Pandemie

COVID-19: "Viele sehen keine persönliche Gefahr"

10. März 2021 von Lisa Kiesenhofer
Nach gut einem Jahr Corona-Pandemie steigen die Infektionszahlen wieder, Teile der Bevölkerung halten sich nur mäßig an die Maßnahmen. Laut Studien des Austrian Corona Panel der Uni Wien ist das Vertrauen in die Regierung stark gesunken. Das liege auch an der unklaren Kommunikation der Politik, sagt Politikwissenschafterin Sylvia Kritzinger im Interview.
Nicht nur die gesellschaftliche Solidarität hat im Laufe der Pandemie abgenommen, auch das Vertrauen in die Politik wurde immer weniger. © Pexels/Gustavo Frings

Rudolphina: Sie forschen seit einem Jahr zu Verhalten und Einstellungen der Bevölkerung während der Corona-Pandemie. Welche Ergebnisse haben Sie bisher am meisten überrascht?

Sylvia Kritzinger: Wir haben seit Ende März 2020 Daten zu unterschiedlichen Aspekten der COVID-19-Pandemie gesammelt und im Laufe dieser Zeit hat es immer wieder "Aha-Momente" gegeben. Aber ein paar Ergebnisse stechen für mich persönlich heraus. Zum Beispiel, dass die Polarisierung der Bewertung der Regierungsmaßnahmen innerhalb des vergangenen Jahres zugenommen hat. Im Frühjahr 2020 hat noch eine klare Mehrheit die Maßnahmen zur COVID-19 Bekämpfung unterstützt. Mittlerweile klaffen die Meinungen dazu viel stärker auseinander – ein Teil der Bevölkerung bewertet die Maßnahmen als zu extrem. Andere Menschen hingegen empfinden die Regeln und Gesetze als nicht ausreichend. Ganz allgemein werden die Maßnahmen als wenig effektiv eingeschätzt. Mittlerweile denken lediglich 16 Prozent unserer Befragten, dass die Regierungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie effektiv sind. Interessant ist auch, wie die gesellschaftliche Solidarität, die zu Beginn der Pandemie sehr stark ausgeprägt war, im Laufe der Zeit abgenommen hat. Wenig überrascht hat mich hingegen, dass das Vertrauen in die Bundesregierung stark zurückgegangen ist. Der sogenannt "rally-around the flag effect" – also der nationale Schulterschluss – ist zu Beginn von Krisenzeiten sehr groß, nimmt dann aber sukzessive ab. Das konnte man schon bei anderen Krisen beobachten.

Rudolphina: Das Vertrauen in die Politik hat während der Pandemie immer mehr abgenommen. Welche Herausforderungen gehen damit einher?

Sylvia Kritzinger: Was an unseren Daten immer wieder interessant zu beobachten ist: Die Befragten schätzen die gesundheitliche Gefahr des COVID-19 Virus für sich selbst als sehr gering ein. Die Gefahr für die Gesellschaft als Ganzes wird aber als deutlich höher eingestuft. Man selbst scheint vor dem Virus gefeit zu sein – so die Ansicht. Das hat Auswirkungen auf die Verhaltensweisen. Ein weiteres Problem ist, dass uns die Pandemie und die damit einhergehenden Einschränkungen nun schon recht lange begleiten und ein echtes Ende ist noch nicht absehbar. Die steigenden Infektionszahlen sind in diesem Zusammenhang nicht hilfreich. Es scheint, als ob die eingeführten Maßnahmen keine Wirkung entfalten. Das hat zur Folge, dass sich viele Menschen die Frage stellen: Wieso braucht es diese Maßnahmen dann? Umgekehrt ist es aber auch so: Menschen, die die Maßnahmen als zu extrem erachten, werden sich gerade deshalb wahrscheinlich weniger daran halten. Es ist also ein kleiner Teufelskreis.

Rudolphina: Wie könnte man diesen Teufelskreis durchbrechen?

Sylvia Kritzinger: Klare Kommunikation seitens der politischen Akteur*innen ist in diesem Zusammenhang zentral. Vage Kommunikation erhöht hier nicht unbedingt das Vertrauen in die Handlungen der Regierung, denkt man zum Beispiel an die vielen "Ankündigungen der Ankündigungen" und die kurzfristigen kommunikativen Kehrtwenden. Mit klarer Kommunikation geht aber auch Verantwortung einher. So müsste sich die Regierung an ihre eigenen Regeln halten und sich nicht selbst mit gegensätzlichen Handlungen – wie beispielsweise Öffnungen bevor die zuvor verkündeten Ziele erreicht wurden – konterkarieren. Oder man müsste die Abweichung von den ursprünglichen Zielen erklären.

Rudolphina: Wie könnte man in der Pandemiebekämpfung die derzeitige Stimmung zum Positiven wenden?

Sylvia Kritzinger: Gewisse Maßnahmen können eine positive Stimmung in der Bevölkerung erzeugen. Zum Beispiel eine umfassende Teststrategie. Unsere Daten zeigen, dass sich immer mehr Menschen testen lassen. Übrigens: Zirka 40 Prozent unserer Befragten haben noch nie einen Text durchführen lassen. Würde man diese Gruppe erreichen, würde das die Chancen erhöhen, dass sich die Menschen mehr und kontinuierlich testen lassen. Gelingt das, könnte regelmäßiges Testen eine Maßnahme werden, die von vielen Menschen als sehr positiv in der Überwindung der Krise gesehen wird, bis eine Impfung möglich sein wird.

Rudolphina: Ihre Untersuchungen haben auch ergeben, dass fast zwei Drittel der Befragten sich Expert*innen als Entscheidungsträger*innen während der COVID-19 Pandemie wünschen. Ist Österreich bereit für eine neue Form der Demokratie?

Sylvia Kritzinger: Dieser hohe Wert ist sicher stark im Zusammenhang mit der andauernden Pandemie zu bewerten: Alle Maßnahmen, die von Seiten der Regierung gesetzt wurden, scheinen zu keinem positiven Ergebnis zu führen. Sprich: dass man noch immer nicht sein altes, normales Leben wieder führen kann. Ich würde jetzt aber nicht so weit gehen, daraus ableiten zu wollen, dass neue Formen der Demokratie Einzug halten werden. So schnell wird das nicht passieren. Allerdings hätte man von Seiten der Politik die Bürger*innen durchaus etwas mehr "mitnehmen" können. So hätte man ihnen die Möglichkeit der Partizipation geben können, ihre Wünsche zu artikulieren und auf Augenhöhe zu kommunizieren. Das ist meiner Einschätzung zufolge kaum passiert. Die Kommunikation fand sehr "top-down" statt – hier ist deutlich ein starkes hierarchisches Muster zu erkennen.

Rudolphina: Kann man die sozialen Langzeitfolgen in der Bevölkerung aufgrund der Pandemie schon abschätzen?

Sylvia Kritzinger: Was wir heute sicher noch nicht abschließend klären können, sind die psychischen und sozialen Langzeitfolgen der Pandemie. Jetzt sieht man bereits, dass junge Menschen, Frauen, sozial schwächer Gestellte, Personen mit psychischen Erkrankungen, etc. besonders von den Auswirkungen der Pandemiebekämpfung betroffen sind. Konkret geht es um Themen wie Arbeitsplatzverlust, schwerer zugängliche Bildungsmöglichkeiten, gesundheitliche Betreuung, Doppelbelastungen und vieles mehr. In Bezug auf zukünftige gesellschaftliche Strukturen steht die Gefahr einer zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft im Raum. Die COVID-19 Pandemie hinterlässt Gewinner*innen und Verlierer*innen – finanziell, aber vor allem was Bildung betrifft. Hier geht die Schere zunehmend auseinander. Um herauszufinden, ob und wie sich Langzeitfolgen entwickeln werden, braucht es dringend begleitende Studien, und das über einen längeren Zeitraum. Nur mit einer qualitätsvollen Datenbasis lassen sich evidenzbasierte Schlussfolgerungen kontinuierlich ziehen, die dazu dienen können, bei Fehlentwicklungen rechtzeitig gegenzusteuern.

Rudolphina: Vielen Dank fürs Gespräch!

Sylvia Kritzinger ist seit 2007 Professorin für Methoden in den Sozialwissenschaften am Institut für Staatswissenschaft. Sie forscht u.a. zu den Themen politisches Verhalten, Wahlforschung, demokratische Repräsentation und politische Teilnahme.

Sie ist eine der Projektleiterinnen des "Austrian Corona Panel Projects (ACPP)" sowie der "Austrian National Election Study" (AUTNES), verantwortlich für das Teilprojekt "The Demand Side – Wahlverhalten".