Überlebensstrategien von Zellen

Wenn die Zellteilung schiefgeht

18. März 2022 von Markus Steiner
Zellen können trotz Fehler bei der Zellteilung überleben. Warum das so ist und welche Rolle die Zellteilung bei Krebs spielt, untersucht der Chromosomenbiologe Christopher Campbell.
Menschliche Zellen besitzen jeweils zwei Kopien eines jeden Chromosoms. Diese müssen während der Zellteilung gleichermaßen zwischen den Tochterzellen aufgeteilt werden. Funktioniert das nicht, kann es zu genetischen Störungen wie dem Down-Syndrom kommen. © National Institutes of Health

Im menschlichen Körper finden pro Sekunde mehrere Millionen Zellteilungen statt. Doch nicht immer läuft alles problemlos. Manchmal kommt es vor, dass Chromosomen bei der Zellteilung ungleichmäßig zwischen den Tochterzellen aufgeteilt werden. Expert*innen sprechen dann von einer sogenannten "Aneuploidie", die für die Zelle schädlich oder sogar tödlich sein kann. Während der Entwicklung eines Menschen können Fehlgeburten oder genetische Störungen die Folge sein.

Aber auch in der Krebsforschung ist ein besseres Verständnis dieses häufigen Fehlers bei der Zellteilung unabdingbar: "Knapp 90 Prozent aller soliden Tumore weisen eine Aneuploidie auf. Im Moment ist aber noch nicht klar, wie Krebszellen den 'Autokorrekturmodus' der Zelle umgehen und trotz Aneuploidie überleben und sogar wachsen können", erklärt Christopher Campbell von der Universität Wien, der an den Max Perutz Labs eine Forschungsgruppe leitet und 2016 für sein Projekt mit dem hochdotierten österreichischen START-Preis ausgezeichnet wurde. 

Chromosomal Passenger Complex: Mechanismus korrigiert Fehler bei der Zellteilung

Damit die Zellteilung gelingt, muss das Chromosomenpaar exakt an der richtigen Stelle positioniert sein. Klappt das nicht, weiß sich die Zelle aber mit einer cleveren Überlebensstrategie zu helfen: Sie ruft den sogenannten "Chromosomal Passenger Complex" (CPC) auf den Plan. "Wie dieser ausgeklügelte Korrekturmechanismus eine falsche Chromosomenverteilung überhaupt erkennt und die Zelle trotz solcher Fehler überleben kann, haben wir am Beispiel von Hefezellen untersucht", so Campbell, den solche komplexen grundlegenden Zellprozesse schon immer fasziniert haben.

"Der CPC ist ein Komplex aus verschiedenen Proteinen und funktioniert wie ein Sensor während der Zellteilung. Wir konnten zeigen, dass ein bestimmter Bereich im CPC Chromosomen erkennt, die nicht richtig in die Tochterzellen transportiert werden können, weil sie quasi an der falschen Stelle befestigt sind. Der CPC veranlasst dann die Korrektur dieses Fehlers", erläutert der Zellforscher.

Warum arbeiten Zellbiolog*innen gerne mit Bäckerhefe?

Die Bäckerhefe (Saccharomyces cerevisiae) eignet sich besonders gut für genetische Studien, weil sie einen sehr kurzen Lebenszyklus aufweist. Das erlaubt den Forscher*innen, die Entwicklung von Zellen, die gezielt manipuliert worden sind, in einem relativ kurzen Zeitraum über mehrere Generationen hinweg zu beobachten. Diese Experimente dauern somit nicht Jahre, sondern Wochen.

Auch das Team rund um Biochemiker Sascha Martens von der Uni Wien arbeitet mit Bäckerhefe, um u.a. die zelluläre "Müllabfuhr" und den Zusammenhang zwischen Autophagie und Alzheimer zu entschlüsseln. Lesen Sie hier den Forschungsartikel "Auf dass wir Alzheimer bald vergessen können"!

Kreative Überlebensstrategie bei der Zellteilung

Die Ergebnisse sind verblüffend. Campbell und sein Team konnten nämlich in verschiedenen Experimenten nachweisen, dass Zellen mit dem Fehler Aneuploidie nicht nur sehr kreativ umgehen, sondern diesen sogar temporär in einen Vorteil verwandeln können: "Zellen versuchen sich an die veränderten Bedingungen anzupassen, indem sie verschiedene Tricks ausprobieren. Aneuploidie bewirkt, dass man von vielen verschiedenen Genen entweder auf einmal viel mehr oder viel weniger in der Zelle hat. So kann es vorkommen, dass betroffene Zellen spezielle Aneuploidie-Sets entwickeln, bei denen Hunderte von Genen dereguliert sind. Das kann dann ein Vorteil sein, wenn man ganz spezielle Umweltbedingungen hat, wie man sie eben in Tumorgeweben findet."

Eine weitere interessante Überlebensstrategie von Zellen, die der Forscher beobachtet hat, ist das bewusste Reduzieren des CPC-Effekts: "Dieser Mechanismus, mit dem ja eigentlich Defekte bei der Zellteilung rechtzeitig erkannt und korrigiert werden sollen, wird manchmal einfach zurückgeschraubt, um Chromosomen gezielt andocken oder abstoßen zu können", schildert der Wissenschafter.

Was macht Sie in Ihrer Forschung unermüdlich neugierig?

Es ist faszinierend, wie unglaublich komplex die molekularen Abläufe in Zellen funktionieren. Man muss unermüdlich neugierig bleiben, wenn man viele dieser Rätsel entschlüsseln möchte und es gibt aber immer noch viel mehr zu entdecken.

Zellteilung und Krebs: Funktion von Aneuploidie 

Nach mehreren Jahren intensiver Grundlagenforschung haben die Wissenschafter*innen Erkenntnisse zur Zellteilung mit weitreichenden Implikationen zu Tage gefördert. "Zum Beispiel könnten Krebsarten mit hohen Chromosomen-Fehlverteilungen auch auf eine temporäre Aneuploidie setzen, um weiter zu wachsen", sagt der Experte, der mit seiner Forschung ein wichtiges Puzzlestück liefert: "Wenn wir die Prozesse der Zellteilung besser verstehen, können wir sie auch gezielter beeinflussen und effektivere Therapieansätze – etwa auch gegen Krebs – entwickeln", ist Campbell überzeugt. (ms)

Die Max Perutz Labs wurden 2005 als Joint Venture der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien ins Leben gerufen. Mittlerweile forschen hier rund 450 Köpfe aus 40 Nationen an grundlegenden Fragen im Bereich Molekular- und Zellbiologie. Die Max Perutz Labs sind Teil des Vienna Biocenters, einem der europäischen Hotspots für Lebenswissenschaft – jüngster Zuwachs ist das heuer neu eröffnete Biology Building der Uni Wien

© MFPL/Daniel Hinterramskogler
© MFPL/Daniel Hinterramskogler
Christopher Campbell ist 1980 in den USA geboren und forscht am Department für Chromosomenbiologie an den Max Perutz Laboratories (Universität Wien und MedUni Wien).

Sein PhD-Studium absolvierte er 2008 an der University of California, San Francisco. Anschließend forschte er am Ludwig Cancer Research in San Diego, bevor er als Group Leader an den Max Perutz Laboratories (MPL) an die Universität Wien wechselte – mit einem "WWTF Vienna Research Groups for Young Investigators Grant" im Gepäck. Im Juni 2016 erhielt er den hochdotierten START-Preis für sein Projekt "Ursachen und Folgen der chromosomalen Instabilität".