Wettbewerbspolitik

Was bedeutet fehlender Wettbewerb für die Preise?

27. Oktober 2021 von Lisa Kiesenhofer
Vom Benzin- bis zum digitalen Markt: In einem hochdotierten Forschungsprojekt untersuchen die Ökonomin Christine Zulehner und ihr Team, wie sich Preise in Märkten, die von wenigen Unternehmen dominiert werden, gestalten – und erarbeiten wichtige Grundlagen für die Wettbewerbspolitik.
Der Benzinpreis schwankt im Tagesverlauf: Wer nur zu Stoßzeiten tanken kann, trägt letztlich auch mehr Steuerlast. Unter anderem anhand von Daten von Tankstellen aus Deutschland untersucht ein internationales Forschungsteam rund um die Ökonomin Christine Zulehner dieses und andere Beispiele dynamischer Preisbildung sowie die optimale Zusammensetzung von Steuern. © Pixabay/Stux

In einem sogenannten "vollkommenen Markt" gibt es viele Unternehmen und viele Konsument*innen. Die Konsument*innen wissen, welche Art von Produkten die Unternehmen verkaufen und welche Preise sie verlangen, und die Unternehmen haben freien Zugang zum Markt. "In solchen Märkten werden die Preise sehr nahe an den Grenzkosten der Güterproduktion sein. Ein Beispiel sind landwirtschaftliche Märkte", erklärt die Ökonomin Christine Zulehner

Im Mittelpunkt ihres aktuellen, groß angelegten Forschungsprojekts – insgesamt sind fünf Forscher*innen der Universität Bergen und der Uni Wien beteiligt – stehen allerdings Märkte, bei denen diese Bedingungen nicht erfüllt sind: Das internationale Projektteam untersucht den "unvollkommenen Wettbewerb" und seine Auswirkungen auf die Konsument*innen. 

Daten: Der etwas andere Preis

Im unvollkommenen Wettbewerb dominieren wenige Unternehmen den Markt. Prominente Beispiele sind digitale Konzerne wie Google, Amazon, Facebook oder Apple: Sie nehmen eine führende Marktposition ein – mit Konsequenzen für Konsument*innen und andere Unternehmen, die ebenfalls diese Plattformen nutzen: "Die Konsument*innen können nicht so leicht auf einen anderen Anbieter wechseln – also kann dieser seinen Preis leicht erhöhen", so Zulehner. 

Im Fall von Google und Co. bezahlen die User*innen nicht in Euro, sondern mit ihren persönlichen Daten. "Die Unternehmen wiederum müssen die Bedingungen, die Plattform nutzen zu können, akzeptieren", erklärt die Vorständin des Instituts für Volkswirtschaftslehre. 

Beispiel Benzinmarkt

Aber auch auf traditionellen Märkten findet sich unvollkommener Wettbewerb – etwa dem Benzinmarkt. "Auf diesem Markt beobachten wir, dass die Nachfrage nach Benzin über den Tag schwankt. Das wollen die – wenigen – Unternehmen am Markt für sich nutzen", veranschaulicht Zulehner. Einigen Konsument*innen wird das Produkt billiger verkauft. Anderen, die nur zu den Stoßzeiten tanken können, deutlich teurer. 

Ob man von den Preistälern profitieren kann, bestimmen in diesem Fall zwei Faktoren, erklärt sie weiter: "Habe ich erstens Informationen darüber, wann Benzin am billigsten ist? Wenn ja: Bin ich zweitens zeitlich so flexibel, dass ich beispielsweise mittags tanken fahren kann?", fasst die Sprecherin des mit 1,3 Mio. Euro dotierten FWF-Projekts zusammen.

Rudolphina: Frau Zulehner, wie beantworten Sie unsere Semesterfrage "Worauf legen wir noch Wert?"

Christine Zulehner: Mit der Frage des Wertes beschäftigen sich Ökonom*innen schon sehr lange. Der Wert eines Gutes (oder einer Dienstleistung) wird als subjektiv (und nicht als objektiv) angesehen, und entsteht aus der Beziehung zwischen Gut und Eigentümer*in des Gutes. Der Wert stellt den Nutzen des Gutes für den/die Eigentümer*in dar und lässt sich durch die Frage "Wieviel ist jemand maximal bereit, für ein Gut für ein Gut zu bezahlen?" darstellen. Ist der Wert größer als der Preis, wird man das Gut kaufen, und die Differenz bezeichnen Ökonom*innen als Konsument*innenrente. Ist der Wert kleiner als der Preis, wird man das Gut nicht kaufen.  

Aber wie Wolfgang Ambros gesungen hat, "Net olles wos an Wert hot, muas a an Preis hobn". Und umgekehrt gilt auch, dass ein Gut an Wert verlieren kann, wenn man dem Gut einen Preis zuordnet. 

In unserem Forschungsprojekt "Preissetzung in Märkten mit unvollkommenem Wettbewerb" beschäftigen wir uns unter anderem auch mit der Schätzung von der Nachfrage von Konsument*innen nach Gütern. Mit Hilfe der Schätzergebnisse können wir die Konsument*innenrente ausrechnen und beispielsweise die Auswirkungen von Unternehmensfusionen für Konsument*innnen berechnen. 

Diskutieren Sie zum Thema im Forum+ auf "DerStandard" und lesen Sie weitere Beiträge über Werte und wie sie uns im Alltag prägen im Rahmen der aktuellen Semesterfrage "Worauf legen wir noch Wert?".

Eingriff in den Markt: Wo bleibt der Lenkungseffekt?

In Deutschland sind Tankstellen dazu verpflichtet, ihre Preisänderungen stündlich an die Transparenzstelle zu übermitteln. Die genauen Daten aus Deutschland nutzen Christine Zulehner und ihr Team im Projekt, um diese dynamische Preisbildung und die Reaktionen der Unternehmen zu untersuchen sowie hypothetische Berechnungen durchzuführen. "So können wir beispielsweise auch die optimale Zusammensetzung von Steuern ermitteln", sagt die Projektsprecherin. 

Wie Steuern sich auf den Endpreis, den Konsument*innen bezahlen müssen, auswirken, hängt von mehreren Faktoren ab – unter anderem, wie stark der Wettbewerb unter den Anbieter*innen ist und inwieweit Konsument*innen auf andere Produkte ausweichen können. "Bei Konsument*innen, die nicht flexibel tanken können, ist das kurzfristig zumindest schwierig, und es ist damit zu rechnen, dass diese Konsument*innen einen Großteil der Steuerlast tragen", so Zulehner.

Informationsasymmetrien und ihre Wirkung

Ein weiterer spannender Aspekt, den die internationalen Forscher*innen rund um Christine Zulehner untersuchen, sind Informationsasymmetrien, die auch ein Abweichen vom vollkommenen Wettbewerb bedeuten. Sie können entstehen, wenn das in einer vertikalen Lieferkette nachgelagerte Unternehmen (z.B. ein Supermarkt) keine Information über die Qualität der Produkte hat, die es verkaufen soll, und das vorgelagerte Unternehmen (z.B. ein Produzent) wiederum nichts über die Nachfrage nach diesen Produkten weiß. "Etwa haben Supermärkte durch Kundenbindungsprogramme mehr Informationen über die Nachfrage als die Produzent*innen von Lebensmitteln", erklärt die Ökonomin.

Zudem beschäftigen Christine Zulehner und ihr Team zwei weitere spannende Fragen: Wann verkaufen Unternehmen direkt an die Verbraucher*innen, und wann sind sie auf unabhängige Einzelhändler*innen angewiesen? Welche Anreize gibt es für Unternehmen, sogenannte vertikale Fusionen einzugehen? "Die Bewertung der Auswirkungen solcher Fusionen ist wichtig für die Wettbewerbspolitik  und letztlich für das Wohl der Konsument*innen", so die Wirtschaftswissenschafterin abschließend. (lk)

Das Forschungsprojekt "Preissetzung in Märkten mit unvollkommenem Wettbewerb" wird vom Wissenschaftsfonds FWF mit 1,3 Millionen Euro gefördert. Fünf Forscher*innen (Daniel Garcia, Maarten Janssen, Eeva Mauring, Philipp Schmidt-Dengler, Christine Zulehner) von der Universität Bergen und der Universität Wien untersuchen verschiedene Märkte und die Preisbildung auf unvollkommenen Wettbewerbsmärkten sowohl aus einer empirischen als auch aus einer theoretischen Perspektive. Das Forschungsprojekt (Laufzeit 2021-2026) ist in fünf Themen unterteilt, die sich auf dynamische Preisbildung, Preisbildung unter Informationsasymmetrien, Verbrauchersuche, Kollusion und Preisbildung im Einzelhandel konzentrieren. Christine Zulehner, Vorständin des Instituts für Volkswirtschaftslehre an der Uni Wien, ist Sprecherin des FWF-Projekts.

© Interfoto
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Christine Zulehner ist Professorin am Institut für Volkswirtschaftslehre an der Uni Wien. Ihre Forschungsinteressen sind industrielle Organisation, Wettbewerbsökonomie, Auktionen, dynamische Oligopolmodelle, Arbeitsnachfrage und Geschlechterunterschiede.