Comics

Von Wonder Woman zu Ulli Lust

13. Mai 2020 von Salme Taha
Comics als emanzipatorisches Tool? Wie Gender in Comics ausverhandelt wird, untersuchen Germanistin Susanne Hochreiter und ihr Team. Ihre Ergebnisse machen sie in einer Online-Datenbank öffentlich zugänglich – und schaffen damit eine wichtige Grundlage für die noch junge Comicforschung.
"Comics verhandeln Geschlecht auf besondere Weise. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Spannungsverhältnis von Bild und Text Körperrepräsentationen vielfältig irritieren und infrage stellen können", so Susanne Hochreiter über ihr aktuelles FWF-Projekt, in dem sie gemeinsam mit Marina Rauchenbacher und Katharina Serles forscht. © Pixabay/prettysleepy1

In der Gestalt von Superheld*innen wie Wonder Woman oder Thor haben Comics ihren Weg nicht nur auf Leinwände weltweit gefunden, sondern auch in die Bücherschränke von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. "Comics wurden in den letzten Jahren aus der Schmutz- und Schundecke rausgeholt. Das freut mich, weil sie ein sehr ernsthaftes und interessantes Medium sind", so Susanne Hochreiter vom Institut für Germanistik der Universität Wien über diese neue Entwicklung.

Comics stehen auch bei ihr derzeit im Fokus: In ihrem aktuellen FWF-Projekt "Visualitäten von Geschlecht in deutschsprachigen Comics" beschäftigt sich die Germanistin und Literaturwissenschafterin nämlich mit der Frage, wie Comickünstler*innen in ihren Geschichten Geschlecht darstellen.

Bild und Text im Widerspruch

"Aus meiner Sicht ist der Comic das perfekte Medium, diese Aspekte zur Sprache zu bringen und die Prozesse dahinter einerseits sichtbar zu machen und andererseits infrage zu stellen. Wir wissen, dass sich zum Beispiel US-amerikanische Superheld*innencomics ebenso wie Undergroundcomics mit Körperlichkeit beschäftigen und unterschiedliche Geschlechterordnungen verhandeln", erläutert Hochreiter. Die Literaturwissenschafterin ist schon von Kindesbeinen an eine begeisterte Comicleserin. Dieses Interesse an Comics und Genderforschung ist es, was sie mit ihren beiden Projektmitarbeiterinnen Marina Rauchenbacher und Katharina Serles verbindet.

"Das Spannende am Medium Comic ist die Verschränkung der verschiedenen Zeichenebenen", führt Hochreiter weiter aus. "Bei den meisten Comics haben wir nämlich eine visuelle und eine sprachlich-textuelle Ebene: Wir sehen in einem Panel ein Bild, das etwas Bestimmtes ausdrückt und dazu Text als Sprechblase oder Erzählerkommentar. Diese Verschränkung von Bild und Text bewirkt eine interessante Wechselwirkung, die darauf hinausläuft, dass die eine Ebene die andere befragt."

Frau steht vor einem Zeitschriftenstand
Durch die wachsende Popularität von Comics und Graphic Novels in den letzten Jahren hat sich die Comicforschung bzw. die Comic Studies zu einer eigenen interdisziplinären Forschungsrichtung weiterentwickelt, so Susanne Hochreiter: "Comics sind wissenschaftswürdig geworden, weil sie für unsere Gegenwart ein offensichtlich interessantes Medium sind." © Pixabay/emiliefarrisphotos

Diese Wechselwirkung muss nicht immer im Einklang stehen – oft widersprechen sich Text und Bild auch. "Ein simples Beispiel wäre ein Panel, in dem eine kleine, zarte Person zu sehen ist, während sie im danebenstehenden Text als Superheldin bezeichnet wird. Hier handelt es sich also um eine Szene, in der bestimmte Zuschreibungspraxen kollidieren und die Wahrheit des Bildes gewissermaßen durch den Text in Frage gestellt wird", erklärt die Literaturwissenschafterin. Von Interesse ist für sie hier, was sich aus diesem Spannungsverhältnis ergibt und inwieweit das von den Comiczeichner*innen innerhalb der Geschichte kommentiert wird.

Comics als Ausdruck des Selbst

In den letzten zehn bis 15 Jahren haben sich Graphic Novels im deutschsprachigen Raum zu Orten entwickelt, in denen Geschlecht und Identität besonders im Vordergrund stehen. Vor allem in autobiografischen Comics lassen sich diese Themen oft finden. "Literatur, wie auch Comics, sind für alle minorisierten Gruppen ein wichtiges emanzipatorisches Tool, um ihre eigenen Geschichten zur Sprache zu bringen und sichtbar zu machen. Hier findet man Ausdruck für verschiedene Lebensperspektiven, für Fragen von Macht, Benachteiligung, Asymmetrien und Unterdrückungsprozesse", schildert Hochreiter das Potenzial hinter diesem Medium. 

Ulli Lusts "Heute ist der letzte Tag des Rests deines Lebens", Aisha Franz' "Shit is real" und Regina Hofers "Blad" sind bekannte Beispiele für diesen Trend. Sie gehören zu den insgesamt 500 Comics und Graphic Novels, welche die drei Germanistinnen im Rahmen ihres Projektes untersuchen. In ihrem Korpus findet man gleichermaßen semi-autobiografische und fiktive, explizit feministische und Mainstream-Comics.

Zugänglich für alle

Teil und gleichzeitig ein Resultat dieser Forschung ist der Aufbau einer Online-Datenbank. Hier sollen die Titel aller Comics, mit denen das Forschungsteam arbeitet, gespeichert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Somit kann jede Person über bestimmte geschlechts- und körperbezogene Suchkriterien wie Alter, Krankheit, Ethnizität oder Sexualität nach den entsprechenden Comics suchen.

Darüber hinaus soll die Datenbank so entwickelt werden, dass die Suchkriterien verändert und neu angepasst werden können. "Es kann auch passieren, dass jemand nach zehn Jahren realisiert, dass ein Suchkriterium oder eine Kategorie nicht mehr tragbar ist und man diese revidieren muss", erklärt die Germanistin das Vorhaben. "Die Grundidee ist, dass die Datenbank selbst nach Abschluss des Projekts ohne uns weiterwächst – als ein für alle Interessierten zugängliches und bewegliches Projekt". (st)

Das FWF-Projekt "Visualitäten von Geschlecht in deutschsprachigen Comics" wird von Univ. Ass. Mag. Dr. Susanne Hochreiter vom Institut für Germanistik der Universität Wien geleitet und läuft von 11. März 2019 bis April 2023. Projektmitarbeiterinnen sind Mag. Dr. Marina Rauchenbacher und Mag. Katharina Serles vom Institut für Germanistik der Universität Wien.

© Barbara Schaffer
© Barbara Schaffer
Susanne Hochreiter ist Literaturwissenschafterin und arbeitet am Institut für Germanistik. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, Literaturtheorie, bes. Gender Studies und Queer Theory, Hochschuldidaktik sowie Theater/Drama.