Semesterfrage

Neues Spiel, neue Regeln: Wie verändert Quantenforschung unsere Wirklichkeit?

24. März 2025 von Bernadette Ralser

In der seltsamen Welt der Quanten gelten scheinbar andere Gesetze als im Alltag, und doch machen wir uns ihre skurrilen Tricks täglich zunutze: wenn wir aufs Handy schauen, an der Kassa den Einkauf scannen oder mit GPS navigieren. Was wird alles möglich sein, wenn auch die letzten Rätsel der Quantenmechanik gelöst sind?

Ein Zauberwürfel, der gleichzeitig gelöst und ungelöst ist? Anhand eines Gedankenexperiments mit einem speziellen Rubik's Cube führen wir Sie spielerisch an die Grundlagen der Quantenmechanik heran – und starten unseren Semester-Schwerpunkt zum Thema Quantenforschung. © Universität Wien


Wir nutzen die Quantenphysik jeden Tag, ohne sie ganz zu verstehen. Sie steckt in Halbleitern und Computerchips, Barcode-Scannern und Laserdruckern, Smartphone-Displays und Atomuhren. Wer sich schon einmal einem MRT-Scan unterzogen hat, sollte wissen: nur Quantenmechanik macht's möglich. 

Den Grundstein für diese bahnbrechenden Quantentechnologien der ersten Generation legten Wissenschafter*innen wie Max Planck, Albert Einstein, Erwin Schrödinger, Werner Heisenberg und Wolfgang Pauli bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts, mit wesentlichen Beiträgen aus Österreich und auch von der Uni Wien.

Mitten in der zweiten Quantenrevolution

Heuer jährt sich die Begründung der Quantenmechanik zum 100. Mal: 1925 gelang es Werner Heisenberg, sie mathematisch zu beschreiben. Die UNESCO hat 2025 darum zum Jahr der Quantenwissenschaft und -technologie erkoren (Aktivitäten der Uni Wien im Quantenjahr). Und wie bestellt vergeht seit Jahresbeginn kaum ein Tag ohne Medienberichte zu bedeutenden Fortschritten auf dem Weg zu Quantencomputer und Co.: Wir stecken mitten in der sogenannten zweiten Quantenrevolution, und der globale Wettlauf um die nächste Generation von Quantentechnologien ist in vollem Gange.

Rennen um den ersten universellen Quantencomputer

Im Quantencomputer-Wettlauf setzen verschiedene Forschungsgruppen weltweit auf jeweils andere Technologien: Google und IBM favorisieren superleitende Qubits, andere arbeiten mit Ionenfallen oder Quantenpunkten. Philip Walther und sein Team an der Uni Wien bauen auf Photonen, die Quanteninformation in Licht speichern und verarbeiten. "Da sich Photonen buchstäblich mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen, können sie nicht nur für die Datenverarbeitung verwendet werden, sondern auch für die Kommunikation mit dem Computer. Das ist ein interessanter Vorteil gegenüber anderen Architekturen", erklärt Walther. Mehr Infos 

Imagefoto von Mitglieder der Walther Group bei der Arbeit am Quantencomputer
© Ian Ehm

Die Uni Wien ist vorne mit dabei: In über 18 High-Tech-Labors wird hier Grundlagenforschung zu fundamentalen Quantenphänomenen betrieben sowie an innovativen Technologien gearbeitet – die z.B. für sichere digitale Zahlungen oder maschinelles Lernen relevant sind und bereits etliche Start-Ups hervorgebracht haben. 2022 erhielt Anton Zeilinger, gemeinsam mit Alain Aspect und John F. Clauser, den Physik-Nobelpreis: für seine Pionierarbeiten in der Quanteninformation und seine Experimente mit verschränkten Photonen, welche laut Nobelpreiskomitee "die Brücke von den fundamentalen Fragen der Natur hin zu konkreten Anwendungen" schlugen.

Dieser enge Austausch zwischen Theorie und Experiment ist auch das besondere Markenzeichen der Quantenforschung an der Uni Wien und führt immer wieder zu neuen Erkenntnissen. Etwa auf dem Weg zur Lösung des größten Rätsels der Physik – der Frage, wie sich Quantenphysik und Relativitätstheorie verbinden lassen

Medizin: Präzisere Diagnosen durch Quanten-Technologie

Eine Errungenschaft der zweiten Quantenrevolution ist der PET-Scan (Positronen-Emission-Tomographie), ein Verfahren, das Aktivität und Stoffwechsel in verschiedenen Teilen des Körpers messen kann – z.B. zur Diagnose von Krebs oder Alzheimer. Es basiert auf den Prinzipien der Teilcheninteraktionen, die durch Quantenphänomene erklärt werden. Beatrix Hiesmayr und ihr Team an der Uni Wien forschen u. a. an der Weiterentwicklung dieser Technologie, indem sie Quanteninformationen aus Stoffwechselprozessen gewinnen, um neue Biomarker für die medizinische Bildgebung zu identifizieren. Mehr Infos

Ein MRI-PET-Scan des Abdomens in axialer Ansicht
© iStock

Ein Semester im Zeichen der Quantenwelt

In unserer Semesterfrage 2025 nehmen wir Sie ein Semester lang mit zu den Quantenforscher*innen der Uni Wien, um aus erster Hand zu erfahren, wie ihre theoretischen Erkenntnisse an den Grundfesten der Physik rütteln und welches Potenzial für Zukunftstechnologien darin steckt. Welche Türen werden sich öffnen, wenn wir die Quantenphysik vollständig verstehen? Sind wir noch ganz am Anfang – oder nur einen entscheidenden Durchbruch entfernt?

Wenn wir die Quantenphysik eines Tages wirklich verstanden haben, wird das noch revolutionärer sein als die Leistungen von Kopernikus und Kolumbus – und zwar für alle, nicht nur für uns Physiker.
Anton Zeilinger (2005)

Und damit Sie für diese Tour auch gut gerüstet sind, haben wir gemeinsam mit der Quantenphysikerin Beatrix Hiesmayr, Leiterin der Quantum Particle Workgroup, hier die wichtigsten Grundbegriffe der Quantenphysik erklärt – am Beispiel unseres "Quanten-Zauberwürfels": 

Der Quanten-Rubik's Cube – ein Gedankenexperiment

Stellen Sie sich vor, Sie halten einen besonderen Rubik’s Cube in der Hand, der sich nach den Regeln der Quantenphysik verhält:

Superposition

Sie legen den Rubik's Cube, ohne ihn vorher anzusehen, in eine blickdichte Kiste. In der Quantenwelt wäre er nun gleichzeitig gelöst und ungelöst. Erst wenn man die Kiste öffnet, entscheidet sich der Cube für einen Zustand – ähnlich wie ein Quantenobjekt, das erst bei der Messung eine bestimmte Eigenschaft/Möglichkeit annimmt. Der entscheidende Unterschied zwischen einem klassischen und einem quantenmechanischen Cube ist, dass sich der Quantenwürfel in der Kiste so "verhält'' als wären beide Eigenschaften "gleichzeitig'' möglich. Diese Fähigkeit nützt ein Quantencomputer aus: Er rechnet nicht mit einer Null oder einer Eins, wie ein klassischer Computer, sondern mit beiden Möglichkeiten "gleichzeitig".

Quantenverschränkung

Angenommen, zwei Kantensteine des Rubik’s Cube sind auf magische – Einstein würde sagen "spukhafte" – Weise miteinander verbunden. Egal wie Sie den Würfel drehen – sobald Sie eine Messung durchführen (z.B. eine bestimmte Farbe anschauen), bestimmt das automatisch die Farbe des anderen Steins. Und es wird noch merkwürdiger: das gilt für alle Eigenschaften des Steins und man kann es nicht dadurch erklären, dass sie sich vorher abgesprochen haben. Objekte können also nicht als Summe ihrer Einzelteile verstanden werden. In der Quantenkryptographie nutzt man dieses Prinzip, um über verschränkte Systeme einen sicheren Schlüssel zu erzeugen: Jeder Abhörversuch würde sofort auffallen.

Quantensprung

Sie drehen jetzt eine Seite des Würfels, und statt sich schrittweise zu verändern, springt der Cube plötzlich in eine ganz andere Konfiguration. In der Quantenphysik können Elektronen auf diese Weise zwischen Energieniveaus in Atomen wechseln, ohne dabei Zwischenstufen zu durchlaufen. Genau dieses Prinzip macht beispielsweise Laser möglich: Elektronen in einem Atom springen auf ein höheres Energieniveau und geben beim Zurückfallen gezielt Licht ab. Diese Art von Quantensprüngen ist die Grundlage vieler moderner Technologien – von Satellitennavigation über Laser bis hin zu Smartphones.

Unbestimmtheitsrelation

Wir wollen nun die Position und Geschwindigkeit unseres Rubik's Cube messen, während er sich dreht. In der Quantenwelt gibt es jedoch eine grundlegende Einschränkung: Je genauer wir die Geschwindigkeit des Würfels bestimmen, desto ungenauer wird die Bestimmung seiner Position – und umgekehrt. Bei einem klassischen Würfel können wir beides gleichzeitig präzise messen, aber in der Quantenwelt ist das nicht möglich. Dies führt auch zu weitreichenden philosophischen Erkenntnissen; für Quantentechnologien zeigt es Grenzen des Informationsgewinns bei Messungen auf, die zum Beispiel gezielt zur Verhinderung von Lauschangriffen in der Kommunikation verwendet werden können. 

Im Video führt Beatrix Hiesmayr in die geheimnisvolle Welt der Quanten ein und erklärt unter anderem, was Quanten überhaupt sind und was an der Quantenverschränkung spukhaft ist. © Universität Wien/Kommunikation

Was wirklich jede*r über Quantenphysik wissen sollte

Was wir eben spielerisch anhand unseres erfundenen Quanten-Rubik’s Cube erklärt haben, sind Prinzipien, die echte Technologien hervorgebracht haben. Auch wenn selbst Quantenphysiker*innen nicht gänzlich verstehen, warum Quantenphänomene funktionieren – sie lassen sich dennoch präzise berechnen, vorhersagen und immer besser kontrollieren. 

Und das sollte man über sie wissen, meint Beatrix Hiesmayr: Quantenmechanik ist vielleicht die verrückteste, aber dennoch die genaueste Theorie der Welt. "Sie können sich das so vorstellen wie beim Backen: Wenn Sie dem Rezept genau folgen, kommt ein köstlicher Kuchen heraus, auch wenn Sie nicht wissen, warum Sie das Eiweiß vom Dotter trennen müssen. Genauso können wir in der Quantenwelt präzise Vorhersagen treffen, ohne die zugrundeliegenden Prozesse vollständig zu verstehen. Je besser wir die rätselhaften und faszinierenden Quanten kennen und kontrollieren lernen, desto mehr neue, aus heutiger Sicht unvorstellbare Möglichkeiten werden sich eröffnen."

Diskutieren Sie mit!

Würden Sie einen Quantencomputer zu Hause nutzen, wenn er in ein paar Jahren verfügbar wäre? Wie wichtig finden Sie solche technologischen Durchbrüche für die Gesundheitsvorsorge? War Ihnen bewusst, dass Österreich eine Vorreiterrolle in der Quantenforschung einnimmt? Und wie könnten wir diese weiter forcieren? 

Stellen Sie Ihre Fragen direkt an die Forscher*innen und teilen Sie Ihre Meinung im Forum zur Semesterfrage auf derStandard.at