Kometen auf Kollisionskurs
Der Stern Gliese 710 steuert geradewegs auf das Sonnensystem zu – und das schneller, als bisher angenommen. Für die Entfernung von 64 Lichtjahren braucht er zwar noch rund 1,3 Millionen Jahre, doch wenn er kommt, könnte der Erde ein Kometenregen drohen. Astrophysikerin Elke Pilat-Lohinger nahm diese Prognose der GAIA-ESO Survey zum Anlass, sich die Bewegungen der Himmelskörper genau anzusehen. In ihrem aktuellen FWF-Projekt am Institut für Astrophysik der Universität Wien untersucht sie, welches Chaos die stellaren Vorbeiflüge in unserer direkten Nachbarschaft verursachen und welche Risiken sie mit sich bringen.
Gliese 710 ist vielleicht nicht der einzige Stern, der Richtung Sonnensystem unterwegs ist. M-Sterne sind zwar kleiner, machen aber 90 Prozent der Sterne in unserer Sonnenumgebung aus und wurden in der Vermessung von GAIA nicht berücksichtigt. Zusätzlich können Braune Zwerge, die nicht so einfach zu beobachten sind, ebenfalls für Chaos sorgen. Denn in den äußersten Regionen des Sonnensystems, also bei Entfernungen von 5000 AE bis zu 100.000 AE (= astronomische Einheit; 1AE ist die mittlere Entfernung der Erde zur Sonne, das sind ca. 150 Millionen Kilometer), in der sogenannten Oort’schen Wolke sind Milliarden bis Billionen Kometen zu finden.
Kleine Kometen, große Auswirkungen
Selbst wenn "nur" ein kleiner Stern auf dieses Reservoir von Kometen trifft, werden einige davon in Richtung inneres Sonnensystems gedrängt. "Ein Komet bewegt sich mit wahnsinnigen Geschwindigkeiten fort und würde mit bis zu 60 km/Sekunde auf der Erde einschlagen. Das kann für die Lebewesen auf der Erde zum Verhängnis werden – vergleichbar mit dem Asteroideneinschlag, der zur Auslöschung der Dinosaurier geführt hat", so Pilat-Lohinger. Doch auch eine Kollision mit kleineren Planetoiden hätte es in sich: Würde eine Stadt getroffen werden, wäre das Ausmaß der Zerstörung groß.
Die Vienna International School of Earth and Space Sciences (VISSE) ist eine von 14 neuen Doktoratsschulen, die im Herbst 2020 an der Uni Wien gestartet sind. "Die neuen Doktoratsschulen entsprechen internationalen Standards und werden höchsten Qualitätsansprüchen gerecht", so Jean-Robert Tyran, Vizerektor für Forschung und Internationales an der Universität Wien. Erhöhte Mittel für die Doktoratsprogramme in Kombination mit einer grundlegend reformierten Struktur befähigen zum selbstständigen wissenschaftlichen Arbeiten und folgen dem Prinzip Ausbildung durch Forschung.
"Versuch, ein realistisches Szenario zu simulieren"
Ein neuentwickeltes Programm von Projektmitarbeiter Maximilian Zimmermann, der sein PhD Studium an der Vienna International School of Earth and Space Sciences (VISSE) beginnen wird, hat auch die kleinen Himmelskörper "am Radar": Das Graphics Processing Unit-Programm erlaubt den Wissenschafter*innen, Kometenschwärme in unserem Planetensystem nachzubauen und Wechselwirkungen kleiner Körper im Gesamtfeld des Sonnensystems zu analysieren. Die Simulation mit dem Label Universität Wien soll zu Projektende rund 100.000 Himmelskörper umfassen und damit zu "einer wesentlichen Verbesserung" der bisherigen Prognosen beitragen, freut sich die Wissenschafterin: "Wir kennen nur Approximationen, die kleine Körper nicht zur Gänze erfassen; wir versuchen mit unserem Modell ein realistischeres Szenario zu simulieren."
Die meisten Einschläge verzeichnet bisher übrigens Sibirien. In einem Ballungszentrum wäre mit weitaus fataleren Auswirkungen zu rechnen, so Pilat-Lohinger: "Bisher hatten wir einfach immer Glück." Da Glück allein nicht reicht und damit wir in Zukunft unseren Planeten vor Einschlägen kleiner Asteroiden und Kometen besser schützen können, wird aktuell in internationaler Zusammenarbeit untersucht, ob Planetoiden vom Kollisionskurs abgelenkt werden können. Die "DART" Mission (NASA) lässt dafür eine Weltraumsonde mit einem kleinen Himmelskörper kollidieren, die Auswirkungen dieser Kollision wird anschließend von der ESA Mission "Hera" genauestens erforscht. "Unsere Forschung ist also brandaktuell", so Pilat-Lohinger.
Seit 2002 leitet sie verschiedene FWF-Projekte, aktuell das Projekt "Chaos und Risiken für die Erde durch stellare Vorbeigänge".