Alles Walzer!
Rudolphina: Frau Charton, Herr Calella, heuer jährt sich der 200. Geburtstag des als Wiener Walzerkönig bekannt gewordenen Johann Strauss Sohn. Worin liegt die ungebrochene Faszination an Strauss?
Anke Charton: Er war zwar nicht der einzige, der Walzer oder eine bestimmte Art von Tanzmusik geschrieben hat, aber auf eine Art und Weise, die sehr gut in die Stadt Wien und ihre Geschichtserzählung gepasst hat. Und das ist ja immer noch so!
Michele Calella: Die Faszination hängt sicherlich damit zusammen, dass er das Bild der Stadt Wien derart nachhaltig geprägt hat und natürlich auch mit seinem internationalen Erfolg, der Verbreitung seiner Musik weltweit. Seine Musik wird ja als Inbegriff des Wienerischen dargestellt. Der durchschnittliche Tourist, der nach Wien kommt, verbindet Wien mit den Strauss-Walzern, sogar mehr als mit Beethoven oder Mozart.
Das Publikum zahlte für knappe Kleidung, schmissige Rhythmen und kritische Kommentare zur Tagespolitik. Der ursprüngliche Charakter einer Operette ist viel subversiver als der einer Oper.Anke Charton
Rudolphina: Johann Strauss Sohn war ja schon zu seiner Zeit sehr erfolgreich. Was hat ihn und seine Musik so populär gemacht?
Anke Charton: Seine Musik hat nicht nur die Säle gefüllt, sondern auch die Kassen. Hinter Johann Strauss Sohn ist die ganze Familiendynastie gestanden. Diese war bewusst darauf ausgerichtet, Musik zu machen, die Menschen mitnimmt und die sich auch einfach gut verkaufen lässt.
Michele Calella: Johann Strauss war ja nicht nur Komponist, sondern auch Dirigent. Seine Präsenz und Lebendigkeit als Kapellmeister waren entscheidend. Die visuelle, performative Komponente seiner Konzerte hat viel zu seiner Popularität beigetragen. Ein weiterer Grund ist sicher auch, dass seine Musik weniger in traditionellen Konzerthäusern rezipiert wurde, sondern vielmehr in Gaststätten, Cafés, Tanzsälen und oft auch einfachen Wirtshäusern. Die Wiener*innen haben dabei nicht nur zugehört, sondern sie haben dazu getanzt, also die Musik körperlich erlebt.
Ringvorlesung "Strauss-Topographien: Klang | Raum | Wien"
Die öffentliche Ringvorlesung lädt Studierende und alle Strauss-Begeisterte ein, sich genauer mit diesem Künstler zu beschäftigen. Johann Strauss‘ Bedeutung für seine Heimatstadt soll genau ausgelotet werden. Ziel der Ringvorlesung ist es, einen Überblick über die verschiedenen sozialen Räume, ihre Akteur*innen, Praktiken und Medien zu geben, die die Musik von Johann Strauss als Wiener Kulturphänomen geprägt haben und immer noch prägen.
6. März bis 12. Juni 2025, jeweils donnerstags, 18 Uhr
Campus der Universität Wien, Institut für Musikwissenschaft (9. Bezirk)
Nähere Informationen und Programm
Die Ringvorlesung wird von der Universität Wien, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und Johann Strauss 2025 Wien veranstaltet, federführen in der Organisation sind Michele Calella, Melanie Unseld und Anke Charton. Die Vorlesung ist für alle Interessierten offen.
Anke Charton: Es war eine Musik, die man leicht arrangieren konnte: es hing kein großer Aufführungsapparat daran. So konnte man Strauss‘ Musik in Wirtshäusern oder Ballhäusern recht einfach aufführen und dann auch über die Bewegung körperlich erfahrbar machen. Es war eine Musik, die dadurch sehr stark wahrnehmbar war in der Stadt. Und wenn etwas sehr viel Aufmerksamkeit bekommt, schreibt sich das natürlich auch leichter ein in die Stadtgeschichte und ist langfristig populärer.
Michele Calella: Im 19. Jahrhundert wurde auch die Lithographie als günstiges Druckverfahren eingeführt. Das hat dazu geführt, dass viel populäre Musik gedruckt, verkauft und global verbreitet wurde.
Die visuelle, performative Komponente seiner Konzerte hat viel zu seiner Popularität beigetragen.Michele Calella
Rudolphina: Johann Strauss ist auch für seine Operetten bekannt, wie die Fledermaus oder der Zigeunerbaron. Wie sind diese im Gesamtwerk von Strauss einzuordnen?
Michele Calella: Viele Stücke in Operetten haben den Charakter von einem Walzer oder einer Polka. Viele Walzer, die wir heute instrumental kennen, sind ursprünglich als Vokalwerke entstanden oder existierten parallel in Vokalfassungen, wie zum Beispiel "An der schönen blauen Donau" oder "Frühlingsstimmen-Walzer". Tanzmusik und Operette gehören musikalisch eng zusammen und Strauss hat das Genre der Wiener Operette stark geprägt. Man muss auch betonen, dass die Operette damals sozial brisanter war. Sie wurde erst später als etwas spießige Gattung verkauft, vor allem nach dem 2. Weltkrieg.
Anke Charton: Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Die Operette kommt ja aus einer Theaterform, die parodistisch arbeitet. Im Wesentlichen hat das Reinwaschen des Genres im Nationalsozialismus dieses Bild der kreuzbraven Operette geprägt. Bis in die Mitte 1930er hinein ist die Operette ein subversives, freches Genre gewesen, wo auch in den Dialogen sehr viel Systemkritik möglich war.
Als der Großteil der jüdischen Librettist*innen-Szene in die Emigration gezwungen oder umgebracht wurde, ist dieser Rezeptionszweig abgebrochen und es wurde ein sauberes Image darübergelegt. Das wird aber der Geschichte des Genres nicht gerecht. Wenn wir Operettenforschung betreiben, müssen wir erstmal über diese Geschichtsklitterung hinweg. Zu Strauss‘ Zeit, im späten 19. Jahrhundert, wurde Operette hauptsächlich in Privat- und Vorstadttheatern gespielt, das bedeutet, man musste spielen, wofür Leute freiwillig Geld bezahlten, um rentabel zu bleibe. Und das Publikum zahlte für knappe Kleidung, schmissige Rhythmen und kritische Kommentare zur Tagespolitik. Der ursprüngliche Charakter einer Operette ist viel subversiver als der einer Oper.
Der durchschnittliche Tourist, der nach Wien kommt, verbindet Wien mit den Strauss-Walzern, sogar mehr als mit Beethoven oder Mozart.Michele Calella
Rudolphina: Johann Strauss hat nicht nur das Wiener Publikum angesprochen, auch international war er äußerst erfolgreich.
Michele Calella: Schon Johann Strauss Vater ist mit seiner Musik in Europa auf Tournee gefahren und es entstand dadurch in vielen Ländern eine große Nachfrage nach einer solchen als wienerisch empfundenen Tanzmusik. Und Strauss Sohn hat diese Tourneetätigkeit dann fortgesetzt und ausgeweitet. Die Entwicklung der Bahnlinien zu jener Zeit hat die internationale Mobilität immer mehr gefördert, auch der Schiffsverkehr erlebt einen Aufschwung. Plötzlich wurde Amerika besser erreichbar, auch für Strauss Sohn, der 1872 zu einem großen Musikfestival nach Boston reist. So wird er und seine Musik über eine viel breitere Presselandschaft rezipiert. Die Presse hat sich schon damals über Legenden und Anekdoten über Musiker und und Musikerinnen gefreut, die sich gut verkaufen ließen.
Rudolphina: Der Erfolg von Johann Strauss Sohn wäre ohne seine Familie nicht möglich gewesen. Wie hat dieses Familienimperium funktioniert?
Michele Calella: Die ganze Familie wirkte mit. Der Vater bis zur Trennung von Anna Strauss, die Brüder Josef und Eduard, aber vor allem die Mutter Anna, die alles organisierte und eine zentrale Rolle in diesem sozusagen ‚Familienunternehmen‘ spielte. Aus diesem Grund haben wir in unserer Ringvorlesung auch einen Vortrag von unserer Co-Organisatorin Melanie Unseld über "Die Straussens als Musikerfamilie".
Anke Charton: Anna Strauss ist eine unglaublich starke Frauenfigur, die nach der Trennung von ihrem Mann das Familiengeschäft in die Hand genommen hat und die Rolle der Managerin übernahm. Sie muss dafür ein unglaubliches Talent gehabt haben, wenn man sich anschaut was sie aus der Familie als Betrieb gemacht hat.
Seine Musik hat nicht nur die Säle gefüllt, sondern auch die Kassen.Anke Charton
Rudolphina: Der Titel der von Ihnen organisierten Ringvorlesung anlässlich des Strauss-Jahres lautet "Klang | Raum | Wien". Welche Rolle spielt die Stadt Wien?
Michele Calella: Wir wollten nicht nur eine Ringvorlesung über Johann Strauss Sohn und seine Musik gestalten, sondern uns mit ihm auch als sozialem Akteur, Bürger und zugleich Markenzeichen der Stadt Wien beschäftigen. Wir legen den Fokus auf den Kontext und die sozialen Hintergründe mit Blick auf die Familie Strauss. In welchen Räumen ist diese Musik in Wien im 19. Jahrhundert produziert worden und wie wurde sie rezipiert?
Anke Charton: Wenn man eine sehr werkzentrierte Forschung macht, könnte man leicht denken, dass Strauss überall möglich gewesen wäre. Wir gehen aber davon aus, dass Strauss und sein Werk ganz eng mit Wien in jener spezifischen Zeit, wo Musik in bestimmter Art und Weise gespielt und rezipiert wurde, zusammenhängen. Wir wollen uns in der Ringvorlesung u.a. der Frage widmen: Was hat Strauss eigentlich erst möglich gemacht?
Gerade Berlin und London sind natürlich auch Großstädte mit einer großen Musikszene und einem großen soziokulturellen Spektrum. Hätte Johann Strauss dort gewirkt, wäre er ein anderer Strauss geworden.
Rudolphina: Herzlichen Dank für das Interview!
- Ringvorlesung "Strauss-Topographien: Klang | Raum | Wien"
- Institut für Musikwissenschaft, Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
- Website von Michele Calella
- Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
- Website von Anke Charton
- Universität für Musik und darstellende Kunst
- Johann Strauss 2025 Wien