschung bisher nur wenig beachtet worden. "Verbotene Beziehungen" interveniert in diese hegemoniale Geschichtsschreibung. Anhand von Gerichtsakten angeklagter Frauen widmet sich Natascha Bobrowsky deren Lebenszusammenhängen und Beziehungen, um Geschichten zu erzählen, die noch nie gehört wurden (aus dem Klappentext).

Mandelbaum Verlag, 232 S.

Hier finden Sie das Buch in der Universitätsbibliothek.

Buchcover von "Verbotene Beziehungen". Oranger Einband mit blauem Titel
Natascha Bobrowsky studierte Kunstgeschichte, Gender Studies und Geschichte an der Universität Wien. Derzeit arbeitet sie als Universitätsassistentin am Institut für Geschichte der Universität Wien und verfasst ihre Dissertation zur strafrechtlichen Verfolgung weiblicher Homosexualität in Österreich während des Nationalsozialismus.

Ihre Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem im Bereich der Frauen- und Geschlechtergeschichte, österreichischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sowie Rechtsgeschichte.