Sommer-Citytrip

Kann Kunst gleich viel wie Grün?

20. August 2024 von Theresa Dirtl
Urbanes Grün tut Stadtbewohner*innen nachweislich gut. Doch was macht Kunst im öffentlichen Raum mit unserem Wohlbefinden? Darüber sprechen wir mit Verhaltensbiologin Elisabeth Oberzaucher auf einem Wohlfühl-Spaziergang durch ihr "Stadtlabor".

Der 48A zischt vorbei, der Beton bebt: Wir befinden uns mitten in der Burggasse, "einer regelrechten Verkehrshölle", schmunzelt Verhaltensbiologin Elisabeth Oberzaucher. Dennoch reihen sich hier Cafés, Geschäfte und Galerien aneinander – der siebte Bezirk zählt nach wie vor zu den begehrtesten Wohngegenden in der Stadt. Aber warum fühlen wir uns hier eigentlich so wohl?

Um diese Frage zu beantworten, hat sich Elisabeth Oberzaucher mit dem Psychologen Helmut Leder zusammengetan, der sich schwerpunktmäßig mit der Empirischen Ästhetik beschäftigt. Gemeinsam bespielen sie mobile Grätzloasen – mal mit Pflanzen, mal mit Kunst – und erforschen, wie sich die Interventionen auf unser Wohlbefinden auswirken. Dass uns Grün guttut, ist bereits mit zahlreichen Studien belegt. Dass Kunst, die in Wien-Neubau überall präsent ist, das Gleiche kann, zeigt das Forscher*innen-Duo nun erstmals in ihrem aktuellen Projekt "Urban intervention with art in public space"

Wir besuchen die temporären Versuchsstationen in der Stadt: Wir starten in der Burggasse 98, wo das Künstler*innenkollektiv beheimatet ist, mit dem die mobilen Grätzloasen gemeinsam entwickelt wurden, und enden in der Seestadt Aspern – mit Grün, Freiraum und einer Menge gesteigertem Wohlbefinden. Im Interview erzählt uns die Verhaltensbiologin Elisabeth Oberzaucher über ihr aktuelles Projekt, warum Kunst genauso gut tut wie grün und dafür noch nicht einmal schön sein muss. 

Rudolphina: Frau Oberzaucher, wie sind Sie und Helmut Leder auf die Idee gekommen Kunstwerke mit – salopp gesagt – Bäumen zu vergleichen? 

Elisabeth Oberzaucher: Wir wissen, dass pflanzliches Grün in der Stadt einen wichtigen Beitrag für das psychische Wohlbefinden der Menschen leisten kann, allerdings stößt urbanes Grün an seine Grenzen, da sich nicht überall Bäume pflanzen lassen. Aber künstlerische Elemente sind ja auch Teil der Stadtlandschaft und so haben wir uns die Frage gestellt: Kann Kunst in einer vergleichbaren Art und Weise derart positive Effekte auslösen? 

Ich habe mich schon in mehreren Arbeiten mit der Wirkung von Pflanzen auf den Menschen beschäftigt, komme also sozusagen aus "der grünen Ecke", und Helmut Leder ist der Kunstexperte. Wir waren uns einig, dass wir diese Frage direkt im öffentlichen Raum, also im Feld, untersuchen wollen. Dafür haben wir künstlerische Partner gesucht und mit dem Team Burggasse 98 gefunden. Dieses Kollektiv führt seit langem künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum durch und war sehr daran interessiert zu erfahren, ob diese Arbeiten tatsächlich nachweisbare Effekte auf die Menschen erzielen.

Scienceseeing im Sommer
Person mit Rucksack
Sommer-Citytrip

Im Sommer heißt es für die Rudolphina: Rucksack packen! Heuer machen wir gemeinsam mit unseren Wissenschafter*innen einen Citytrip durch Wien, dabei gilt: Augen und Ohren auf, kräftig einatmen und ins Spüren kommen. Hier geht es zu den Beiträgen.

Unser Sommer-Citytrip zum Nachspazieren:

Die Grätzloasen aus dem Projekt von Elisabeth Oberzaucher und Helmut Leder werden nur phasenweise bespielt, doch wer das Zusammenwirken von Grün, Kunst und Wohlbefinden erleben möchte, kann dies auf einem Spaziergang mit Wohlfühl-Faktor rund um die Universität Wien tun: 

  1. Arkadenhof Universität Wien: Gerade an heißen Sommertagen ist der Arkadenhof im Hauptgebäude eine grüne Oase, wo auch zeitgenössische Kunst Platz findet: Seit 2016 befinden sich sieben neue Kunstwerke zur Ehrung von Wissenschafterinnen im Arkadenhof der Universität Wien – zusätzlich zu jenen 154 Büsten und Gedenktafeln, die bislang ausschließlich Männern gewidmet sind. Die Künstler*innen Thomas Baumann, Catrin Bolt und Karin Frank stellen mit ihren Projekten sieben Wissenschafterinnen vor – darunter die erste Professorin der Universität Wien, die Physikerin Berta Karlik. 
     
  2. Café im Arkadenhof: Im Anschluss kann ein Kaffee oder ein Eis genossen werden. (Öffnungszeiten: Montag bis Freitag: 8:00 bis 18:00 Uhr)
     
  3. Sigmund-Freud-Park: Nur wenige Gehminuten vom Hauptgebäude befindet sich der Sigmund-Freud-Park, dessen Bäume angenehmen Schatten spenden. Im Sommer finden sich dort Sprühnebelduschen – die perfekte Abkühlung.
     
  4. DENK-MAL Marpe Lanefesch im Hof 6 des Campus der Universität Wien: Im ehemaligen Betpavillon für die Patient*innen und das Personal jüdischen Glaubens des AKH ist durch künstlerische Intervention das begehbare Kunstobjekt DENK-MAL Marpe Lanefesch entstanden. Das Bethaus ist ein Erinnerungsort der wechselhaften Geschichte und wurde am 2005 als begehbares Denkmal und als "Stätte des Gedenkens und Bedenkens" eröffnet.

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Routenvorschlag für Ihren Sommer-Citytrip durch Wien

Rudolphina: Für Ihre Studie im öffentlichen Raum wurde eine mobile Grätzloase entworfen und gebaut, um sowohl das Grün als auch die Kunst in Szene zu setzen. Das war sicher eine Herausforderung…

Elisabeth Oberzaucher: Ja, denn die Grätzloase sollte einerseits einem ästhetischen Anspruch genügen und gleichzeitig unsere Forschungszwecke erfüllen. Gemeinsam mit den Künstlern der Burggasse 98 haben wir dann an Lösungen gearbeitet. Daraus entstand die Basiskonstruktion der mobilen Grätzloase, die auch aus ausrangiertem Stadtmobiliar, wie Fahrradständern, etc. gebaut wurde. 

Rudolphina: Diese "Basisoase" wurde an unterschiedlichen Stellen in Wien aufgebaut – an den Standorten Seestadt Aspern, Universitätsstraße, Liebiggasse 5 und Burggasse 98 – und mit Grün bzw. Kunst bestückt. Wie sind die Versuche mit den Passant*innen abgelaufen?

Elisabeth Oberzaucher: In unserer ersten Saison haben wir Kunst gegen Grün getestet. Dafür haben wir zuerst Pflanzen in der Grätzloase aufgestellt und anschließend hat der Künstler Frank Maria Furtschegger eine Kunstinstallation inszeniert. Für die aufgehängten Kunstwerke hat er eine neue Methode entwickelt, die den Bedingungen standhält und auch wetterfest ist. Dafür hat er mit Wachskreiden auf ganz dünnes Papier gemalt und dieses dann laminiert – das hat einen sehr schönen Effekt generiert, ähnlich dem von bunten Fenstern in Kirchen.

Um zu untersuchen, wie die Menschen jeweils auf Grün bzw. Kunst reagieren, haben wir mit Fragebogeninstrumenten gearbeitet, die Stressphysiologie der Besucher*innen gemessen, ihre Augenbewegungen nachverfolgt – und generell das Verhalten der Menschen beobachtet. Die Ergebnisse dieser ersten Saison kann man sehr schnell zusammenfassen: Die Kunstinstallation hat ganz ähnliche positive Effekte wie die grüne Installation erzeugt. Wir haben unter beiden Bedingungen tatsächlich eine Zunahme an Wohlbefinden gefunden.

Über das Projekt

Wie wohl wir uns in einer Stadt fühlen, hängt maßgeblich von der Qualität des öffentlichen Raumes ab. Die positiven Effekte von Begrünung sind bekannt, doch nicht überall können Bäume gepflanzt werden. Gemeinsam mit lokalen Künstler*innen gehen Uni Wien-Forscher*innen um Helmut Leder und Elisabeth Oberzaucher der Frage nach, ob sich Kunst im öffentlichen Raum ähnlich positiv auf das Wohlbefinden von Stadtbewohner*innen auswirkt.
"Urban intervention with art in public space – cognitive attraction, resilience, or simply positive emotions?" wird vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds gefördert.

"Unsere Projektidee war es zu schauen, ob Kunst nicht nur ähnliche Effekte wie die Ausstattung mit Grün haben kann, sondern ob nicht auch Kunst in urbanen Interventionen sogar besonders anregend, also besonders ästhetisch wirkt. Und dies hat sich ja in unseren Daten auch gezeigt", erklärt Co-Projektleiter Helmut Leder.

Rudolphina: Also nicht nur Grün, sondern auch Kunst im öffentlichen Raum hat positive Effekte auf den Menschen. Die Kunstthematik haben Sie dann in weiteren Feldversuchen vertieft… 

Elisabeth Oberzaucher: Genau, wir haben uns dann die Frage gestellt, was an der Kunst erzeugt diesen positiven Effekt auf Menschen? Dazu gibt es zwei Faktoren, die sich in wissenschaftlichen Arbeiten bisher herauskristallisiert haben: einerseits ist es die Ästhetik der Kunst und zweitens, ob das Dargestellte für die Betrachter*innen persönlich relevant ist. Um Bilder entlang dieser Eigenschaften zu variieren, haben wir mit Bildgenerierung von künstlicher Intelligenz gearbeitet, da man ja keinem/r Künstler*in zumuten kann – salopp gesagt – wenig ansprechende Bilder zu schaffen.

Mit der KI haben wir dann eine Bandbreite an Bildern generiert, von wenig ansprechend und unrelevant bis hin zu sehr ansprechend und relevant. Es ist zum Beispiel erwiesen, dass impressionistische Kunst von Laien als schöner empfunden wird als andere Kunststile wie etwa der Kubismus – mit dieser Prämisse haben wir u.a. gearbeitet. Was sich hier schon herauskristallisiert hat, ist dass sich Relevanz und Schönheit nicht ganz trennen lassen – wenn etwas für mich relevant ist, dann finde ich es auch schöner.

Rudolphina: Mit einem finalen Datensatz von rund 20 Bildern sind Sie dann wieder ins Feld gegangen. Haben Sie dabei dieselbe Methodik angewandt wie bei Kunst gegen Grün?

Elisabeth Oberzaucher: Ja, auch hier haben wir mit Fragebögen, Stressphysiologie und Augenbewegungen gearbeitet. Die Ergebnisse sind hier allerdings etwas komplexer: Ganz allgemein lässt sich sagen, Kunst ist besser als keine Kunst. Stellt man aber nun schöne, relevante Kunst in direkten Vergleich mit als hässlicher, nicht als relevant wahrgenommene Kunst, dann steigert nur die schöne Kunst das Wohlbefinden und die nicht relevante Kunst erzeugt sogar einen negativen Effekt. Um das nochmals zu betonen: nur im direkten Vergleich. 

Wenn ich jetzt nur ein Set von Kunstwerken sehe, also nur die relevanten oder nur die nicht relevanten, dann wirken die hässlichen Bilder auch positiv. Der Effekt ist zwar schwächer als bei der schönen Kunst, aber es ist zumindest nicht mehr ein negativer Effekt.

Botanischer Garten der Uni Wien
© Lisa Lugerbauer

Mit Wissenschafter*innen durchs Grüne

Grün tut gut – das wissen wir jetzt. Der Botanischen Garten der Universität Wien ist im Sommer also der ideale Wohlfühlort. Jeden Mittwoch können Sie die Grünoase mitten in der Stadt gemeinsam mit Wissenschafter*innen entdecken: Hermann Vogelmayr nimmt Sie mit auf eine Reise durch die Welt der Pilze (4. September), Claudia Angele und Jürgen König erklären auf ihrer Tour, was eigentlich an dem Hype um Hülsenfrüchte dran ist (11. September) und mit Harald Zechtmeister lernen Sie Spannendes über Moose (25. September).

Das gesamte Sommer-Programm des Botanischen Gartens finden Sie hier.

Rudolphina: Sie haben die Feldversuche an unterschiedlichen Standorten in Wien durchgeführt. Haben Sie dabei Unterschiede in der Wahrnehmung und den Effekten feststellen können?

Elisabeth Oberzaucher: Obwohl gerade die zwei Standorte Burggasse und Seestadt vom Setting her nicht unterschiedlicher sein können – graue Verkehrshölle gegen kaum Verkehr mit viel Grün – haben wir in der Wahrnehmung kaum Unterschiede gesehen. Wir haben die positiven Effekte von Kunst in beiden Straßen gefunden.

Rudolphina: Die Ergebnisse Ihrer Studien können durchaus auch für die Stadt Wien – und Stadtplaner*innen – spannend sein?

Elisabeth Oberzaucher: Seitens der Stadt Wien gibt es großes Interesse an unserem Forschungsprojekt, weil die Erkenntnisse als Grundlage für neue Maßnahmen im öffentlichen Raum herangezogen werden können – nicht unbedingt nur für Grätzeloasen. Dass man nicht überall einen Baum pflanzen kann, ist schon ein Schmerzpunkt für jede Stadt – hier bietet Kunst einen Ausweg, an besonders schwierigen Punkten Akzente zu setzen.

Rudolphina: Herzlichen Dank für das Interview! (td)
 

Buchtipp zum Thema
Ein evolutionsbiologischer Blick in die Zukunft der Städte

In ihrem aktuellen Buch "Homo urbanus" erklärt Elisabeth Oberzaucher die biologischen Wurzeln unseres Verhaltens, zeigt die Herausforderungen des modernen Großstadtlebens auf und beschäftigt sich mit den Fragen "Wie verhalten sich Menschen in Städten?" oder "Wie müssen Städte beschaffen sein, damit Menschen sich dort wohl fühlen?".

© Sabine Oberzaucher
© Sabine Oberzaucher
Elisabeth Oberzaucher forscht und lehrt am Department für Evolutionäre Anthropologie sowie am Department für Verhaltens- und Kognitionsbiologie der Universität Wien. Zu ihren Schwerpunkten zählen Mensch-Umwelt-Interaktionen, Evolutionäre Geschlechterforschung sowie Kommunikation und soziale Interaktion.