"Klima – eine Wahrnehmungsgeschichte" von Eva Horn
Rudolphina: Frau Horn, worum geht es in Ihrem Buch und warum haben Sie es geschrieben?
Eva Horn: Es geht um die Frage "Was ist Klima?", oder besser gesagt: "Was war Klima?". Die Antwort ist eine lange Geschichte, dessen, was frühere Zeiten unter Klima verstanden haben. Dieser gehe ich nach, von der Antike bis in die Gegenwart. Denn die Idee von Klima, die wir heute haben, ist eine relativ junge. Noch bis ins 19. Jahrhundert konnte man "Klima" grob mit "Umwelt" übersetzen: Die Atmosphäre, die Landschaft, all das, was die Besonderheit eines Ortes ausmacht und seine Menschen prägt, das wurde als "Klima" bezeichnet oder auch als "Luft". Das war ein vielschichtiger, aber greifbarer Begriff, zu dem ein persönlicher Bezug möglich war.
Heute wird Klima als „durchschnittliches Wetter“ definiert. Damit sind wir von etwas sinnlich Erfahrbarem zu einem Datensatz gewechselt. Das heutige Verhältnis zum Klima ist abstrakt und technisch, von Klimasimulationen bis zum Emissionshandel. Das trägt einen Teil dazu bei, dass wir unfähig sind, uns zielführend mit dem Klimawandel auseinanderzusetzen. Ich nehme die Lesenden mit durch die Geschichte der Medizin, Philosophie, Kunst und Literatur in eine Zeit, in der die Menschen noch eine sinnlichere Vorstellung vom Klima hatten.
Rudolphina Reads-Gewinnspiel: Wir verlosen drei Exemplare von "Klima"!
Nehmen Sie an der Verlosung teil und gewinnen Sie eines von drei Exemplaren von "Klima ‒ Eine Wahrnehmungsgeschichte". Schreiben Sie uns einfach bis Mittwoch, 20. November 2024, eine Nachricht mit Ihrem Namen und Ihrer Adresse an gewinnspiel@univie.ac.at. Viel Glück!
Mit der Teilnahme am Gewinnspiel erklären Sie sich mit den Teilnahmebedingungen einverstanden. Die Gewinner*innen werden per E-mail verständigt.
Rudolphina: Was können wir über diese vergessen geglaubte Denkweise lernen, die Sie mit Ihrem Buch in die Gegenwart holen?
Eva Horn: Die historische Perspektive kann zeigen, dass Klima nicht irgendein abstraktes politisches Problem ist, sondern existenziell verbunden mit körperlicher Gesundheit, mit Gemeinschaften und Kulturen verstanden wurde — also mit den Lebensformen und der Identität des Menschen. Diese "Luftverbundenheit", das Wissen um unsere Abhängigkeit von der atmosphärischen Umwelt, fehlt in der Art und Weise, wie wir heute über Klimawandel reden. Aber was wäre, wenn wir es schaffen würden, uns wieder auf das Klima als etwas Existentielles und Unmittelbares einzulassen? Ich möchte wieder spürbar machen, worauf sich Autoren wie Adalbert Stifter und Maler wie William Turner bezogen haben: Kunst vermittelt auf wunderbare Weise, was es heißt im Klima zu sein. Aber natürlich „landet“ das Buch dann in der Gegenwart des Klimawandels und seinen aktuellen Problemen.
Rudolphina: Was machen Luft, Klima und Atmosphäre denn mit uns?
Eva Horn: Johann Gottfried Herder bringt es auf den Punkt: "Das Klima zwinget nicht, es neiget." Und meint damit, dass das Klima uns zwar nicht bestimmt, aber durchaus prägt. Schon Hippokrates sagte, dass Menschen je nach Region anders sind und medizinisch anders betrachtet werden müssen. Der Begriff der Umweltmedizin ist also kein neuer Gedanke. Bis zur Ära der Mikrobiologie glaubte man, dass bestimmte Winde und Witterungen einen krank machen. Nachdem Mikroben als Krankheitsursachen identifiziert wurden, trat die Luft als Medium aus der Perspektive der Medizin zurück. Erst mit Covid kam dieses Bewusstsein so richtig zurück, Atemluftmanagement wurde ein Thema. Die uns umgebende Luft hatte auf einmal eine enorme Auswirkung auf unser Sozialverhalten.
Ein anders Beispiel: In den Tropen muss man sich geschickt ans Klima anpassen. Es gibt traditionelle Bauweisen und Methoden, Räume kühl zu halten oder Luftzirkulation herzustellen. Heute mit unserer "Kultur des Air-Conditioning" normieren wir das Innenklima, statt uns mit der Umwelt zu arrangieren. Und leben in einer lächerlich schmalen Toleranzzone rund um 22°C und 50% Luftfeuchtigkeit. Die Ideengeschichte, die ich in meinem Buch erkunde, wirkt vielleicht folkloristisch und altmodisch, aber sie kann helfen, bestimmte blinde Flecken auszuleuchten, was unser Verhältnis zur Umwelt betrifft.
Save the Date: Buchpräsentation mit Eva Horn
Am 27. November 2024 um 18:30 Uhr präsentiert Eva Horn "Klima ‒ Eine Wahrnehmungsgeschichte" im Wien Museum. Hier finden Sie weitere Informationen zur Veranstaltung ‒ um Anmeldung wird gebeten. Die Teilnahme ist kostenlos.
Rudolphina: Haben Sie eine Empfehlung zum Weiterlesen für alle, denen Ihr Buch gefällt?
Eva Horn: "Kulturgeschichte des Klimas" von Wolfang Behringer erzählt, wie das Klima früher war, wie wir das überhaupt wissen können – die historischen Quellen sind etwa bäuerliche Aufzeichnungen –, und wie es das Fortkommen der Menschheit behinderte oder förderte. Behringer schreibt sehr leserfreundlich und hat außerdem "Tambora und das Jahr ohne Sommer" geschrieben, er ist der führende Klimakulturhistoriker im deutschen Sprachraum. Er hat aber einen ganz anderen Zugang als ich: Während Behringer fragt "Wie war das Klima?", geht es mir um das Wie: Wie wurde das Klima betrachtet und empfunden?
Rudolphina: Welches Buch können Sie noch empfehlen, um sich weiter ins Thema zu vertiefen?
Eva Horn: "Kampf um Gaia" von Bruno Latour handelt vom Anthropozän. Das gegenwärtige Zeitalter ist nicht nur geprägt vom Klimawandel, sondern auch von Biodiversitätsverlust, gestörten Stoffkreisläufen, der Veränderung der Meere – also von einer umfassenden Metakrise des Planeten. Latour sagt, die wichtigste Einsicht der letzten Jahre sei die Gaia-Theorie, die zur Erdsystemwissenschaft geführt hat. Sie sieht den Planeten als ein einziges zusammenhängendes und selbstregulierendes System. Für Latour bedeutet das, Natur nicht als Ressource zu verstehen, sondern als lebendiges Gegenüber, mit dem sich der Mensch arrangieren muss. Das bedeutet auch, sich politisch neu zu organisieren: als „Erdverbundene“, die ihren Lebensraum gegen seine Zerstörung verteidigen, nicht als Menschen, deren Zivilisation das Andere der Natur ist.
Rudolphina: Welche Lektüre liegt gerade auf Ihrem Nachtkästchen?
Eva Horn: Ich lese aus beruflichen Gründen dutzende Bücher parallel! Da setze ich mich manchmal abends lieber aufs Sofa und schaue Narcos auf Netflix! (lacht) Das ist so ein Drogenhändler-Epos über Pablo Escobar, das ich schaue, um mein Spanisch für eine Kolumbien-Reise zu reaktivieren. Aber natürlich kenne ich tolle Freizeit-Lektüre: Zum Beispiel der "Atlas der abgelegenen Inseln. Fünfundfünfzig Inseln, auf denen ich nie war und niemals sein werde" von Judith Schalansky, die ich gerade kennengelernt habe. Das Buch ist preisgekrönt und wurde in unzähligen Varianten nachgeahmt. Schalansky lotet die Insel als Denkmodell aus: Im Gegensatz zur Atmosphäre, wo alles mit allem verbunden ist, ist die Insel eine isolierte Experimental-Anordnung, auf der die verrücktesten Dinge passieren können: ökologisch, sozial und klimatisch. Zudem ist ihr Atlas wunderschön in Aufmachung und Design! Es ist das Beispiel einer Buchkunst, die wir in Zeiten der E-Books fast vergessen haben. Wirklich ein Werk, das man "in echt" auf dem Nachkästchen liegen haben sollte!
Alle Infos zu "Klima ‒ Eine Wahrnehmungsgeschichte" von Eva Horn
Wenn wir heute über das Klima sprechen, tun wir dies aus einer naturwissenschaftlichen Perspektive. Wir können Klima messen und berechnen, aber nicht unmittelbar erfahren. Eva Horn zeigt, welche enge Verbindung zwischen Kulturen und ihrem Klima einmal bestanden hat. Von Theorien über den Einfluss von Luft und Temperatur auf Körper und Seele über das Bild des "Luftmeers" bis zu den Phantasien "kontrollierter" Klimata: Unter Rückgriff auf Medizingeschichte, Philosophie, Kunst und Literatur entwirft Eva Horn eine große Imaginationsgeschichte des Klimas, die die Debatte um die Klimakrise neu begründen und unser atmosphärisches Sensorium schulen kann. (Pressetext des Verlags)
Sie ist Gründerin und Leiterin des Vienna Anthropocene Network und Mitglied des Forschungsverbundes Umwelt und Klima der Uni Wien. In Ihren Büchern beschäftigte sie sich zuletzt mit Zukunftsdystopien und schrieb eine Analyse über Spionage in der Fiktion.