Wenn durch die Pandemie Geschlechterrollen aufbrechen
Corona wird nicht selten als „Krise der Frauen“ bezeichnet. Gründe dafür gibt es genug: Viele der systemrelevanten Berufe, in denen der Arbeitsdruck enorm stieg, werden vermehrt von Frauen ausgeführt. Durch die Schulschließungen war eklatant mehr Kinderbetreuung nötig, die zu einem großen Teil von Frauen übernommen wurde. Die plötzlichen Maßnahmen haben aber auch zu neuen Situationen geführt, die nicht den traditionellen Rollenbildern entsprechen. Wir haben uns mit der Soziologin Caroline Berghammer darüber unterhalten, wie sich die Arbeitsteilung von Eltern in der Pandemie verändert hat.
Rudolphina: In einem Artikel, in dem Sie das Thema Frauengesundheit während der Corona-Pandemie besprechen, schreiben Sie: "Krisen sind nicht demokratisch." Wie ist das zu verstehen?
Caroline Berghammer: Krisen betreffen verschiedene Bevölkerungsgruppen auf unterschiedliche Weise. In der Corona-Krise wurden manche Berufe als systemrelevant erklärt – in diesen Bereichen nahm das Arbeitspensum zum Teil enorm zu. In anderen Branchen haben viele Menschen ihre Arbeit verloren. Homeoffice war wiederum nicht in allen Arbeitsbereichen umsetzbar, sondern eher in den Berufen der höher gebildeten, nicht-manuell tätigen Menschen. Und dadurch gab es einfach sehr unterschiedliche Auswirkungen dieser Krise.
Rudolphina: In Ihrem aktuellen Projekt steht die unbezahlte Arbeit – genauer gesagt, die familiäre Arbeitsteilung – im Mittelpunkt. Wie hat Corona hier gewirkt?
Berghammer: Drei Viertel der österreichischen Paare mit Kindern teilen die Erwerbsarbeit nach eher traditionellen Rollenbildern auf: die Mütter sind in Teilzeit oder nicht erwerbstätig, die Väter in Vollzeit. Österreich ist auch das Land mit der dritthöchsten Frauen-Teilzeitquote in Europa. Dass Frauen nach der Geburt eines Kindes in Teilzeit an den Arbeitsplatz zurückkehren, gilt als nahezu selbstverständlich. Vor Corona hatten sechs Prozent der Väter, aber 74 Prozent der Mütter mit Kindern unter 15 Jahren eine Teilzeitbeschäftigung. Hier hat die Krise einiges in Bewegung gebracht. Auf einmal haben, durch die Kurzarbeit, auch viel mehr Väter in Teilzeit gearbeitet, während Mütter in systemrelevanten Berufen außer Haus waren. Man hört oft das Narrativ, dass durch die Krise alles traditioneller geworden sei. Das kann man so nicht sagen – es sind auch neue, zum Teil egalitärere Konstellationen zum Tragen gekommen. Väter in Kurzarbeit oder im Homeoffice haben verstärkt Kinderbetreuungsaufgaben übernommen. Aber wie nachhaltig diese Entwicklungen sind, ist wieder eine andere Frage. Durch das Austrian Corona Panel Project stehen uns Daten zur Verfügung, mit denen wir diese Fragestellungen untersuchen können.
Mit dem nun vom FWF mit 190.000 Euro geförderten Forschungsprojekt CoWork können Caroline Berghammer und ihr Team untersuchen, wie sich Erwerbsarrangements in Paaren über das gesamte Jahr 2020 hinweg entwickelt haben und sich weiter entwickeln werden. Aufgrund der großen Stichproben des Mikrozensus und separat geführter Interviews mit beiden Partner*innen können auch seltenere Konstellationen mit hoher Zuverlässigkeit untersucht werden. Das Projekt liefert wissenschaftliche Daten zur Frage, wie sozioökonomische Ressourcen oder Rollenerwartungen an Mütter und Väter die Aufteilung von (un)bezahlter Arbeit beeinflussen.
Rudolphina: Der Tenor der Medien war, dass Frauen während der Corona Krise mehr durch zusätzliche Kinderbetreuungszeit belastet wurden. Sie widersprechen dem – warum kommen Sie zu anderen Ergebnissen?
Berghammer: Es steht außer Frage, dass Frauen in dieser Krise sehr belastet wurden. Aber ob sie mehr belastet wurden als Männer, das ist schwierig zu bewerten, weil für Österreich keine vergleichbaren, repräsentativen Daten zur unbezahlten Arbeit vor der Pandemie vorliegen – und Menschen retrospektiv zu fragen, wie viel Zeit sie vor der Pandemie für Kinderbetreuung verwendet haben, wäre wenig zuverlässig. Einerseits weil Kinderbetreuungszeit ohnehin schwierig zu messen ist, andererseits weil Erinnerungsfehler und soziale Erwünschtheit eine Rolle spielen. Es besteht ja die Erwartung, dass Eltern – insbesondere Mütter – viel Zeit mit ihren Kindern verbringen sollen.
Rudolphina: Das heißt, wir wissen eigentlich nicht, wieviel Kinderbetreuung und Hausarbeit von Männern vor und in der Pandemie gemacht wurde?
Berghammer: Für Österreich nicht. In Deutschland wurden Daten regelmäßig, auch schon vor der Pandemie, erhoben. Sie zeigen, dass Mütter in der Pandemie 2,9 Stunden pro Tag zusätzlich mit Kinderbetreuungszeit verbracht haben, bei Vätern waren es 2,5 Stunden. Zwar haben Väter also in absoluten Zahlen weniger zusätzliche Kinderbetreuungszeit aufgewendet, aber sie haben auf einem niedrigeren Level gestartet. Das heißt, sie haben ihre Betreuungszeiten fast verdoppelt. Da Frauen zuvor schon sehr viel Zeit mit den Kindern verbracht haben, sind ihre knapp drei zusätzlichen Stunden "nur" ein Drittel mehr.
Rudolphina: Aus einer Ihrer Publikationen geht hervor, dass Frauen auch bei gleichem Stundenausmaß im Job zuhause dennoch oft den größeren Anteil der unbezahlten Arbeit erledigen.
Berghammer: Das ist richtig. Wenn beide Partner*innen ein sehr ähnliches Erwerbsausmaß haben, dann kommen bei der Arbeitsteilung Vorstellungen und Erwartungen in Bezug auf Geschlechterrollen zum Tragen oder teilweise auch einfach ihre persönlichen Vorlieben. Beides ist oft nicht leicht zu trennen.
Rudolphina: Haben Sie den Eindruck, dass sich diese ungleiche Arbeitsteilung durch die Pandemie eventuell schneller angleicht?
Berghammer: Es wird sicher Väter geben, die auch in Zukunft mehr Kinderbetreuung übernehmen, weil sich neue Routinen entwickelt und Lernprozesse stattgefunden haben. Dass dies für die breite Masse zutrifft, würde ich allerdings bezweifeln. Ein Wechsel in Teilzeit wird auch nur für wenige Väter in Frage kommen. Die institutionellen Rahmenbedingungen in Österreich legen sehr stark Teilzeit von Müttern nahe. In Österreich gibt es ja ein Recht auf Elternteilzeit.
Rudolphina: Aber dieses Recht hätten ja Väter genauso, oder?
Berghammer: Das stimmt. Auch Väter können dies in Anspruch nehmen, tun es aber viel seltener, weil es zum einen eine Lohnschere zwischen Frauen und Männern gibt und zum anderen sehr unterschiedliche Normen, was eine gute Mutter und was ein guter Vater sei. Gleiches Verhalten wird unterschiedlich bewertet. Und in Österreich ist es schwer, zwei vollzeiterwerbstätige Elternteile zu realisieren. Schon allein auf Grund der Betreuungsplätze, die oft unflexible Öffnungszeiten haben. Wenn also nicht beide in Vollzeit arbeiten können ohne starken Vereinbarkeitsstress, wer von beiden reduziert? Frauen berücksichtigen zum Teil schon bei der Jobwahl, bevor sie Kinder haben, ob ihr zukünftiger Arbeitsplatz sich gut mit der Kinderbetreuung vereinbaren lässt. Arbeitgeber*innen wiederum erwarten nicht, dass die Männer in Teilzeit gehen. Da kann es schwierig sein, gegen den Strom zu schwimmen.
Rudolphina: In welche Richtung forschen Sie jetzt weiter? Welche weiteren Fragestellungen zu diesem Thema brennen Ihnen noch auf den Nägeln?
Berghammer: Als nächstes werden wir uns auf bezahlte Arbeit fokussieren. Auch die wurde ja durch die Pandemie sehr verändert. Und dank des Mikrozensus haben wir eine Erhebung, die fortlaufend durchgeführt wird. Arbeit ist ja sehr flexibel geworden, zeitlich und räumlich. Wird sie das auch bleiben? Wie haben sich durch diese Erfahrungen die Wünsche der Arbeitnehmer*innen geändert? Erste Ergebnisse zeigen, dass Arrangements, in denen beide Partner*innen gleich viel Erwerbsarbeit leisten – z.B. beide Teilzeit – oder die Frau sogar mehr als der Mann, im ersten Lockdown deutlich angestiegen sind. Gleichzeitig ist auch das männliche Ernährermodell geringfügig angestiegen. Dies können wir in Richtung einer gewissen Polarisierung interpretieren. Im Projekt werden wir uns auch mit der Lage der Arbeitszeiten befassen, also mit Arbeit am Abend, in der Nacht oder am Wochenende. Das Verschieben ihrer Arbeitszeiten war für Eltern mitunter eine Strategie, wie sie Erwerbsarbeit und zunehmende Betreuungspflichten vereinbaren konnten.
Rudolphina: Zum Abschluss: Wie beantworten Sie unsere aktuelle Semesterfrage: Worauf legen wir noch Wert?
Berghammer: Gerade Familie ist etwas, worauf wir kontinuierlich viel Wert legen. Für mich ist es faszinierend zu sehen, dass Familie in Umfragen seit Jahrzehnten unverändert der wichtigste Lebensbereich ist. Die Mutter- oder Vaterrolle zu erleben, Kinder aufwachsen zu sehen, in einer zufriedenen Partnerschaft zu leben – all dies hat nach wie vor für die meisten Menschen einen sehr hohen Wert.
Rudolphina: Vielen Dank für das Gespräch! (ak)
Berghammer ist zudem seit 2005 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Vienna Institute of Demography/Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wittgenstein Centre (IIASA, OeAW, Univ. Vienna)