Große ungewollte Experimente
Welche Auswirkungen die Verschleppung nicht-heimischer Tier- und Pflanzenarten auf die weltweiten Ökosysteme hat – auch unter dem Aspekt des globalen Artensterbens – untersucht Biodiversitätsforscher Franz Essl von der Universität Wien in zwei internationalen FWF-Projekten.
Die Erde ist geschrumpft – jeder Punkt der Welt ist heute nahezu innerhalb eines Tages erreichbar. Das gilt auch für Pflanzen und Tiere, die mithilfe des Menschen verschleppt werden, ob absichtlich oder nicht. Sei es der Götterbaum aus China oder der aus Nordamerika stammende Signalkrebs – aus eigener Kraft hätten sie es nicht nach Europa geschafft. Hier gefährden sie die heimische Flora und Fauna. Der Signalkrebs etwa überträgt mit der Krebspest eine gefährliche Krankheit und hat heute den heimischen Flusskrebs nahezu komplett verdrängt.
Das große Sterben
"Wir erleben derzeit das größte Artensterben weltweit. Tier- und Pflanzenarten werden stetig zurückgedrängt, die Roten Listen wachsen rasant", erklärt Franz Essl vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung: "Neben der voranschreitenden Zerstörung natürlicher Lebensräume, intensiver Landwirtschaft und der Verbauung von Lebensräumen haben auch sogenannte Neobiota – nicht-heimische Pflanzen und Tiere – einen großen Anteil am Rückgang der Biodiversität."
Und der Klimawandel fördert das Artensterben noch zusätzlich: Heimische Arten müssen aufgrund der höheren Temperaturen in kühlere Gebiete wandern. Dafür kommen viele nicht-heimische Pflanzen mit dem wärmer werdenden Klima in Österreich gut zurecht – ein Beispiel dafür sind Palmen: "Bislang gibt es nur kleinere Vorkommen verwilderter Palmen, besonders in Städten wie Wien, und es sind ausschließlich junge Exemplare", sagt Essl. "Aber in wenigen Jahrzehnten könnten wir in Österreich schon regelmäßig auf wild wachsende Palmen treffen." (Erfahren Sie mehr dazu im Videobeitrag "Palmen in Österreich als Folge des Klimawandels")
Gravierende Folgen
Was passiert mit den Ökosystemen, wenn in nur kurzer Zeit gänzlich neue Arten hinzukommen? Diese Frage bildet die große Klammer um zwei internationale Projekte unter der Leitung des Ökologen. "Im Endeffekt sind diese Verschleppungen große ungewollte Experimente. Mit teilweise gravierenden Folgen." Im ersten der beiden FWF-Projekte hat sich Franz Essl mit insgesamt acht Invasionsbiologen zusammengetan, um die erste umfassende globale Datenbank zu nicht-heimischen Pflanzen zu erstellen.
"Dafür haben wir Artenlisten für Länder und Inseln der ganzen Erde in einer Datenbank zusammengetragen. Insgesamt konnten wir mehr als 13.000 Pflanzenarten dokumentieren, die in wenigstens einer Region der Erde vom Menschen eingeschleppt wurden", erklärt der Experte: "Dies entspricht der Artenzahl aller Gefäßpflanzenarten in Europa – vom Nordkap bis Sizilien." Innerhalb von zwei Jahren war die Datenbank aufgebaut – nun widmen sich die Forscher folgenden konkreten Fragen: Wo sind die Hotspots der Neophyten? Was sind wesentlichen Auslöser und Muster für die massive Ausbreitung?
Peak noch nicht erreicht
"Unsere Daten belegen, dass die absoluten Hot Spots von Neophyten Inseln und Küstengebiete, wie zum Beispiel Florida, sind", erklärt Franz Essl: "Gerade Inseln verfügen über eine einzigartige, extrem gut angepasste Flora und Fauna. Die dortige Tier- und Pflanzwelt ist nicht für Neuankömmlinge gerüstet, sodass eingeschleppte Neophyten oft zu einem massiven Problem werden."
Der Mensch ist erwiesenermaßen für die Verbreitung von Neophyten die treibende Kraft – die Geschichte der internationalen Verbreitung von Pflanzen verläuft parallel zum westlichen Wirtschaftswachstum seit dem 19 Jahrhundert und, nochmals beschleunigt, seit den 1950er Jahren. "Noch haben wir den Peak lange nicht erreicht. Der gesamte Prozess beschleunigt sich kontinuierlich", so das wenig positive Resümee von Essl.
Die Aliens kommen
In einem zweiten, aktuellen FWF-Projekt entwickelt Essl mit internationalen KollegInnen Zukunftsszenarien: "Uns interessieren hier primär die möglichen Auswirkungen, die nicht-heimische Tiere und Pflanzen auf die jeweiligen Ökosysteme haben können." Für viele Umweltveränderungen existieren bereits Zukunftsszenarien bzw. Modelle, für Neobiota bis dato jedoch noch nicht. "Beim Klimawandel ist es einfacher, hier gibt es konkrete Maßzahlen, wie z.B. die Höhe des Temperaturanstiegs. Modelle für Neobiota zu entwickeln ist im Vergleich dazu wesentlich komplexer."
Worst Case und Best Case
Mit der im ersten FWF-Projekt erhobenen Datenbank haben die WissenschafterInnen nun ein sehr gutes Instrument für Prognosemodelle zur Verfügung. "Bis dahin kannten wir ja nicht mal die genaue Verbreitung nicht-heimischer Pflanzen auf globaler Ebene", so Essl. Die ForscherInnen wollen vier Szenarien entwickeln, wobei sie einmal von einer moderaten ökonomischen Entwicklung und einmal von einem weiterhin starken Wirtschaftswachstum ausgehen. Dies wird mit einer angenommenen Intensität an Maßnahmen verknüpft. "Das heißt im Klartext: Der Worst Case wäre ein ungebremstes Wirtschaftswachstum gepaart mit keinerlei Maßnahmen zur Einschränkung von Neobiota, der Best Case genau umgekehrt", veranschaulicht der Projektleiter.
Das Team rund um Essl blickt dabei weit in die Zukunft, der Schwerpunkt liegt auf der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts. Berücksichtigt werden hierbei auch die stärksten Triebkräfte wie u.a. Klimawandel oder Zerstörung natürlicher Lebensräume. "Die grundlegende Idee dahinter ist, einerseits den Jetzt-Zustand zu erklären, also die heutige Verbreitung von Neobiota, und dann unter der Verwendung von Szenarien zu künftigen biologischen Invasionen zu prognostizieren, wie sich Neobiota in der Zukunft ausbreiten werden."
Essl gehört zu den Forscher*innen, deren Arbeiten besonders häufig zitiert werden ("Highly Cited Scientists"), und ist auch im Leitungsteam des kürzlich neu gegründeten österreichischen Biodiversitätsrats tätig.