Wie Organismen balancieren
Wenn sie mit der Umwelt interagieren oder körperliche Prozesse regulieren, leisten Organismen alltäglich Schwerstarbeit. Abfallprodukte aus dem Zellstoffwechsel müssen beseitigt, gegebenenfalls recycelt werden. Organe sind gefordert, für Nachschub an frischen Zellen zu sorgen. Und auch der Organismus als Gesamtsystem ist gefragt, um sich gegen Umwelteinflüsse oder Krankheitserreger zu wappnen.
Balance halten
Flexibilität ist für Organismen lebensnotwendig. Und dies setzt voraus, dass sie körperliche Abläufe sorgsam ausbalancieren. "Um Infektionen zu bekämpfen, sind Entzündungsreaktionen erforderlich. Genauso wichtig ist es, die Reaktion wieder einzudämmen, sobald die Gefahr gebannt ist. Anderenfalls kann die Entzündung chronisch werden", erklärt Molekularbiologin Manuela Baccarini von der Universität Wien.
Ein weiteres Beispiel ist die Produktion neuer Zellen für die Organe: Dafür sind Stammzellen zuständig, die im Körper nur in begrenzter Zahl vorhanden sind. "Wir interessieren uns dafür, woher Stammzellen wissen, wann sie in Aktion treten sollen und wie sie neue reife Zellen produzieren können, ohne dass sie selbst immer weniger werden", so Baccarini.
Signale hören und übersetzen
Die Wissenschafterin leitet das interdisziplinäre Doktoratskolleg "Signaling Mechanisms in Cellular Homeostasis" (kurz: "SMICH") an den Max F. Perutz Laboratories, einem Joint Venture der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien. Im Zentrum des Programms, das exzellente internationale Nachwuchsforscher*innen an die Uni Wien holt, stehen die Signale und Signalwege, die die körperlichen Balanceakte auslösen oder steuern.
"Alle Lebewesen verfügen über Mechanismen, um auf äußere Einflüsse zu reagieren und Körperreaktionen auszubalancieren. Die Akteure sind die Zellen: Sie interpretieren diese Ereignisse und übersetzen sie in biochemische und biologische Signale, über die sie mit anderen Zellen kommunizieren", erläutert Projektkoordinatorin Cornelia Oppitz. Manuela Baccarini ergänzt: "So halten sich Organismen im Gleichgewicht: Sie lösen körperliche Reaktionen aus oder halten sie in Schach, bevor sie selbst schädlich werden können."
Maßgeschneidertes Programm
Wie diese Signalwege funktionieren – also wie genau Zellen miteinander "sprechen" – steht im Fokus der PhD-Projekte im strukturierten Doktoratsprogramm, das vom FWF finanziert wird. Theoretischen und praktischen Input für ihre Forschung bekommen die ca. 30 Doktorand*innen einerseits über eine Ringvorlesung mit begleitenden Workshops, andererseits bestimmen sie selbst mit, in welche Richtung sie sich weiterbilden.
"Wenn es Bedarf an spezifischen Lehrinhalten gibt, organisieren wir entsprechende Workshops. Im Programm können wir Studierenden außerdem kurzfristige Aufenthalte an internationalen Forschungsstätten ermöglichen, damit sie sich zusätzliches Handwerkszeug für ihre Forschung aneignen können", berichtet Cornelia Oppitz.
Austausch ist das A und O
Neben der Flexibilität des Programms ist es der intensive interdisziplinäre Austausch zwischen den KollegiatInnen aus der Molekularbiologie, Strukturbiologie, Bioinformatik, Genetik und Mathematik, der sowohl eine umfassende wissenschaftliche Ausbildung als auch innovative Forschungsergebnisse erwarten lässt. Das "SMICH" veranstaltet regelmäßige Projektpräsentationen und mehrtägige Blockveranstaltungen, an denen die Doktorand*innen wie auch die zwölf Gruppenleiter*innen, die fünf Leiter*innen der assoziierten Forschungsgruppen sowie weitere interessierte Nachwuchswissenschafter*innen beteiligt sind.
"Es ist faszinierend zu erleben, wie intensiv die Doktorand*innen ihre Projekte miteinander diskutieren und fächerübergreifend zusammenarbeiten. Obwohl die Projekte in unterschiedlichen Departments und Disziplinen angesiedelt sind, liegen sie doch so nah beieinander, dass sich die Studierenden gegenseitig gut unterstützen und bereichern können", freut sich Cornelia Oppitz.
Bereicherung auf allen Ebenen
"Das Schöne an den regelmäßigen Treffen ist, dass die Schwelle, andere zu fragen, immer niedriger wird", fährt Manuela Baccarini fort. "Forscher*innen unterschiedlicher Disziplinen verstehen sich gegenseitig ja oft nicht – schon allein, weil sich die Fachsprachen unterscheiden. Im Kolleg lernen die Doktorand*innen von Beginn an, mit anderen Disziplinen zu kommunizieren. Das ist ein wichtiger Schritt zur unabhängigen Wissenschaft."
Der Austausch im und über das Doktoratskolleg hinaus ist für den gesamten Forschungsbereich bereichernd: "Die Doktorand*innen kommen von den besten Universitäten der Welt, etwa der Sorbonne Université, der Sapienza Università di Roma, der Masaryk University – und natürlich der Universität Wien. Regelmäßig präsentieren die jungen Forscher*innen neueste Erkenntnisse auf ihrem Gebiet; davon profitieren alle Beteiligten", freuen sich die Wissenschafter*innen. (jr)
Das vom FWF geförderte Doktoratskolleg "Signaling Mechanisms in Cellular Homeostasis" (SMICH) an den Max F. Perutz Laboratories der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien läuft von Mai 2017 bis April 2021. Das Doktoratskolleg, an dem insgesamt zwölf Forschungsgruppen und fünf assoziierte Forschungsgruppen der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien beteiligt sind, wird von Univ.-Prof. Dr. Manuela Baccarini geleitet und von Cornelia Oppitz, PhD (beide Department für Mikrobiologie, Immunbiologie und Genetik) koordiniert.