Gleichstellung: Dreht sich die Welt gerade rückwärts?
Das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper wird in Frage gestellt, in den USA regiert ein Sexualstraftäter, die FPÖ wirbt mit einer "Herdprämie" für Frauen, die daheimbleiben. Wieviel "Backlash" unser Gleichstellungsrecht aushält, fragen wir Rechtswissenschafterin Elisabeth Holzleithner.
Rudolphina: "Die Rechte von Frauen, Mädchen und geschlechtsdiversen Menschen werden immer weiter zurückgedrängt", heißt es in einem alarmierenden UN-Bericht von 2024. Dreht sich die Welt gerade rückwärts?
Elisabeth Holzleitner: Das Erstarken rechtsnationalistischer Bewegungen geht oftmals mit einem Abbau von Gleichstellungsmaßnahmen einher – das hätte uns auch in Österreich gedroht, wäre die Regierung zwischen Blau und Türkis zustande gekommen. In den USA erleben wir aktuell einen massiven Backlash: Die Policies, die Diversität und Inklusion betreffen, werden massiv zurückgefahren. Ich habe einiges befürchtet, als Donald Trump neuerlich gewählt wurde, doch ich habe mir nicht vorstellen können, dass die Eingriffe derart radikal sein würden – und das betrifft ja nicht nur die Gleichstellung. In anderen Staaten gibt es aber auch positive Entwicklungen: So wurde in Frankreich im vergangenen Jahr erstmals ein Grundrecht auf Schwangerschaftsabbruch verankert. Andere Länder, wie etwa Kanada, halten ihre Standards: Dort wird der Schwangerschaftsabbruch schon lange nicht mehr strafrechtlich verfolgt. Wir haben es eher mit massiven Ungleichzeitigkeiten zu tun, als mit einer geradlinigen Rückwärtsbewegung.
Rudolphina: In Österreich hat sich beim dritten Versuch eine Regierung geformt – ohne Beteiligung rechtsnationalistischer Parteien. Was erwarten Sie in Dingen Gleichstellung von der neuen Regierung?
Elisabeth Holzleithner: Der Wissenschaftsbetrieb ist seit den 1990er Jahre ein Bereich, in dem sich sehr viel tut. Hier wurden immer wieder auch Rechtsbehelfe ausprobiert und die Gleichstellung ist bereits stark verankert. Ich gehe davon aus, dass Eva Maria Holzleitner, Bundesministerin für Frauen, Wissenschaft und Forschung, in diesem Bereich weitere Akzente setzen wird. Unsere neue Bundesministerin für Justiz, Anna Sporrer, kenne ich seit vielen Jahren. Sie ist eine Pionierin der feministischen Rechtswissenschaften in Österreich, hat sich immer intensiv mit Fragen der Gleichstellung befasst und war auch Vorsitzende im Verein DIE JURIST*INNEN. Ich bin daher zuversichtlich, was die Arbeit der neuen Regierung für die Gleichstellung betrifft – wobei es ja nicht nur um Frauen oder Geschlechterfragen geht, sondern auch um Fragen der Religion, der ethnischen Herkunft, Alter oder der sexuellen Orientierung.
Rudolphina: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Was kann die österreichische Gesetzesgrundlage dem Angriff auf Gleichstellung, wie wir sie aktuell u.a. in den USA erleben, entgegensetzen?
Holzleithner: Österreich ist Teil der Europäischen Union und im Vertrag über die Europäische Union (EUV) und im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist die Gleichheit und Gleichstellung der Geschlechter verankert. Darüber hinaus gibt es die UN-Frauenrechtskonvention, die in Österreich teilweise Verfassungsrang hat. In der österreichischen Verfassung selbst sichert der Artikel 7 B-VG die Gleichheit vor dem Gesetz. Überdies wird ein Bekenntnis zur tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter normiert, und Maßnahmen zur Förderung der faktischen Gleichstellung werden für zulässig erklärt.
Auf der einfachgesetzlichen Ebene (also der Gesetze, die nicht im Verfassungsrang erlassen sind, Anm.) haben wir z.B. ein Gleichbehandlungsgesetz für die Privatwirtschaft, ein Bundes-Gleichbehandlungsgesetz für den Bundesdienst. Auch im Universitätsgesetz finden sich Gleichstellung, Diskriminierungsschutz und Frauenförderung. Damit haben wir eine sehr starke Grundlage für das Gleichstellungrecht. Aber es gibt keine Gewähr, wenn eine Partei die Macht übernimmt und quasi mit der Kettensäge an diese Regularien herangeht. Wir sehen in den USA, wie schnell es gehen kann.
Gleichstellung an der Universität Wien
Die Universität Wien ist sich der genderspezifischen Kluft bewusst und ist bestrebt, chancengerechte Beschäftigungsmöglichkeiten sowie ein inklusives Umfeld zu bieten.
- Umfassender Überblick Professor*innen nach Fakultäten & Zentren
- Weitere Informationen zu den Geschlechterverhältnissen sowohl des wissenschaftlichen als auch allgemeinen Universitätspersonals finden Sie im Gleichstellungsbericht.
- Die Abteilung Organisationskultur und Gleichstellung verfolgt das Ziel einer inklusiven und chancengerechten Universität.
Rudolphina: Auch in den USA gibt es gesetzliche Grundlagen – warum ist der Rückbau von Gleichstellungsrechten dennoch, scheinbar einfach, möglich?
Holzleithner: Eigentlich hätte es in den USA auch nicht so einfach gehen dürfen, aber Trump schießt eine Executive Order nach der anderen heraus und zwingt die betroffenen Institutionen, diese umzusetzen. Ob diese Vorgaben rechtlich überhaupt halten, ist nicht gesagt. Es gibt ja bereits reihenweise Klagen gegen Trumps Vorgehen, die auch vor dem Supreme Court landen werden. Doch jemand wie Trump scheint sich nicht für das Urteil der Gerichte zu interessieren. An diesem Punkt hat der Rechtsstaat ein massives Problem. Er lebt von der Gewaltenteilung – davon, dass etwa der Präsident als Teil der Exekutive nicht einfach machen kann, was er will, und sich die Gesetzgeber*innen im Rahmen der Verfassung bewegen. In der Art von liberalen-rechtsstaatlichen Demokratie, die wir kennen, ist das abgesehen von einigen Hickups eigentlich auch selbstverständlich. Doch wenn ein Donald Trump nun alles niederreißt, kann man nicht viel mehr machen, als auf die Zwischenwahlen zu hoffen – wobei die Trump-Regierung sich auch das Wahlrecht vorgenommen hat.
Ich habe angesichts der Situation in den USA wieder begonnen, The Handmaid's Tale zu lesen und kann den dystopischen Roman von Margaret Atwood und die darauf basierende Serie nur empfehlen. (Hier gibt es den Roman zur Ausleihe in der Universitätsbibliothek) In der Geschichte haben wir es mit einem totalitären Staat zu tun, in dem Frauen systematisch unterjocht werden. Spannend ist für mich besonders die Figur der Serena Joy Waterford, der Ehefrau eines der Machthaber des theokratischen Regimes. Sie galt im Roman als Vordenkerin der neuen häuslichen Weiblichkeit. Nachdem das Regime installiert war, wurde Frauen sogleich Lesen und Schreiben verboten – und Serena Joy wurde in die Häuslichkeit verbannt. Für mich ist es auch die Warnung, sich vor dem Geist zu hüten, den man aus der Flasche lässt.
Veranstaltungstipp: Gender Talks
Einen spannenden Vortrag über die Rolle von Gender und Immigration gibt es von der neuen Fulbright-Stipendiatin Chien-Juh Gu, am 20. März 2025 um 17 Uhr am Institut für Soziologie (Rooseveltplatz 2, 1090 Wien). Rethinking Gender and Immigration: A Feminist Standpoint Approach
Rudolphina: Was können wir vielleicht auch aus unserer eigenen Geschichte lernen? Schließlich haben sich in Österreich bereits im 19. Jahrhundert Frauen zusammengetan, um für Gleichstellung zu kämpfen.
Holzleithner: Wenn man sich die Geschichte ansieht, dann kann man sehen, dass die Frauenbewegungen sehr divers waren und darin lag ihre Stärke. Mächtig waren Frauen in der Politik immer dann, wenn sie sich über Parteigrenzen hinweg verbündet haben. Wir können daraus lernen, sich in feministischen Kontexten nicht spalten zu lassen – auch wenn momentan in unserer Gesellschaft die Lust an der Polarisierung vorherrscht. Das Zusammenarbeiten, auch über ideologische Grenzen hinweg, sowie Beharrlichkeit sind enorm wichtig, um Entwicklungen hin zur Gleichstellung voranzutreiben – oder sie aufzuhalten, wenn sie in illiberale, gleichstellungsfeindliche Richtungen gehen.
Rudolphina: Vielen Dank für das Gespräch! (hm)