Femizide

Geschlecht als Mordmotiv

8. März 2022 von Sarah Nägele
Femizide als solche erkennen, benennen und einordnen – das war die Idee einer EU-weiten Studie des Instituts für Gender Equality. Denn eine bessere Definition verbessert die Datenlage und in weiterer Folge auch den Kampf gegen Femizide, erklärt Politikwissenschafterin Birgit Sauer.
Was dürfen Männer? Wie sollen Frauen sein? Wenn wir Gewalt an Frauen erfolgreich bekämpfen wollen, dann müssen wir auch unsere gesellschaftlichen Strukturen und Vorstellungen hinterfragen, ist Birgit Sauer überzeugt. © iStock/Ponomariova_Maria

In Österreich ist in den letzten Jahren vermehrt von Femiziden die Rede. "Der Begriff Femizid wurde in Lateinamerika geprägt", erklärt Birgit Sauer, Politikwissenschafterin an der Uni Wien: "Er soll darauf hinweisen, dass eine Gruppe von Menschen systematisch ermordet wird, weil sie ein Merkmal teilt. Das ist in dem Fall das Merkmal Geschlecht."


Morde an Frauen richtig einordnen

Sauer ist Teil einer EU-weiten Studie des Europäischen Instituts für Gendergleichheit (EIGE), die eine Definition des Begriffs Femizid erarbeitet hat. Im Rahmen des Projekts hat die Politikwissenschafterin recherchiert, welche systematischen Monitorings von Femiziden durch Polizei und NGOs bereits existieren, wie ein Femizid in der Wissenschaft definiert wird und welche Indikatoren man feststellen kann. "Mit einer einheitlichen Definition und entsprechenden Kriterien sollen Morde an Frauen auch als Femizide eingeordnet werden können", führt Sauer aus: "Das ist eine Handreichung für Menschen, die an einem Tatort sind, oder sich mit Tätersuche und Bestrafung befassen."

Auf der EIGE-Website findet sich inzwischen folgende Definition:

"Ein Femizid ist eine von privaten und öffentlichen Akteuren begangene oder tolerierte Tötung von Frauen und Mädchen wegen ihres Geschlechts."

Mit "tolerieren" sind laut Sauer hauptsächlich staatliche Institutionen gemeint, die keine Mechanismen, Gesetze, Institutionen schaffen oder Maßnahmen ergreifen, um Femizide zu verhindern. Es werde hingenommen, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts ermordet werden und es keine geeigneten Maßnahmen dagegen gebe.


Keine gute Prävention in Europa

Ziel des Projekts ist laut Sauer, dass jedes Land ein offizielles Register führt, das Femizide zählt. Bisher sind es in vielen europäischen Ländern feministische Bewegungen und Gruppen, die diese Daten teils auch mit der Unterstützung der Polizei sammeln. In Österreich ist es zum Beispiel der Verein Österreichischer Frauenhäuser, der die Femizide über die Medienberichte zählt. Die Idee von EIGE ist es, diesen Prozess zu systematisieren. "Durch die Register der jeweiligen Länder sollen Polizei, Staatsanwälte und Richter*innen Femizide automatisch melden und eintragen", erläutert Sauer. Durch eine bessere Datenlage könne man eine historische Entwicklung feststellen und nachvollziehen: Was ist eigentlich der Kontext für einen Femizid? Daraus lassen sich wiederum Schlussfolgerungen ziehen, wie man einen Femizid verhindern kann.

Denn aus Sicht der Politikwissenschafterin gibt es bisher kein europäisches Land, in dem eine gute Prävention stattfindet. Österreich hat versucht, im Rahmen des Gewaltschutzgesetzes sogenannte "Täterkonferenzen" einzuführen. Das sind Fallkonferenzen mit Vertreter*innen von Interventionsstellen, der Polizei, Politik und Jurist*innen, auf denen beraten wird, wie man mit besonders auffälligen und gewalttätigen Tätern umgeht. "Das wird allerdings nur sehr zögerlich umgesetzt. Wahrscheinlich bräuchte es viel mehr und systematische Daten", vermutet Sauer: "Es wäre sinnvoll, wenn die relevanten Stakeholder sich zusammensetzen und überlegen, wie ein solches Monitoring für Österreich aussehen könnte." Ein Aktionsplan, ausgehandelt vom Innenministerium, Justizministerium, der Justizverwaltung, der Staatsanwaltschaft sowie feministischen zivilgesellschaftlichen Gruppierungen, Interventionsstellen, Frauenhäusern und Forschungsinstituten, müsse in einem nächsten Schritt erstellt werden.


Gesellschaftliche Strukturen, die Femizide ermöglichen

Denn Femizide sind nicht erst seit gestern ein Thema. Im Jahr 2018 erreichte Österreich laut der Zählung des Vereins für Frauenhäuser einen traurigen Rekord mit 41 ermordeten Frauen. Die Folge war eine breitflächige Mobilisierung, die in Österreich vor allem durch nationale Frauengruppen, feministische Bewegungen und den Zusammenschluss der Frauenhäuser forciert wurde. "Man hat auf kritische Punkte aufmerksam gemacht. Im Frauenhaus sind die Frauen sicher, doch wenn sie rausgehen und bereit sind, sich zu trennen, dann wird es gefährlich", erläutert Sauer. Vereine und Interventionsstellen haben für mehr Wissen und das Ohr des Gesetzgebers gekämpft.

Auch medial wurde das Thema in den letzten Jahren vermehrt aufgegriffen – mit positiven Entwicklungen. "Entsprechende Morde werden klar als Femizid benannt, es geht nicht mehr um Eifersuchtsdramen etc.", stellt Sauer fest. Es sei wichtig, dass nicht voyeuristisch berichtet wird, sondern so, dass auch gesellschaftliche Hintergründe von Femiziden deutlich werden. "Medien sollten bei jedem Femizid darauf hinweisen, dass es ein gesellschaftliches Phänomen bzw. Problem ist und beleuchten: Was sind die geschlechtsspezifischen gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen, in denen Femizide stattfinden?", so Sauer. Wenn der systemische Charakter deutlich werde, dann könne man die Öffentlichkeit dafür sensibilisieren, dass wir in Österreich in einer Gesellschaft leben, die Frauenmorde aufgrund des Geschlechts ermöglicht.


Vorstellungen aufbrechen

"Die stärkste ermöglichende Struktur ist der Glaube, dass Männer ein Recht haben, über Frauen zu bestimmen", ist Sauer überzeugt. Das sieht sie vor allem in den Ehe-Strukturen: "Wenn sich die Frau verweigert oder sich scheiden lassen will, dann sind das oft Momente, in denen Männer ausrasten und Frauen umbringen." Das Ausrasten sei natürlich eine individuelle Tat und auch die individuelle Verantwortung des Täters, aber dahinter stehen ökonomische Abhängigkeitsstrukturen und gesellschaftliche Vorstellungen: Was dürfen Männer? Wie sollen Frauen sein? Höchste Zeit also, diese Vorstellungen als Gesellschaft aufzubrechen. (sn)

© Universität Wien
© Universität Wien
Birgit Sauer ist Professorin für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Governance und Geschlecht. Sauer ist Vize-Doktoratssstudienprogrammleiterin der Fakultät für Sozialwissenschaften und Vize-Sprecherin der Forschungsplattform GAIN - Gender: Ambivalent In_Visibilities.