Integration als Austausch auf Augenhöhe
"Wir beobachten, dass westliche Staaten in den letzten Jahren nicht mehr sonderlich 'freundlich' zu Migrant*innen sind", sagt der Soziologe Yuri Kazepov. Gemeinsam mit der Stadtgeographin Yvonne Franz ist er seitens der Universität Wien Projektpartner des EU-Projekts SIforREF: "Es herrscht ein regelrechter Wohlfahrtschauvinismus."
Das liege laut Franz und Kazepov hauptsächlich an fehlenden bzw. Falschinformationen in der Bevölkerung. "Viele Menschen glauben, dass die Flüchtlingsströme seit 2015 nicht zurückgegangen sind. Das stimmt jedoch nicht; bereits seit 2016 ist die Anzahl der Geflüchteten in Österreich deutlich zurückgegangen." Solchen und anderen Fehlinformationen entgegenzuwirken und damit einhergehend die Integration von Geflüchteten in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt zu verbessern, sind wesentliche Anliegen des groß angelegten EU-Projekts.
Praktischer Ansatz
Die Abkürzung des Projektnamens SIforREF steht für "Integrating Refugees in Society and the Labour Market Through Social Innovation". Beteiligt am grenzübergreifenden EU-Projekt sind Österreich, Deutschland, Italien und Slowenien mit jeweils lokalen Partnerorganisationen aus sechs Städten – in Wien ist neben der Universität Wien die Caritas Wien Projektpartnerin.
"Wir haben viele Praktiker*innen im Projekt. Sie sind in den meisten Fällen näher am Geschehen dran, so wie die Caritas Wien oder die Initiative Selbständige Immigrantinnen e.V. in Berlin", erklärt Yvonne Franz: "Dadurch ist unser aller methodischer Ansatz auch sehr anwendungsorientiert und inkludiert Trainings sowie Workshops; viele davon mit Beteiligung von Geflüchteten."
Soziale Innovationen
Aus dieser Praxis berichtet Sandra Berchtold von der Caritas Wien: "Im Rahmen des EU-Projekts haben wir einen Workshop mit diversen Stakeholdern durchgeführt – u.a. mit geflüchteten Menschen, Politiker*innen sowie NGO-Mitarbeiter*innen. So konnten wir mehr darüber erfahren, wie sich politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen sowie soziale Innovationen beeinflussen."
"Besonders wichtig ist uns, den Vergleich sowohl zwischen den Ländern und Regionen als auch den Organisationen herauszuarbeiten. Was funktioniert wo und warum und was nicht?", bringt es Yuri Kazepov auf den Punkt: "So haben wir im ersten Projektjahr festgestellt, dass gerade ein Austausch auf Augenhöhe, wie etwa die Initiative 'Flüchtlinge helfen Flüchtlingen' in Österreich und Deutschland, Integration fördert. Oft mehr als der direkte Kontakt mit Behörden, wo es nicht selten zu Missverständnissen kommt."
Ländervergleich
Ein Vergleich der Maßnahmen verschiedener Länder ist insofern spannend, da die Ausgangsituationen sehr unterschiedlich sind. So ist Slowenien mit relativ wenigen Flüchtlingen konfrontiert, Italien mit einer recht hohen Anzahl an Migrant*innen, und Österreich und Deutschland versorgen am meisten. "In Österreich sind die Versorgung und gesetzten Integrationsmaßnahmen organisiert und strukturiert, gerade auch durch die Anbindung an soziale Einrichtungen wie der Caritas", sagt Franz und Kazepov ergänzt: "Dafür gibt es hierzulande viel weniger zivilgesellschaftliche Initiativen als in Italien."
Untersucht und verglichen werden in den jeweiligen Ländern Behörden, NGO-Maßnahmen, politische Aktivitäten und generell Institutionen. "Welche Disruptionen gibt es? Da sich die politischen Rahmenbedingungen ständig ändern, schauen wir uns genau an, wer wie darauf reagiert", so Kazepov: "Und wie die jeweiligen Maßnahmen, wie z.B. Sprachkurse, greifen; basierend auch auf Interviews mit den Geflüchteten."
Was klappt und was nicht?
Zusammenfassend bewerten die Expert*innen, dass Maßnahmen, die für Geflüchtete bei ihrer Ankunft im Land wichtig sind, wie Wohnen, Essen oder Deutschkurse, gerade in Österreich ganz gut funktionieren. Aber das "fine tuning" gehöre noch ausgebaut. Kazepov: "Generell dauern die Asylanträge viel zu lang. In dieser Zeit haben die Migrant*innen einen äußerst limitierten Zugang zum Arbeitsmarkt und sind zum Nichtstun verdammt. Auch die Bevölkerung muss mehr Informationen über Rechte und Pflichten von Geflüchteten erhalten, nur so lassen sich Vorurteile entkräften."
"Lernende" Toolbox
Zu Projektende soll ein lernendes, anpassungsfähiges System fertig sein, das allen Akteur*innen zur Verfügung steht – eine sogenannte Toolbox. Darin enthalten sind explorative Trainingsprogramme, Best Practice-Beispiele und Anleitungen für die spezifische Zielgruppe – von Behörden über NGOs bis hin zu den Geflüchteten selbst. "Unsere Toolbox ist nicht als starres Gebilde zu verstehen, sondern soll immer am neuesten Stand sein, indem aktuelle Entwicklungen im Sinne von Best Practice-Maßnahmen abrufbar sein werden", so Franz abschließend. (td)
Das EU-Projekt "Integrating Refugees in Society and the Labour Market Through Social Innovation (SIforREF )" läuft von 2019 bis 2022 im Rahmen des Interreg-Central Europe-Programms. Beteiligt sind zehn Projektpartner*innen aus vier Ländern. Die österreichischen Partner*innen sind die Universität Wien mit Yvonne Franz vom Institut für Geographie und Regionalforschung sowie Yuri Kazepov, Judith Schnelzer und Elisabetta Mocca vom Institut für Soziologie und die Caritas Wien mit Sandra Berchtold und Florian Rautner.