Von der Praxis zur Simulation und zurück
"Logistik umfasst die Aufgaben um etwas von A nach B zu transportieren", sagt Wirtschaftswissenschafter Karl Dörner, und das klingt zunächst nach Lastautos auf Autobahnen. Transportaufgaben und somit Logistik reichen aber in alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereiche und betreffen unter anderen auch die Post, innerbetriebliche Produktionsprozesse, die Müllentsorgung, Krankentransporte – und Coronatests.
Schnelle Testergebnisse sind eine logistische Herausforderung
Zur Bekämpfung einer Pandemie ist eines der wichtigsten Werkzeuge die zeitnahe Aufklärung, wer erkrankt ist – das Testen. Da im Vorhinein jedoch nicht klar ist, wo Verdachtsfälle auftreten und für eine sinnvolle Eindämmung dennoch innerhalb kürzester Zeit Tests durchgeführt und ausgewertet werden müssen, ist dies ein schwieriges logistisches Problem. Mit seinem FWF-Akutprojekt "Logistik-Entscheidungsunterstützung in der Pandemie" erforschte Dörner "wie viele Teststraßen und wie viele mobile Teams man braucht und wie man die so einsetzt, dass das Time-to-Test-Limit und das Time-to-Result-Limit eingehalten wird", also die zeitlichen Vorgaben, wie schnell ein Test durchgeführt werden und wie schnell das Ergebnis verfügbar sein muss. Das Resultat des im Juli abgeschlossenen Projekts sind ein Computermodell und Computeroptimierungsverfahren, die für alle möglichen Infektionslagen abschätzen können, wie viele Ressourcen zur Einhaltung dieser zeitlichen Vorgaben nötig sind.
Das Modell basiert zunächst auf Simulationen, die vom am Projekt beteiligten Simulationsforscher Niki Popper der TU Wien durchgeführt wurden. Seine Daten zeigen, wie viele Infizierte und potenzielle Kontakte es zu jedem Zeitpunkt an jedem Ort in der untersuchten Landschaft gibt. Dörners Modell berücksichtigt dann die Anreisezeiten von Testteams oder zu Teststraßen, die jeweiligen Testdauern und die damit verbundenen Kosten. Daraus berechnet es, wie die Positionierung von Teststraßen sowie die Zuordnung von zu Testenden aussehen muss, um sowohl rasch als auch möglichst günstig zu sein. Und obwohl das schon sehr komplex ist, erwähnt Dörner: "Das ist noch nicht ausgereizt. Erst im Kontext von der Gurgel-Testung zu Hause wie z.B. bei 'Alles Gurgelt!' ist der Wunsch seitens der Labore aufgetaucht, die Samples verteilt über den Tag zu erhalten und nicht alle zu einem gewissen Zeitpunkt" damit die verfügbaren Testkapazitäten optimal genutzt werden können. Daran, dies im Modell zu berücksichtigen, arbeitet Dörner nun noch.
Komplexe logistische Probleme können nicht exakt berechnet werden
Von Hand können solche Probleme nicht gelöst werden, selbst Computer können keine exakten Lösungen errechnen – dazu gibt es schlicht zu viele Möglichkeiten, die einzeln berechnet werden müssten. Dörner und sein Team setzen daher auf Methoden, die auch bei unvollständiger Datenlage schnell zu sehr guten Lösungen kommen, sogenannten Heuristiken: "Unsere heuristischen Verfahren liefern zwar nicht die optimalen Lösungen, aber hoffentlich eine gute Näherungslösung. Außerdem kann man jederzeit sagen, jetzt ist Schluss mit dem Rechnen. Wenn ich vier Stunden rechnen kann, wird die Lösung besser, aber ich habe auch schon nach zwei Stunden eine zulässige Lösung." Wichtig ist, dass alle Simulationen jedenfalls über Nacht rechenbar sind.
Das Handelsreisenden-Problem
Das berühmteste logistische Problem besteht in der Aufgabe, eine Reihe von Städten in beliebiger Reihenfolge so zu besuchen, dass man insgesamt die kürzeste Strecke zurücklegt. Dieses einfach formulierte Problem hat bereits bei 25 zu besuchenden Punkten so viele Möglichkeiten (Hunderte Trilliarden), dass selbst der aktuell schnellste Supercomputer der Welt mehrere Monate lang rechnen müsste um alle möglichen Wege zu prüfen. Da das Problem aber viele praktische Anwendungen hat (zum Beispiel in der Paketzustellung) wird auch hier auf Heuristiken zurückgegriffen, die dann zwar nicht die garantiert beste Lösung finden, aber eine, die sicherlich beinahe optimal ist.
Dörner demonstrierte die Fähigkeiten seiner Simulation an Lösungen des Logistik-Problems für Oberösterreich und Wien. Tatsächlich wird sie jedoch kaum für die operative Planung verwendet, also für die tägliche Frage, welche Teams wohin geschickt werden, welche Teststraßen öffnen und welche Verdachtsfälle wohin zugeordnet werden sollen. Und das obwohl sich zeigte, dass die Simulation durchaus zu vergleichbaren Ergebnissen wie die der testenden Organisationen führte. Für die taktische Planung konnten potentielle zukünftige Szenarien durchgerechnet werden, zeigt sich Dörner zufrieden, was erlaubte abzuschätzen, wie groß der Ressourcenbedarf bei einer bestimmten Infektionslage sein werde.
Hindernisse bei der praktischen Anwendung
Ein weiteres Hindernis für einen weiträumigeren Einsatz der Simulation ist, dass das Problem – außer für andere Pandemien – nicht einfach zu verallgemeinern ist. Dörner überlegt: "Es ist halt schon sehr speziell. Es gehört zur Gruppe der Location-Routing-Probleme wo man Standortentscheidungen mit der Tourenplanung verzahnt hat. Es ist aber sehr fragwürdig, wann dieses Problem-Setting noch existiert." Eine Idee kommt ihm dann doch noch: "Vielleicht bei Unternehmen, die Pop-Up-Stores betreiben aber manche Kund*innen zu Hause beliefern."
Der Widerstand, algorithmische Lösungen in logistische Planungen einzubinden, ist in der Branche aber ein generelles Problem. "Die Logistiker*innen kaufen lieber noch ein Auto, bevor sie in die Optimierung investieren. Es ist eine sehr hemdsärmelige Branche", moniert Dörner. Automatisierte Lösungen kommen daher nur in Einzelfällen zum Einsatz, obwohl das Potenzial groß ist. Immerhin, eine optimierte Logistik hilft den Ressourcenverbrauch – und in vielen Fällen auch Emissionen – zu reduzieren. "Es wird aber immer mehr und ich glaube wir sind gut dabei, auch wenn wir der Zeit noch voraus sind", gibt sich Dörner zuversichtlich.
Die Methoden eigenen sich für vielfältige Probleme
Maßgeschneiderte, heuristische Methoden für reale aber komplexe Probleme zu entwickeln ist jedenfalls die Expertise des Forschungsteams an der Universität Wien. Und an Kooperationen mangelt es auch nicht: Mit der Österreichischen Post erarbeitete die Gruppe ein Routenplanungssystem für Briefträger*innen; seit zehn Jahren arbeiten sie mit der Voestalpine zusammen um die Stahlproduktion flexibel zu gestalten und auf unerwartete Ausfälle anpassen zu können; mit der Wiener Magistratsabteilung 48 für Abfallwirtschaft, Straßenreinigung und Fuhrpark wird zurzeit ein System entwickelt, das die Mistkübelentleerung "smart" machen soll und nur volle Mistkübel angefahren werden müssen; und mit dem Landesverband Tirol des Roten Kreuzes arbeitet das Team an einem Planungssystem für den Patient*innentransport, das per Machine Learning auch die zu erwartenden Rücktransporte berücksichtigt. "Da ist ein neues Problem, das für unsere Methoden geeignet ist, also gehen wir es an", ist die Arbeitsphilosophie Dörners und er betont abschließend: "Unsere Logistikprobleme kommen alle aus der Praxis." (ds)
Seine Forschungsinteressen gelten der Entwicklung Computergestützter Methoden für Logistik und Transport. Insbesondere arbeitet er an komplexen Fragestellungen zum Lieferketten-Management mit multiplen Zielsetzungen in dynamischen Umfeldern und setzt dazu metaheuristische Suchverfahren ein.