Die schwierige Geburt des Menschen verstehen
Dass die Relation von Kopf- und Beckengröße bei der Geburt ein Problem sein kann, ist unbestritten. In der Tat ist die Geburt, zumindest ohne medizinische Hilfe, nicht selten ein lebensgefährliches Ereignis: Ist der Geburtskanal zu eng, bleibt das Baby stecken – und das kann ohne medizinische Intervention dazu führen, dass Mutter oder Kind sterben, im schlimmsten Fall sogar beide.
Warum Menschenkinder so große Köpfe haben, lernen wir schon in der Schule: Weil wir so intelligent sind. Und genau diese Intelligenz muss offenbar sehr große evolutionäre Vorteile bringen, angesichts der gravierenden Nachteile, die der große Schädel neben dem hohen Geburtsrisiko sonst noch mit sich bringt: Menschenkinder kommen zum Beispiel sehr unausgereift auf die Welt, weil ihr Kopf bei noch längerem Verbleib im Mutterleib überhaupt nicht mehr durch den Geburtskanal passen würde. Sie sind vor allem in der Neugeborenenphase vulnerabler und betreuungsintensiver als viele andere Säugetiere.
Warum sich ein großer Kopf evolutionär lohnt, scheint einleuchtend. Die schwierigere Frage ist: Warum haben Frauen im Laufe der Zeit nicht einfach ein größeres Becken entwickelt? In Schulbüchern steht: Weil der Mensch mit einem breiteren Becken nicht aufrecht gehen könnte.
Die Geburt ist ein essentielles Ereignis im Leben jedes Menschen. Früher gingen Geburten mit einer hohen Mortalität einher - sowohl bei den Babys als auch bei den Müttern. Es ist also naheliegend, verstehen zu wollen, warum die Evolution uns Menschen so verhältnismäßig schwierige Geburten beschert hat.Barbara Fischer
Ein breites Becken ist grundsätzlich kein Problem für die Motorik
Barbara Fischer, Evolutionsbiologin am Department für Evolutionsbiologie an der Universität Wien, denkt, dass diese Erklärung zu kurz greift: "Das Argument, dass die motorischen Anforderungen für den aufrechten Gang mit einem breiten Becken nicht erfüllt werden können, greift zu kurz. Wir können eine große Varianz in der Beckenbreite von Frauen beobachten."
Warum sich beim Menschen trotzdem evolutionär keine noch breiteren Becken entwickelt haben, erklärt die Forscherin anders: "Das Problem ist die Stabilität des Beckenbodens. Das ist eine Platte aus Muskeln und Bindegewebe, die das Becken nach unten hin abschließt, und die inneren Organe stabilisiert. Bei einem zu breiten Becken würde der Druck auf den Beckenboden zu groß werden, und dieser könnte die inneren Organe dann nicht mehr an ihrem Platz halten".
Wissenschafterin und Wissenschaftskommunikatorin
Barbara Fischer ist nicht nur Forscherin, sondern auch Wissenschaftserklärerin. Sie hat eine Schulbuchreihe im Fach Biologie mitverfasst, erklärt ihre Arbeit auf Youtube und hält regelmäßige Vorträge, in denen sie Laien ihre Forschung näher bringt. Zudem war die Evolutionsbiologin auch Leiterin des "Mendel200 at UniVie" Projekts. Das Projekt, das im Zuge des 200. Geburtstags von Gregor Mendel entstand, kombinierte theoretische Erkenntnisse aus der Evolutionsbiologie, der Philosophie, der Biologie und der Wissenschaftskommunikation, um das öffentliche Engagement für die Lebenswissenschaften zu vertiefen und zu bereichern. Sie ist weiters Board-Mitglied des Elise-Richter-Netzwerks, eines Netzwerks von exzellenten Wissenschafterinnen in Österreich.
Die Größe des Beckens entstand im Lauf der Evolution als Kompromiss – einerseits soll das Becken breit genug sein, damit das Baby bei der Geburt durchpasst, aber auch eng genug, damit der Beckenboden seine Aufgabe gut erfüllen kann. Damit steht die Evolution vor einer schwierigen Situation: Ist das Becken zu schmal, könnten Frau und Kind bei der Geburt sterben, ist es zu breit, könnte der Beckenboden die Last der inneren Organe nicht mehr tragen. Das würde zu Erkrankungen am Beckenboden, sogenannten Beckenbodenvorfällen, führen.
Um die Funktion des Beckenbodens zu erforschen, führte die Forscherin mit ihren Kolleg*innen Experimente mit biomechanischen Modellen durch: "Wir haben sowohl breite als auch schmale Becken simuliert und haben so entdeckt, dass große und breite Beckenböden tatsächlich anfälliger sind", erklärt sie.
Der Mensch ist keine Fledermaus
Ganz unbeteiligt ist der aufrechte Gang damit genau genommen also doch nicht – wenn auch anders als bisher gedacht: "Durch die Schwerkraft üben die Organe Druck auf den Beckenboden aus. Das führt aber nur deshalb zu Problemen, weil wir aufrecht gehen – würden wir das nicht tun, sondern zum Beispiel fliegen oder uns auf vier Beinen fortbewegen, dann würde viel weniger Druck auf dem Beckenboden lasten und ein breites Becken wäre dabei problemlos möglich."
Genau das ist bei Fledermäusen der Fall, wie die Evolutionsbiologin, die gemeinsam mit ihren Kolleg*innen auch die Anatomie von verschiedenen Säugetierarten verglich, erzählt: "Diese Tiere hängen kopfüber wenn sie rasten, und ihr Beckenboden bleibt so von der Schwerkraft verschont – daher konnten Fledermäuse ein offenes Becken evolvieren, mit dem sie vergleichsweise riesige Babys zur Welt bringen können – mit einer Körpermasse von bis zu 50 Prozent der Mütter."