Rudolphina Experts: Rechtsgeschichte

Recht gegen rechts: Das Verbotsgesetz damals und heute

7. Mai 2025 Gastbeitrag von Kamila Staudigl-Ciechowicz

Der Leitsatz "Nie wieder" hat die Rechtsprechung der Zweiten Republik früh geprägt. Doch nicht immer haben die Maßnahmen die gewünschte Wirkung entfaltet. Im Gastbeitrag erklärt die Rechtshistorikerin Kamila Staudigl-Ciechowicz die bewegte Geschichte von Entnazifizierung und Verbotsgesetz – und wie wehrhaft unsere Verfassung heute ist.

Anfang Mai 2025 jährt sich zum 80. Mal die Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschen Reiches. Jahrestage wie dieser sind immer ein Anstoß, innezuhalten und zurückzublicken. Gleichzeitig gibt das in den letzten Jahren steigende Erstarken antidemokratischer Strömungen Anlass, über den Schutz demokratischer Institutionen und Abwehrmechanismen gegen rechtsextreme, menschenverachtende Ideologien nachzudenken.

Veranstaltungstipp: Talk, Workshop und Stadtwanderung im Rahmen von #CURemember

Die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg drohen zu verblassen. Bald wird es keine Zeitzeugen mehr geben, gleichzeitig gewinnen extremistische Bewegungen an Stärke. Zusammen mit internationalen Partnern haben das Kinderbüro der Universität Wien und der Verein Gedenkdienst das EU-kofinanzierte Projekt #CURemember gestartet. Ziel ist es, innovative Ansätze zu finden, um jungen Menschen die Folgen des Holocaust sowie die Bedeutung von Demokratie und Menschenrechten zu vermitteln.

Im Rahmen des Projekts finden Mitte Mai folgende Veranstaltungen für Pädagog:innen, Forscher:innen, Studierende und Akteur:innen der Zivilgesellschaft statt.

  • 14.5.: Talks and Best Practice Workshop
  • 14.5.: Podiumsdiskussion: Discussing Remembrance! The possibilities and limits of Remembrane Education
  • 15.5.: Stadtwanderung auf den Spuren des Holocaust-Überlebenden George Czuczka (für alle Interessierte)

Hier gehts zu den Veranstaltungsinfos.

Entnazifizierung: Bedingung für ein unabhängiges Österreich

Erste Maßnahmen gegen den Nationalsozialismus wurden im wiederhergestellten Österreich im Frühjahr 1945 gesetzt. Bereits Anfang Mai 1945 beschloss die neu entstandene österreichische provisorische Staatsregierung das Verbotsgesetz (StGBl 13/1945). Dadurch wurden die NSDAP und alle nationalsozialistischen Organisationen verboten. 

Die ursprüngliche Fassung des Verbotsgesetzes erklärte die Betätigung für nationalsozialistische Ziele zu einem Verbrechen, stellte es unter Todesstrafe und verfügte den Verfall des gesamten Vermögens der Nazi-Partei. Nationalsozialist*innen mussten sich registrieren und wurden in unterschiedliche Gruppen ‒ abhängig von dem Ausmaß ihrer Beteiligung am Nationalsozialismus ‒ eingestuft. Je nach Kategorie waren weitere "Sühnefolgen" vorgesehen, wie der Ausschluss von politischen Rechten. Eine wesentliche Adaptierung erfuhr das Gesetz 1947 (BGBl 25/1947). Die strafrechtliche Ahndung erfolgte zusätzlich auf Grundlage des im Juni 1945 beschlossenen Kriegsverbrechergesetzes (StGBl 32/1945) vor eigens eingerichteten "Volksgerichten".

Historische Aufnahme eines Prozesses des Volksgerichts 1945
Die "Volksgerichte" setzten sich aus drei Laien- (Schöff*innen) und zwei Berufsrichter*innen zusammen. Im August 1945 fand der erste Prozess statt. Wegen Verbrechen gegen Zwangsarbeiter*innen waren die SA-Männer Konrad Polinovsky, Rudolf Kronberger, Wilhelm Neunteufel und Alois Frank angeklagt. Alle außer Polinovsky, 1947 aus der Haft entlassen, wurden zum Tode verurteilt. Foto von Wilhelm Obransky, Wien, 17.8.1945. © ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung/Obransky

Die Entnazifizierung unterstützen insbesondere auch die Alliierten. Die Abgrenzung und Distanzierung vom Nationalsozialismus waren für die Aufhebung der Besatzung über Österreich wesentlich. Mit dem Staatsvertrag von Wien verpflichtete sich Österreich 1955, seine Bestrebungen fortzuführen, um alle Spuren des Nationalsozialismus aus dem politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben zu beseitigen.

Was gilt als Wiederbetätigung?

Allgemein fällt unter Wiederbetätigung jede Handlung, die die NS-Ideologie verbreitet oder ihre Ziele fördert. Kamila Staudigl-Ciechowicz erklärt: "Für nationalsozialistische Betätigung reicht ein bedingter Vorsatz, die Tat kann unterschiedlich ausgestaltet sein. Strafbar ist nicht nur eine explizite propagandistische Verherrlichung des Nationalsozialismus, wie das Versenden von Abbildungen des Hakenkreuzes in sozialen Medien. Auch die Verwendung von nationalsozialistischen Codes, wie bspw. das Zurschaustellen der Zahl 88, aber auch das Posten eines Fotos von Eiernockerln am Geburtstag von Adolf Hitler (sie waren angeblich seine Leibspeise), kann wenn weitere Verdachtsmomente vorliegen, zu einer Verurteilung nach dem Verbotsgesetz führen."

Der Verdacht einer NS-Wiederbetätigung kann nicht nur bei der Polizei angezeigt, sondern auch bei der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst eingemeldet werden.

Karriere trotz NS-Vergangenheit

Der tatsächliche Erfolg der Entnazifizierung hielt sich in Grenzen. Zwar stand nach geltendem Recht ein entsprechendes Instrumentarium zur Verfügung, doch in der Rechtswirklichkeit waren die gesetzten Maßnahmen für viele nur eine (kurzfristige) Episode und verhinderten auch weitere Karrierewege nicht. 

Als Beispiele mögen hier die Nationalsozialisten Heinrich Gross und Taras Borodajkewycz dienen. Gross war während der NS-Zeit  als Arzt an der berüchtigten "Jugendfürsorgeanstalt Am Spiegelgrund" tätig, wo er an der Ermordung zahlreicher Kinder mitwirkte. Im Gegensatz zu seinem Vorgesetzten, Ernst Illing, der 1946 zum Tode verurteilt wurde, verbrachte Gross nur zwei Jahre in Untersuchungshaft und konnte anschließend seine Karriere als Arzt und prominenter Sachverständiger fortsetzen. 

Unter dem Deckmantel der Forschungsfreiheit verbreitete der Hochschullehrer und Historiker Borodajkewycz seine nationalsozialistische Gesinnung, 1946 war er lediglich als "Minderbelasteter" eingestuft worden. Ein Blick auf die Tätigkeit der "Volksgerichte" zwischen 1945 und 1955 zeigt, dass von 136.829 Voruntersuchungen 23.477 zu Urteilen führten, davon waren 13.607 Schuldsprüche (davon 43 Todesurteile).

Foto des Denkmals am Wiener Zentralfriedhof
Das Denkmal für ermordete Kinder der NS-Euthanasieanstalt "Am Spiegelgrund" am Wiener Zentralfriedhof (Gruppe 40). Heinrich Gross war als Anstaltsarzt an den Morden beteiligt. Ein Urteil wegen "Beteilung am Totschlag eines Kindes" hob der Oberste Gerichtshof wegen "innerer Widersprüche in der Urteilsbegründung" auf. Spätere Versuche, ihn des Mordes anzuklagen, scheiterten. Er starb 2005 in Hollabrunn. © Wikimedia CC BY-SA 3.0

Verbotsgesetz im Wandel der Jahrzehnte

Mit der NS-Amnestie vom 14. März 1957 (BGBl 82/1957) fiel der Sühnecharakter des Verbotsgesetzes, seine weitere Bedeutung ergab sich aus dem Verbot der nationalistischen Wiederbetätigung. In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Verbotsgesetz trotz Anstiegs neonazistischer und rechtsextremer Strömungen sehr zurückhaltend angewandt. Erst die einsetzende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust und die Novelle des Verbotsgesetzes aus 1992 (BGBl 148/1992), die eine Senkung der Mindeststrafe und eine zusätzliche Bestimmung zur Ahndung der Holocaust-Leugnung vorsah, haben zum tatsächlichen Durchbruch in der Anwendung des Verbotsgesetzes in der Rechtspraxis geführt. 

Neben den spezialgesetzlichen Normen führte die globale Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Gräueltaten zu völkerrechtlichen Reaktionen – wie der 1948 von den Vereinten Nationen beschlossenen Völkermordkonvention, deren innerstaatliche Umsetzung sich im § 321 Strafgesetzbuch findet.

Wie aktuell das Thema ist, zeigt der Umstand, dass das Verbotsgesetz nicht nur nach wie vor in Kraft steht, sondern 2023 an neue technische und gesellschaftliche Entwicklungen angepasst wurde (BGBl 177/2023). Die Novelle ermöglicht u.a. eine effektivere Verfolgung niedrigschwelliger Äußerungsdelikte, etwa im digitalen Raum, und erleichtert diversionelle Maßnahmen ‒ wichtig insbesondere für Jugendliche. Zudem vereinfacht sie die Einziehung von im Internet gehandelten NS-Devotionalien.

Wie resilient ist die Verfassung heute?

Wie resilient ist unsere Verfassung also gegenüber antidemokratischen Bestrebungen? Unsere Verfassung entstand 1920/29 aus einer Krise heraus und ist prinzipiell krisenfest, wie die jüngste Geschichte neuerlich unter Beweis stellen musste. In der Verfassung ist auch die Demokratie ein Grundprinzip. Es wirkt auch jenseits von Wahlen in vielen Bereichen, von Volksbegehren bis zur Geschworenengerichtsbarkeit. Der Verfassungsgerichtshof ist insbesondere dazu berufen, über die Einhaltung aller, und damit auch dieses Grundprinzips, zu wachen. Grundprinzipien haben die höchste Bestandsgarantie aller Normen in Österreich ‒ eine Abschaffung wäre jedoch theoretisch mit einer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat und verpflichtender Volksabstimmung möglich.

Jetzt reinhören!
Podcast An der Quelle #8: Lucile Dreidemy
Die Zeithistorikerin Lucile Dreidemy beschäftigt sich intensiv mit dem Austrofaschismus und der Frage, was wir aus der Geschichte lernen können. Der Blick zurück sei heute freilich nicht genug, um die angeschlagene Demokratie zu bewahren: Dazu brauche es auch ein konsequentes sozialpolitisches Engagement.

Letztendlich ist für die Frage der Resilienz nicht nur die (verfassungs)rechtliche Ausgestaltung eines Staates ausschlaggebend. Wichtig sind einerseits auch die tatsächliche Wahrnehmung dieser juristischen Mechanismen in der Praxis und die verantwortungsvolle Machtausübung der Staatsorgane. Andererseits muss die Gesellschaft die Demokratie grundsätzlich befürworten, um den Wert der Demokratie zu schätzen und zu schützen. Gerade die Auseinandersetzung mit den dunklen Kapiteln der österreichischen und europäischen Geschichte - insbesondere dem Holocaust ‒ in den Schulen ist hier ein wichtiger Faktor, der in den letzten Jahrzehnten eine stärkere Berücksichtigung erfuhr.

© Sven Gilmore
© Sven Gilmore
Kamila Staudigl-Ciechowicz ist seit 2024 Assistenzprofessorin (Tenure-Track Professur) für österreichische Rechts- und Verfassungsgeschichte an der Universität Wien. Darüber hinaus ist sie Lehrbeauftragte an den rechtswissenschaftlichen Fakultäten der Universität Regensburg und der Masaryk Universität in Brno.

Sie hat zahlreiche Preise und Stipendien erhalten, darunter 2024 den Förderungspreis der Stadt Wien für Geistes-, Sozial-, Kultur- und Rechtswissenschaften. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Frauenrechtsgeschichte, die Universitätsrechtsgeschichte, die Privatrechtsgeschichte sowie die Verfassungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, mit besonderem Fokus auf nicht-demokratische Systeme.