Rudolphina Roadtrip

Forschungsstation Haidlhof: Tierisch intelligente Forschung

31. August 2023 von Sophie Hanak
Diesen Sommer besucht die Rudolphina Redaktion Wissenschafter*innen, die Wien für kurz oder lang gegen eine Forschungsstation im Grünen getauscht haben. Diesmal war unser Videoteam bei Thomas Bugnyar und seinen schlauen Raben zu Gast.

Als wir in der Früh beim Haidlhof, der gemeinsamen Forschungsstation der Uni Wien und der Vetmeduni Wien in Bad Vöslau, ankommen, zeigt das Thermometer schon 26 Grad – ein heißer Sommertag steht bevor. Wir treffen den Kognitionsforscher Thomas Bugnyar von der Uni Wien, der die Forschungsstation 2010 mitbegründet hat und heute gemeinsam mit Ludwig Huber wissenschaftlich leitet.

Bugnyar forscht schon seit vielen Jahren zum Verhalten von Raben (u.a. ist er auch Vize-Leiter der Konrad Lorenz Forschungsstelle in Grünau, die wir auf unserem Rudolphina Roadtrip bereits besucht haben); heute führt er uns durch das weitläufige Gelände des Vierkanthofs Haidlhof, wo zurzeit sieben Kolkraben, zwölf Krähen und 26 Keas untergebracht sind.

Im vorderen Bereich der rund 5.000 Quadratmeter großen Volierenanlage werden wir lautstark von den Krähen und den verspielten Keas begrüßt; im hinteren Teil treffen wir auf die Raben, die uns aufgrund der Hitze mit geöffneten Schnäbeln und ausgebreiteten Flügeln im Empfang nehmen.

Video: Die schlauen Raben vom Haidlhof

Die Kamera begleitet Thomas Bugnyar, Daria Nagel und Anna Fabbri bei ihrer täglichen Forschung am Haidlhof. Im Video erzählen sie, was sie dabei fasziniert und welche lustigen Momente sie bereits erlebt haben.

Mehr über den Haidlhof

  • Gegründet wurde die gemeinsame Forschungsstation Haidlhof der Universität Wien und der Veterinärmedizinischen Universität Wien im Jahr 2010. Seitdem untersuchen hier internationale Forscher*innen mit modernsten Methoden aus Biologie und Psychologie die Intelligenz von Tieren: Kolkraben, Krähen und Keas.
  • Was Tiere über andere wissen, wie gut sie Werkzeuge verwenden können und wie sie voneinander lernen, wie die tierische Kommunikation funktioniert und welche Informationen in welchen Lauten stecken – das sind die zentralen Fragen, denen das Team des Haidlhofs nachgeht.
  • Die Forschungsstation wird von Petra Pesak gemanagt, die Technik liegt in der Hand von András Péter und für das Wohl der Tiere sorgen die beiden Tierpfleger Julius Lindenbauer und Florian Vogel

Morgens Experimente, nachmittags Siesta

"Raben sind im Sommer eher ruhiger, und die Hitze ist für sie relativ stressig. Deshalb verlegen wir in dieser Zeit unsere Versuche auf den frühen Morgen oder den Abend. Mittags machen die Tiere Siesta oder baden auch gerne", erzählt uns Bugnyar mit Blick auf die gefiederten Versuchsteilnehmer, die sich eben gerade sehr ruhig verhalten: "Im Winter sind die Vögel dann wesentlich aktiver."

Doch die brütende Hitze hält die Tiere nicht davon ab, mit dem Verhaltensbiologen und den Doktorandinnen Daria Nagel und Anna Fabbri ein paar Versuche zu machen, immerhin gibt es dafür eine Menge Leckerlis als Belohnung – und plötzlich befinden wir uns mitten in einem Verhaltensexperiment.

Wie Raben lernen

In der Voliere führt Daria Nagel gerade das sogenannte "Serial reversal"-Experiment durch: Dabei muss der Rabe herausfinden, wo sich die versteckten Leckerlis befinden. "Diese Experimente zeigen, wie flexibel und schnell die Tiere lernen", so die Doktorandin.

Ihre Kollegin, Anna Fabbri, ist für die Verhaltensbeobachtungen zuständig und wendet dafür zwei Methoden an. "Mit Hilfe der Videoaufnahmen können wir quantifizieren, welche Verhaltensweisen vorkommen. Die Audioaufnahmen zeigen uns, wie die Tiere kommunizieren", erklärt sie. "Auf Basis dieser Verhaltensprotokolle ergeben sich unsere Fragestellungen, die wir dann in den Experimenten testen", ergänzt Thomas Bugnyar.

Soziale Zusammenhänge beobachten

Im nächsten Experiment wird den Vögeln eine Box mit drei verschiedenen Öffnungsmechanismen präsentiert – einmal muss der Vogel mit dem Schnabel schieben, einmal seinen Fuß benutzen und zu guter Letzt an einem Seil ziehen. Zur Belohnung gibt es das übliche Leckerli. "Diese Versuche führen wir auch mit zwei Vögeln durch um herauszufinden, wie sich die Raben voneinander beeinflussen lassen bzw. ob sie kooperieren. Dabei können wir beobachten, wie sich soziale Kompetenz bei Raben äußert", erläutert Nagel.

 

An der Zusammenarbeit mit den Vögeln fasziniert die junge Verhaltensforscherin insbesondere, wie motiviert die Raben die Aufgabenstellung in Angriff nehmen, aber auch wie frustriert sie sein können. Damit die Experimente klappen, müssen die Wissenschafter*innen auf die Eigenheiten und Bedürfnisse der einzelnen Vögel eingehen: "Raben sind richtige 'Persönlichkeiten', die auch mal einen schlechten Tag haben können. Einige mögen sich gut leiden, andere können einander nicht ausstehen – daher müssen wir bei unseren Arbeiten und bei der Haltung auf die entsprechenden Kombinationen achten", erzählt Bugnyar. Es kommt sogar vor, dass ein Rabe eine Vorliebe für ein*e bestimmte Mitarbeiter*in entwickelt und seinen Unmut kundtut, wenn eine andere Person mit ihm arbeiten will.

Lesetipp: Das Geheimnis der Raben

Im Buch "Raben. Das Geheimnis ihrer erstaunlichen Intelligenz und sozialen Fähigkeiten" gibt Thomas Bugnyar Einblicke in ihre Arbeit mit den beeindruckenden Kolkraben und berichten über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Das Buch wurde zum Wissenschaftsbuch 2023 in der Kategorie Naturwissenschaft und Technik gekürt. Hier gibt es das Buch zum Ausleihen in der Universitätsbibliothek

 

Intelligenztest für Raben

Die Experimente, die wir heute am Haidlhof miterleben dürfen, gehören in den Bereich der Grundlagenforschung. Das bedeutet, dass es fundamentale Fragen sind, die im Fokus der Wissenschafter*innen stehen: "Wenn ich weiß, was ein Rabe kann oder nicht kann, hilft mir das im praktischen Leben nicht unbedingt weiter oder wird auch keine Krankheiten heilen", erklärt Thomas Bugnyar. "Doch das Interessante an der Grundlagenforschung ist, dass wir immer wieder unerwartete Erkenntnisse erhalten, die man dann für etwas ganz anderes nutzen kann. Beispielsweise tragen unsere Erkenntnisse zum Verhalten der Raben auch dazu bei, Theorien über uns Menschen zu verfeinern", ist sich der Verhaltensforscher sicher. Denn auch die kognitiven Fähigkeiten von uns Menschen werfen immer noch viele wissenschaftliche Fragen auf.

Was haben Menschen und Rabenvögel eigentlich gemeinsam?

Gar nicht so wenig, verrät Thomas Bugnyar. Beide leben (oftmals) in monogamen Partnerschaften und sind Teil von sozialen Gruppen, die komplexe Strukturen aufweisen. Und: Raben sind genau wie die Spezies Mensch Fleisch(fr)esser.

"Eine weitgehend akzeptierte Hypothese zur Evolution von Intelligenz besagt, dass das Zusammenleben mit Artgenossen uns vor Herausforderungen stellt, die 'Grips' erfordern. Denn: sich mit anderen Artgenossen auseinanderzusetzen, führt praktisch immer wieder zu Problemen", erklärt Bugnyar. Schließlich verhält sich jedes Individuum – ob Mensch, Rabe oder Schimpanse – ganz nach seinem eigenen Kopf und demnach für andere häufig unerwartet.

Je komplexer das Sozialleben einer Art ist, desto besser sollten sie mit sozialen Problemen fertigwerden, und desto leistungsfähiger wird ihr Gehirn. Somit ist der Rabe für die Kognitionsforschung das ideale Tier, um Intelligenz zu testen und Rückschlüsse auf die Evolution der Kognition beim Menschen zu ziehen.

Aus der Trickkiste der Raben

"Besonders spannend ist, dass wir eindeutig nachweisen konnten, dass die Raben in bestimmten Situationen wissen, was ihre Artgenossen wissen. Das ist eine Fähigkeit, die früher nur Primaten zugetraut wurde", so Bugnyar. "Raben können Information verheimlichen, Fehlinformation geben oder von ihrem Verhalten ablenken. Sie sind in all diesen Verhaltensweisen äußerst variabel und große Trickster."

Für die Forschung zur sozialen Intelligenz ist es besonders wichtig, dass die Kolkraben artgerecht gehalten werden. "Nur unter den passenden Bedingungen kann ihr Verhalten auch 'richtig' gemessen werden. Dafür ist der Haidlhof perfekt eingerichtet", betont der Forscher. So ist es beispielsweise wichtig, dass sich die Tiere aussuchen können, mit wem sie interagieren, und sie benötigen Rückzugsmöglichkeiten.

Ein Rabe sitzt auf dem Arm von Thomas Bugnyar
Den Verhaltensbiologen Thomas Bugnyar faszinieren die Klugheit und verblüffenden Fähigkeiten der Raben. Mit seiner Forschung will er zum Verständnis der Evolution von Intelligenz beitragen, bei Tieren und Menschen.

Die Volierenanlage des Haidlhofs bietet ausreichend Platz, um unter kontrollierten und artgerechten Bedingungen mit den Tieren zu arbeiten. "Unsere Anlage ist weltweit einzigartig, denn nur hier haben wir die Möglichkeit, Kolkraben in Großflugvolieren halten zu können und gleichzeitig mit ihnen individuell arbeiten zu können", freut sich Thomas Bugnyar.

Auch wir sind fasziniert vom Haidlhof und der Art und Weise, wie die Verhaltensbiolog*innen mit den cleveren Vögeln interagieren. Begeistert entlassen wir die mittlerweile erschöpften Vögel in ihre verdiente Siesta und machen uns auf zur nächsten Station unseres Rudolphina Roadtrips …  

Rudolphina Roadtrip: Anreise zum Haidlhof

  • Kostenfreie Führungen finden ausschließlich jeden ersten Freitag im Monat, pünktlich um 12:00 Uhr, ohne weitere Anmeldung und bei jedem Wetter statt. Private Führungen am Wochenende können mit einer Terminvereinbarung direkt am Haidlhof und einem pauschalen Unkostenbeitrag von € 55,- vereinbart werden. Die Führungen dauern rund 120 Minuten, Hunde sind in der Anlage leider nicht gestattet.
  • Von Wien Hauptbahnhof geht es zuerst in 30 Minuten mit dem Regionalzug Rex1 nach Bad Vöslau. Dann steigen wir um in den Regionalbus 315 nach Weissenbach-Neuhaus (10 Minuten). Von dort ist es 30 Minuten Fußweg bis zur Forschungsstation. 
  • Der Haidlhof eignet sich auch perfekt für eine Fahrradtour: Für die ganz sportlichen Radler*innen ab Wien in etwa 2,5 Stunden über den EuroVelo 9/Thermenradweg (ca. 40 km). 
  • Für die, die es sich etwas gemütlicher machen wollen, erreicht man den Haidlhof in ca. 30 Minuten mit dem Rad vom Bahnhof Bad Vöslau (ca. 7 km). 
  • Schüler*innen können übrigens am Haidlhof ihre vorwissenschaftlichen Arbeiten durchführen oder im Rahmen des Junge Talente-Programms des FFG ein Sommerpraktikum absolvieren.
  • Eine Abkühlung im dortigen Thermalbad wird nach dem Besuch am Haidlhof wärmstens (oder besser: kühlstens – hier badet man in frischem Mineralwasser) empfohlen.
Thomas Bugnyar ist Professor für Kognitive Ethologie an der Universität Wien. Nach Forschungsaufenthalten u.a. in Vermont und St. Andrews gründete er 2010 die Forschungsstation Haidlhof mit, der er heute als wissenschaftlicher Leiter vorsteht. Er ist derzeit Leiter des Departments für Verhaltens- und Kognitionsbiologie an der Fakultät für Lebenswissenschaften, Vize-Leiter der Konrad Lorenz Forschungsstelle in Grünau im Almtal und der Doktoratsschule für Kognition, Verhalten und Neurowissenschaften (VDS CoBeNe) an der Uni Wien.

Zu seinen Forschungsinteressen zählen die Evolution von Intelligenz, kognitive Anforderungen des Soziallebens sowie höhere kognitive Fähigkeiten bei Vögeln und Primaten.

Daria Nagel ist Corvid Lab Managerin an der Forschungsstation Haidlhof und Doktorandin unter Betreuung von Univ.-Prof. Thomas Bugnyar. Sie untersucht die soziale Kompetenz bei erwachsenen Kolkrabenpaaren an der Forschungsstation Haidlhof.
Anna Fabbri ist Doktorandin, betreut von Univ.-Prof. Thomas Bugnyar. In ihrer Arbeit befasst sie sich mit der Frage, wie Rabenvögel ihre Partner auswählen. Sie untersucht die Paarbindung bei Kolkraben und Krähen an der Forschungsstation Haidlhof und an der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau im Almtal.