Molekularbiologie

Gesund bis auf die Zelle

14. Oktober 2020 von Hanna Möller
Schadhafte Proteine werden von unseren Zellen kurzerhand ausgemistet. Sind die zellulären Abbauwege gestört, können ernsthafte Erkrankungen die Folge sein. Uni Wien-Molekularbiologe Sascha Martens erforscht die Selbstreinigung unserer Zellen und legt damit einen wichtigen Grundstein für die Wirkstoffe der Zukunft.
Auch in Zellen fällt Müll an, zu sehen hier in rot und grün in einer Nervenzelle. Wie dieser entsorgt wird, erforscht Molekularbiologe Sascha Martens gemeinsam mit anderen Expert*innen in einem FWF-Spezialforschungsbereich. © Sascha Martens Group

Einige unserer Körperzellen – zum Beispiel die Milliarden von Nervenzellen im menschlichen Gehirn – begleiten uns das gesamte Leben lang. Ihre einzelnen Bestandteile, unter ihnen die Proteine bzw. Eiweiße, haben jedoch eine weitaus geringere Lebenserwartung: Sie verklumpen mit der Zeit, verlieren ihre Funktion und werden zu Ballast. Uni Wien Molekularbiologe Sascha Martens untersucht in seinem Spezialforschungsbereich (SFB), wie unsere Körperzellen diesen Ballast loswerden und defekte Proteine ausmisten.

"Dem schadhaften Protein wird ein Signal angeheftet und der Abbauprozess startet. Wenn das Molekül aus reinem Protein besteht, wird es in einen Container eingefädelt und zersetzt", erklärt Martens: "Bei größeren Gebilden, die nicht nur aus Proteinen bestehen oder die nicht entfädelt werden können, kommt die Autophagie zum Einsatz." Autophagie stammt aus dem Griechischen und bedeutet Selbst-Fressen. Gemeint ist damit ein hochkomplexer Prozess, bei dem die Zelle schadhafte Substanzen mit einem Bläschen isoliert und recycelt. Wichtige Aspekte der Entstehung des Bläschens konnten Martens und sein Team an den Max Perutz Labs, ein Joint Venture der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien, erst kürzlich im Labor nachbauen und damit die ersten Schritte in der Bildung der Autophagosomen entschlüsseln.

Ein Autophagosom wird abgebaut
Bei der Autophagie werden schadhafte Proteine oder Organellen in einer Doppelmembran, dem Autophagosom, eingekapselt und später abgebaut. Forscher*innen um Sascha Martens fanden heraus, dass winzige Bläschen mit einem Protein namens Atg9 den Keim bilden, aus dem das Autophagosom wächst. © Verena Baumann

Grundlagenforschung wirkt

Doch funktionieren diese Abbauwege nicht immer reibungslos – die Folge sind ernsthafte neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson. Die Grundlagenforschung, die Martens und sein Team an der Universität Wien leisten, hat damit auch eine medizinische Relevanz und ist für die Entwicklung von neuen Wirkstoffen von Bedeutung. "Wenn wir wissen, wie die Prozesse in unseren Zellen funktionieren, können wir eingreifen und gewisse Schritte manipulieren. In Zukunft sollte es beispielsweise möglich sein, Bläschen gezielt um schadhafte Substanzen herumwachsen zu lassen."

Am Wissenschaftsstandort Wien arbeiten Forscher*innen aus unterschiedlichen Disziplinen und Institutionen zusammen. Der SFB lebt davon, dass viele Köpfe beteiligt sind, so Leiter Sascha Martens. Einige Mitglieder des Konsortiums betreiben bereits Wissenstransfer Richtung BioTech-Firmen und Pharmaindustrie: "Neurodegenerative Erkrankungen auf molekularer Ebene zu therapieren ist die Zukunft. Die Methoden sind noch nicht in der klinischen Anwendung, doch es dürfte nicht mehr allzu lange dauern."

Im September 2020 wurde Sascha Martens für seine Grundlagenforschung im Bereich der Autophagie mit dem hochdotierten einen Award der Aligning Science Across Parkinsion's (ASAP) Organisation ausgezeichnet. Mit dem Preisgeld möchten er und sein Team herausfinden, wie Nervenzellen defekte Mitochondrien, die zellulären Energieerzeuger, mit Hilfe der Autophagie abbauen. Einige der in diesem Prozess beteiligten Proteine sind häufig in familiären Parkinson's Erkrankungen mutiert bzw. gestört.

Autophagie: Forever young?

Gibt es – abseits vom Labor – Möglichkeiten, der Autophagie auf die Sprünge zu helfen und damit den Reinigungsprozess unserer Zellen anzuregen? Diese Frage wird in Gesundheitsforen oftmals mit Intervallfasten und Juice Cleansing beantwortet. Zur Zeit noch zurückhaltend zeigt sich der Experte: "Es stimmt: Die Zelle betreibt Autophagie, wenn sie unter Stress steht oder die Nährstoffzufuhr limitiert ist." Mehrstündiges Fasten – aber auch Bewegung – regen den Selbstreinigungsprozess der Zelle an. Ob uns alle diese Möglichkeiten langfristig gesünder machen, und in welchem Maße die Autophagie dazu beiträgt, wurde aber noch nicht ausreichend wissenschaftlich erforscht. "Der menschliche Körper ist hochkomplex – einige Funktionen verstehen wir, andere noch nicht." (hm)

Der Spezialforschungsbereich "Gezielter Proteinabbau – von kleinen Molekülen zu komplexen Organellen" unter der Leitung von Univ.-Prof. Dipl.-Biol. Dr. Sascha Martens, ist am Department of Biochemistry and Cell Biology des Zentrums für Molekulare Biologie der Universität Wien angesiedelt und wird vom FWF gefördert.

© Daniel Hinterramskogler
© Daniel Hinterramskogler
Sascha Martens ist seit 2017 Professor für Membranbiochemie am Zentrum für Molekulare Biologie. Seine Schwerpunkte sind Biochemie, Zellbiologie, Membranbiologie und Autophagie.

 

Er kam 2009 vom MRC Laboratory of Molecular Biology in Cambridge nach Wien, um an den Max Perutz Labs die autophagozytotischen Wege am Modellorganismus Hefe und an menschlichen Zellen zu untersuchen.