Beethoven-Jubiläum

Beethovens Neunte: Ein Symbol für Europas Einheit feiert 200 Jahre

2. Mai 2024 von Theresa Dirtl
Am 7. Mai 1824, vor 200 Jahren, fand die Uraufführung von Ludwig van Beethovens Neunter Sinfonie im Wiener Kärntnertortheater statt und begeisterte schon damals das Publikum. Auf Initiative der Beethoven-Expertin Birgit Lodes wird dieses Konzert nachgestellt und wissenschaftlich reflektiert.

Es ist eines der berühmtesten Werke der klassischen Musik, das immer wieder als Projektionsfläche für die Sehnsucht der Menschen nach Frieden diente: Beethovens Neunte Sinfonie, deren Hauptthema im letzten Satz – die Ode an die Freude – 1985 zur offiziellen Europahymne gewählt wurde. Kurz vor der EU-Wahl 2024, in einem Jahr, wo die Sorge vor einem Rechtsruck in Europa immer mehr wächst, feiert das Werk, das zum Symbol für Frieden und Einheit wurde, den 200. Jahrestag seiner Uraufführung in Wien.

Birgit Lodes vom Institut für Musikwissenschaft der Uni Wien ist Beethoven-Expertin und Mitwirkende zahlreicher Initiativen und TV-Produktionen zum Jubiläum (siehe Infobox). Im Rudolphina-Interview erzählt sie mehr über die Bedeutung von Beethovens letzter vollendeter Sinfonie für Wien und Europa – heute und damals.

Rudolphina: Zum 200. Jahrestag der Uraufführung von Beethovens Neunter Sinfonie stehen Konzerte, Dokumentationen und wissenschaftliche Reflexionen am Programm. Was macht gerade Beethovens Neunte so einzigartig?

Birgit Lodes: Die Sinfonie hat seit ihrer Uraufführung viele Menschen zunächst im deutschsprachigen Raum, dann aber auch weltweit berührt. Sie wurde immer wieder zu wichtigen politischen Ereignissen aufgeführt, beispielsweise auch beim Fall der Berliner Mauer. Für den berühmten Schlusssatz, in dem menschliche Stimmen zum großen Sinfonieorchester hinzutreten und Schillers Ode an die Freude singen, hat Beethoven Teile dieses ursprünglichen Trinklieds neu gruppiert und eigene Akzente in Richtung Transzendenz gesetzt. Als Europahymne erlangte seine dafür komponierte schlichte Freuden-Melodie dann natürlich ganz besondere Bekanntheit.

Beethoven führte 1824 die Neunte Sinfonie gemeinsam mit der Missa solemnis auf. In beiden Werken reflektiert er musikalisch grundlegende Fragen der Menschheit.
Birgit Lodes

Tipp: Fernsehaufzeichnung des Festkonzerts "Resound Beethoven 9"

Zum 200. Jahrestag der Uraufführung von Beethovens Neunter Sinfonie wurde das Schlüsselwerk der europäischen Musikgeschichte erstmals wieder in der programmatischen Konstellation, mit dem historischen Instrumentarium und der räumlichen Aufstellung aufgeführt, die Beethoven selbst vorgegeben hatte. Die Konzeption stammt aus einer Kooperation des Beethoven-Hauses Bonn und dem Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien unter der Leitung von Birgit Lodes.

Festkonzert Resound Beethoven 9
Dienstag, 7. Mai 2024, 19 Uhr und Mittwoch, 8. Mai 2024, 19 Uhr
Historische Stadthalle Wuppertal (D)

Rudolphina: Die Uraufführung fand 1824 im Wiener Kärntnertortheater statt und wurde von Beethoven selbst organisiert. Dieses Theater existiert ja heute nicht mehr. Welchen Stellenwert hatte es damals?

Birgit Lodes: Das Kärntnertortheater war die Vorgängerinstitution der Staatsoper. Es befand sich an der Stelle des heutigen Hotel Sacher und war das große Hoftheater, wo sowohl deutsche als auch italienische Oper aufgeführt wurde. Ausnahmsweise wurde der Saal, in dem über 2.000 Personen Platz hatten, auch für große Konzerte vergeben – wie im Fall von Beethovens Neunter.

Genau jenes Uraufführungsprogramm aus dem Kärntnertortheater wollen wir in unserem Projekt wieder hörbar machen und an zwei Abenden aufführen - die historische Stadthalle in Wuppertal kommt unseren Rekonstruktionen zufolge der Akustik des Wiener Kärntnertortheaters recht nahe. Uns geht es maßgeblich darum, das ganze Konzertprogramm zu rekonstruieren; an jenem Abend wurde nicht nur die Neunte Sinfonie uraufgeführt, sondern auch eine späte Ouvertüre von Beethoven und drei Sätze aus seiner Missa solemnis.

200 Jahre Neunte Sinfonie: Ausgewählte Radio- und TV-Sendungen

Rudolphina: Wie war es Ihnen möglich, die Uraufführung des Konzerts von 1824 derart genau nachzustellen?

Birgit Lodes: Da Beethoven gehörlos war, gibt es aus seinen letzten Lebensjahren umfangreiche Konversationshefte. In ihnen sind sehr viele der Gespräche, die Beethoven mit Freunden und Musikern rund um das von ihm veranstaltete Konzert geführt hat, genau dokumentiert.

So wissen wir auch, dass Beethoven selbst diese Programmkonstellation wollte. Sein größter Wunsch war es, in dieser "Großen musikalischen Akademie" seine beiden großen orchestralen Spätwerke – die Missa solemnis und die Neunte Sinfonie – gemeinsam erstmals in Wien aufzuführen. Das geplante Konzert fand dann in leichter Abwandlung statt, da aus Gründen der Zensur die Missa solemnis, eine lateinische Messe, nicht zur Gänze im Konzertsaal erklingen durfte. Beethoven wählte daher drei Sätze – das Kyrie, das Credo und das Agnus Dei – daraus für das Konzert aus. So erklangen der Eröffnungssatz der Messe, der Satz mit der längsten Fuge (das war das Argument!) und der Satz, in dem Beethoven musikalisch um "inneren und äußeren Frieden" bittet.

Rudolphina: In der Nachstellung der Uraufführung werden auch die Musiker*innen, der Chor, etc. in genau jener Aufstellung wie 1824 stehen. Welche Besonderheiten sind hier zu erwarten?

Birgit Lodes: Die Aufstellung war damals sehr speziell. Im 19. Jahrhundert war es üblich, den Chor vor dem Orchester zu platzieren, d.h. der Chor stand leicht vertieft im Orchestergraben und das Orchester saß auf der Bühne. Das hat akustisch einen starken Effekt, die Stimmen – in unserer Aufführung singt der Chor des WDR – sind dadurch sehr präsent. Und natürlich spielt das Orchester Wiener Akademie unter Leitung von Martin Haselböck mit historischem Instrumentarium, d.h. mit den Instrumenten aus der Beethoven-Zeit.

Tagung: "Nie gehörte, nie geahndete Wunder-Geheimnisse der heiligen Kunst"

Aus Anlass des 200. Jubiläums von Beethovens Akademien im Mai 1824 veranstaltet das Forschungszentrum Beethoven-Archiv Bonn gemeinsam mit Birgit Lodes eine internationale Tagung, wo u.a. die stilistische und ästhetische Konzeption, die kulturpolitische Bedeutung wie auch die Herausforderung für Interpret*in und Hörer*in – damals wie heute – Themen sind.
Internationale Tagung zum 200. Jubiläum von Beethovens Akademien
Samstag bis Montag, 4. bis 6. Mai 2024
Kammermusiksaal Beethoven-Haus Bonn

Rudolphina: Im Rahmen des Beethoven-Jubiläums findet am Beethoven-Haus Bonn auch eine von Ihnen organisierte wissenschaftliche Tagung statt. Welche Aspekte von Beethovens Werk werden dabei behandelt?

Birgit Lodes: 30 Wissenschafter*innen unterschiedlicher Fachdisziplinen werden die Neunte Sinfonie nicht als singulären Monolith, sondern im Kontext reflektieren und u.a. fragen, welche stilistischen und ästhetischen Merkmale Beethovens drei letzte Orchesterwerke, die der Komponist am 7. Mai 1824 gemeinsam programmiert hatte, verbindet: etwa die intensive Kontrapunktik als Signum eines deutschen Stils, mit dem Beethoven und seine Kunstfreunde einen Kontrapost zur damaligen Rossini-Mode in Wien setzen wollten.

Zudem wird es z.B. einen Vortrag zum Einsatz der Pauken in diesen Stücken geben, die häufig mit Kriegsepisoden konnotiert sind: Wie passen Beethovens späte Orchesterwerke in die national ("vaterländisch") aufgeladene Zeit? Weitere Schwerpunkte werden das Making of dieses Monsterkonzerts im Kontext des zeitgenössischen Wiener Konzertlebens sein, sowie eine globale Kartierung der sehr unterschiedlichen Rezeption von Missa solemnis und Neunter Sinfonie.

Rudolphina: Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung seit vielen Jahren mit Beethoven und seiner Musik. Was fasziniert Sie persönlich an diesem Ausnahmemusiker?

Birgit Lodes: Schon im Rahmen der Dissertation, in die man ja viele Jahre investiert, wollte ich zu Musik schreiben und forschen, die mich selber bewegt, berührt und anspricht. Diese Dimension der Musik Beethovens ist über die Jahrzehnte mit der wissenschaftlichen Beschäftigung nicht verloren gegangen, sondern hat sich eher intensiviert. Beethoven überrascht mich immer wieder aufs Neue mit der unglaublich emotionalen Ausdrucksbreite seiner Musik. Es inspiriert mich, seine Musik zu spielen, zu hören und mich mit ihr intellektuell zu beschäftigen – und ihre Relevanz sowohl für die damalige Zeit als auch für uns heute auszuloten. Als Professorin für historische Musikwissenschaft widme ich mich natürlich vielen weiteren Themen. Aber die Faszination für die Komponistenpersönlichkeit Beethoven ist geblieben.

Rudolphina: Vielen Dank für das Interview!

© privat
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Birgit Lodes ist Professorin für Historische Musikwissenschaft an der Universität Wien. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören u.a. das Musikleben des 15. und 16. Jahrhunderts und Musik der Wiener Klassik (Ludwig van Beethoven, Franz Schubert, Frauen im Musikleben).