Gesunde Zellen, fittes Gehirn

Auf dass wir Alzheimer bald vergessen können

Eine "Müllabfuhr" sorgt in unseren Zellen für Ordnung. Geht dabei etwas schief, sind Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson die Folge. Molekularbiologe Sascha Martens und sein Team erforschen den für unsere Gesundheit so wichtigen Prozess – die Autophagie.
© Universität Wien

"If you're having an Eureka-moment, you're usually wrong", erklärt uns Elias Adriaenssens und strahlt dabei mit seinem weißen Kittel um die Wette. Der Jungforscher hat in Antwerpen und Oxford studiert, bevor er sich im Frühjahr Sascha Martens' Team an den Max Perutz Labs der Uni Wien angeschlossen hat. Eines hat der Molekularbiologe gleich zu Beginn seiner Karriere gelernt: Eine neue Entdeckung, wie aufregend sie auch sein mag, behält man zunächst besser für sich. In den allermeisten Fällen sind die Ergebnisse "just too good to be true" und entpuppen sich spätestens bei einem erneuten Versuch als Fehlannahme. Die großen Entdeckungen, lernen wir, passieren in der Wissenschaft selten: "Usually it's very small bits and pieces which, in the end, make the big picture."

Die Max Perutz Labs wurden 2005 als Joint Venture der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien ins Leben gerufen. Mittlerweile forschen hier rund 450 Köpfe aus 40 Nationen an grundlegenden Fragen im Bereich Molekular- und Zellbiologie. Die Ideenschmiede im 3. Wiener Gemeindebezirk konnte bereits 13 ERC Grants einwerben – zwei Grants davon gehen an das Team von Sascha Martens (zu allen ERC Grants an der Uni Wien). Die Max Perutz Labs sind Teil des Vienna Biocenters, einem der europäischen Hotspots für Lebenswissenschaft – jüngster Zuwachs ist das heuer neu eröffnete Biology Building der Uni Wien.

Autophagie: Wohin mit dem Müll in unseren Zellen?

So scheitern sich die Zellforscher*innen zum Ziel und schaffen mit ihrem unermüdlichen Einsatz die Grundlagen zur Behandlung von neurodegenerativen Krankheiten. "Better understanding of processes in cells will provide us with new insights in what might be going wrong in Alzheimer and Parkinson's", so Riccardo Trapannone, "Zellversteher" und Postdoc im Team Martens. Der entscheidende Prozess, den die Molekularbiolog*innen in diesem Zusammenhang untersuchen, ist die zelluläre Müllentsorgung, denn "Mist" fällt auch in unseren Zellen an – und zwar ständig.

Ein ausgeklügeltes molekulares Überwachungskommando identifiziert verdächtige Substanzen – kaputte Zellbestandteile, verklumpte Proteine oder auch Krankheitserreger – und veranlasst ihren Abtransport: Sie werden in ein "Sackerl" verpackt (eine Doppelmembran, die um den Mist herum wächst) und in den "Recyclinghof" der Zelle (zum Lysosom) gebracht. Dort werden die defekten Zellbestandteile zerlegt und wiederverwertet. Dieser Selbstreinigungsprozess der Zelle heißt Autophagie – Griechisch für "Selbstfressen". "Und ist eine perfekt eingespielte, selbst organisierte Maschinerie", erklärt uns Teamleiter Sascha Martens, während ein Gerät hinter ihm die Zellproben im Staccato durchschüttelt. Der zweifache ERC-Grantee möchte im Detail verstehen, wie das Zusammenspiel der Moleküle bei der Autophagosomenbildung funktioniert, denn hier haben Krankheiten – von Infektionen über neurodegenerative Krankheiten bis hin zu Krebs – ihren Ursprung.

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Meet the scientists
Sascha Martens and his team are investigating the mysterious degradation pathways in our cells. In this video, the biochemists from the University of Vienna reveal what keeps them going – despite failures and being borne away: Team spirit, the passion for a topic and their common goal of making a difference.
Schematische Darstellung der Zelle
Autophagie erregte 2016 das Interesse der breiten Öffentlichkeit, als der japanische Zellbiologe Yoshinori Ohsumi den Medizin-Nobelpreis für seine Arbeit zu Abbauprozessen in Zellen verliehen bekam und damit den Weg für die Autophagieforschung ebnete. "Ohsumi hat aus Neugierde heraus zelluläre Verwertungsprozesse am Modellorganismus Hefe untersucht. Dass er dafür Jahrzehnte später den Nobelpreis bekommen und Pharmaunternehmen viel Geld investieren würden, um diesen Prozess zu modellieren, konnte er nicht ahnen", erklärt Verena Baumann, Doktorandin und "Hefespezialistin" im Team Martens. Ohne solche Pionierleistungen der Grundlagenforschung, wie sie auch Martens und Co. an den Max Perutz Labs betreiben, wären anwendungsorientierte Entwicklungen nicht möglich. © Verena Baumann

Alzheimer und Parkinson auf der Spur

Eine Alzheimererkrankung entwickelt sich oft jahrzehntelang unbemerkt in unseren Körpern, bevor es zu ersten Symptomen und schließlich zur Diagnose kommt. Streng im Verdacht, die weltweit häufigste Demenzkrankheit auszulösen, steht das Protein "Tau". Es bildet längliche Verklumpungen in unseren Nervenzellen, die normalerweise von der Autophagie-Maschinerie erkannt und abgebaut werden. Ganz ähnlich bei Parkinson – die zweite Krankheit, deren Zusammenhang mit der zellulären Müllabfuhr im Team Martens untersucht wird: "Hier kommt es zu einem Fehler beim Entsorgen von kaputten Mitochondrien – den Energielieferanten der Zelle – in einem ganz bestimmten Teil des Gehirns, welcher für die Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin verantwortlich ist." Dies führt langfristig zu den für Parkinson typischen Symptomen: Patient*innen können ihre Bewegungen nicht mehr kontrollieren, Muskeln werden steif und zittern auch im Ruhezustand. Allein in Österreich sind rund 20.000 Menschen von Parkinson betroffen.

Millionenschwere Parkinsonforschung

In einem mit insgesamt mehr als 7 Mio. Dollar von der Initiative Aligning Science Across Parkinson's (ASAP) geförderten Projekt – ein Forschungsnetzwerk, das u.a. mit der The Michael J. Fox Foundation kooperiert – nutzen Martens und sein Team geballte Kräfte, um Parkinson auf Zellebene zu verstehen. "Es ist wie in einer Band: Die einen spielen gut Gitarre und Bass, die anderen sind Schlagzeuger oder überzeugen mit Gesang – und erst zusammen gelingt der Song", ist Martens überzeugt. In Berkeley sitzen die Expert*innen für Proteinstrukturen, in Australien werden Zellen manipuliert, die University of Pennsylvania hat die Nase in Sachen Neurobiologie vorne und am Max-Planck-Institut in Frankfurt wird modelliert. Sascha Martens und Co. haben sich darauf spezialisiert, die Autophagie-Maschinerie im Labor nachzubauen. "Wir identifizieren und rekonstruieren in aufwändiger Detailarbeit die zentralen Zahnrädchen und versuchen dann, sie richtig zusammen zu setzen", erklärt der charismatische Teamleiter.

Schiefgehen ist auch eine Richtung

Am Autophagie-Prozess sind zahlreiche Proteine beteiligt. In mehr als zehn Jahren mühsamer Forschungsarbeit haben Martens und sein engagiertes Team mittlerweile dutzende dieser Komponenten isoliert und es geschafft, die frühen Schritte in der Bildung des Autophagosoms nachzubauen – und spielen damit in der internationalen Zellforschung ganz vorne mit. Nach dem Baukasten-Prinzip wollen sie nun auch die nächsten zentralen Schritte dieser cleveren Maschinerie entschlüsseln, die in unseren Zellen für Ordnung sorgt. Jeder Tag beginnt für die Zellbiolog*innen mit der Hoffnung, vielleicht heute eines der entscheidenden Rädchen im Getriebe zu identifizieren, und fast jeder Tag endet mit dem Vorsatz, es morgen noch einmal zu probieren. Sie forschen weiter: Auf dass wir Alzheimer bald vergessen können. (hm/br)

 

Fotostrecke: Ein Tag im Labor mit Team Sascha Martens

© Daniel Hinterramskogler
© Daniel Hinterramskogler
Sascha Martens ist seit 2017 Professor für Membranbiochemie am Zentrum für Molekulare Biologie. Seine Schwerpunkte sind Biochemie, Zellbiologie, Membranbiologie und Autophagie.

 

Er kam 2009 vom MRC Laboratory of Molecular Biology in Cambridge nach Wien, um an den Max Perutz Labs die autophagozytotischen Wege am Modellorganismus Hefe und an menschlichen Zellen zu untersuchen.