Semesterfrage: Digitalisierung

Demokratie schützen, Internet regulieren! Aber wie?

11. Oktober 2022 Gastbeitrag von Christiane Wendehorst
Welche Gefahren lauern für die Demokratie trotz großer Hoffnungen in die Digitalisierung? Die Zivilrechtsexpertin Christiane Wendehorst hat Antworten.
Wenn jeder digitale Freundeskreis in seiner eigenen Parallelwelt lebt, kann demokratische Willensbildung nicht mehr sinnvoll stattfinden. © dole777 via Unsplash

Liberale Demokratien sind auf Zugang zu verlässlichem Wissen angewiesen, auf Gehör für verschiedene Standpunkte und auf ein Ringen um die überzeugendsten Lösungen in einem fairen und inklusiven Diskurs. Die Digitalisierung hat hier viele Hoffnungen: Wann in der Geschichte war weltweit vorhandenes Wissen so niederschwellig zugänglich wie heute im Internet, bekamen einzelne Bürger:innen so leicht Aufmerksamkeit wie in sozialen Medien, konnte man kostenfrei global in Echtzeit über alles kommunizieren? Dass dennoch das Ergebnis keine rundum partizipative Demokratie geworden ist, sondern mittlerweile eher von den Risiken der Digitalisierung für die Demokratie die Rede ist, liegt an Erfahrungen wie denjenigen rund um Cambridge Analytica, dem Brexit-Referendum oder dem Sturm auf das Kapitol.

Fünf Phänomene, die unsere Demokratie gefährden

Es sind vor allem fünf eng miteinander zusammenhängende Phänomene, die demokratiegefährdend wirken können:

  1. Desinformation und Fake News in einem bislang unbekannten, durch die fehlende Zwischenschaltung klassischer Medien begünstigten Ausmaß
  2. Bots und Trolle, welche Meinungsmacht durch vermeintlich authentische Nutzer:innen vorspiegeln
  3. Mikro-Targeting, also das maßgeschneiderte Ansprechen individueller Personen oder Personengruppen, meist unter Ausnutzung besonderer Neigungen oder Vulnerabilitäten
  4. Amplifizieren, also das Erhöhen der Reichweite und scheinbaren Relevanz von Inhalten durch Nutzen privater Adressbücher und ähnliche Techniken
  5. Algorithmische Selektion von Informationen, die mit den bisherigen Ansichten der Nutzende übereinstimmen, so dass eine Konfrontation mit alternativen Ansichten ausbleibt, ein unvollständiges Bild von der Meinung anderer und damit Filterblasen und Echokammern entstehen. Die Folgen sind verzerrte Vorstellungen von der Realität und der Verteilung von Meinungen in der Bevölkerung sowie eine Fragmentierung von Öffentlichkeit. Vereinfacht ausgedrückt: Wenn jeder digitale Freundeskreis in seiner eigenen Parallelwelt lebt, kann demokratische Willensbildung nicht mehr sinnvoll stattfinden.

Wer kann, darf oder soll eingreifen

Diesen Phänomenen entgegenwirken könnten am effektivsten die großen Kommunikationsplattformen (wie Meta, Twitter, oder auch Google), möglicherweise unter Einbuße von Einnahmen. Der Ruf nach der Verantwortung der Plattformbetreiber hat aber auch seine Tücken: Werden die Plattformen einseitig beauftragt, Desinformation & Co aktiv entgegenzuwirken, gibt man ihnen zugleich die Macht zu entscheiden, welche Aussagen in der neuen virtuellen Öffentlichkeit noch zugelassen sind und welche nicht. Da die Meinungs- und Informationsfreiheit ein Grundrecht ist, kann die Aufgabe der Filterung von Informationen aber auch nicht einfach einer staatlichen Stelle überantwortet werden.

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Lügen im Internet – strafrechtlich meist nicht relevant

Regulierung im Internet ist erforderlich, aber schwierig. Österreich war (gemeinsam mit Deutschland und Frankreich) sogar Vorreiter und hat mit dem Kommunikations-Plattformengesetz sehr früh eine Initiative gegen Hass im Netz ergriffen. Das Problem daran: es hakt an der Durchsetzung gegenüber global agierenden Plattformen, und das Gesetz ist auf strafrechtswidrige Inhalte fokussiert – nur wenige demokratiegefährdende Inhalte erfüllen aber den Tatbestand etwa des Verbotsgesetzes oder der strafrechtlich relevanten Verhetzung. Weder Lügen noch die Manipulation politischer Meinungen sind als solche strafbar.

Faire Regulierung ist ein Zusammenspiel vieler

Größere Hoffnungen ruhen auf dem neuen europäischen Gesetz über digitale Dienste (GDD), besser bekannt unter seinem englischen Namen Digital Services Act. Das Gesetz befasst sich hauptsächlich mit rechtswidrigen Inhalten, versucht aber auch Antworten auf demokratiegefährdende Praktiken zu geben. Relevant sind etwa Transparenzanforderungen an Online-Werbung und an Empfehlungssysteme, ein Verbot der Personalisierung von Werbung aufgrund besonders sensibler personenbezogener Daten, wie Daten über die ethnische Herkunft oder die weltanschauliche Überzeugung, vor allem aber ein ganzes Bündel von Mechanismen zur Kontrolle systemischer Risiken bei sehr großen Online-Plattformen. Dazu gehören Berichtspflichten, unabhängige Überprüfung, Datenzugang für zuverlässige Wissenschaftler:innen und ein Mechanismus zur Intervention in größeren Krisen. Ergänzt wird dies alles durch verschiedene Maßnahmen der Selbstregulierung, etwa den 2022 verschärften Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation, sowie durch spezifische Regulierungsvorhaben, einschließlich eines Verordnungsvorschlags von 2021 über Transparenz, Targeting und Amplifizieren politischer Werbung.

Moderne Plattform-Regulierung hat damit einen offenen Charakter. Anstatt bestimmte Praktiken direkt zu verbieten, setzt man auf Verfahren und Transparenz sowie auf ein ausgeklügeltes Zusammenspiel aller Akteure: Plattformbetreiber, nationale Behörden, Europäische Kommission, und eine kritische Öffentlichkeit. Letztere braucht Dinge wie einen digital aufgerüsteten Qualitätsjournalismus, zivilgesellschaftliche Initiativen als "Fakten-Checker", unabhängige Beobachtung durch die Wissenschaft und eine Verbesserung der digitalen Bildung auf allen Ebenen.

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© Christiane Wendehorst
© Christiane Wendehorst
Christiane Wendehorst ist seit 2008 Professorin für Zivilrecht an der Universität Wien. Sie ist u.a. Gründungsmitglied, ehemalige Vorsitzende (2017-2021) und seit 2021 Scientific Director des European Law Institute (ELI), stellvertretende Institutsvorständin des Instituts für Innovation und Digitalisierung im Recht sowie Mitglied der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt.

Gegenwärtig konzentriert sich ihre Arbeit auf rechtliche Herausforderungen der Digitalisierung und sie hat als Expertin zu Themen wie digitale Inhalte, Internet der Dinge, künstliche Intelligenz und Datenökonomie für viele staatliche und überstaatliche Organisationen gearbeitet. Sie ist auch an mehreren Projekten zu algorithmischer Fairness beteiligt.