Die Habsburger in Bosnien
In Bosnien gibt es ein architektonisches Erbe, das so in Österreich nicht bekannt ist: mehr als hundert monumentale Bauten in einem Baustil, der an typische Wiener Ringstraßen-Gebäude wie den Musikverein erinnert – aber eben mit "orientalischem" Touch. Entstanden sind die Verwaltungsgebäude und Bauten für die muslimische Gemeinschaft in der Zeit zwischen 1878 und 1918, als die Habsburger über Bosnien und Herzegowina herrschten.
"Ziel dieser Architektur war es, der islamischen Gemeinschaft zu bedeuten, dass ihre Traditionen unter der Herrschaft Kaiser Franz Josephs weiter gepflegt werden dürfen", erklärt Hartmuth. Andererseits sollten sie einem internationalen Publikum Österreich-Ungarns Erfolg bei seinem "Zivilisierungsprojekt" beweisen.
Ein Beispiel für diesen politischen Hintergrund könnte ein Gymnasium in Mostar sein, das um 1900 errichtet wurde: "Es dreht sich zur Eisenbahnstrecke hin und ist insofern, wie viele dieser Bauten, ein wenig exhibitionistisch veranlagt", scherzt Hartmuth. "Die Verwaltung nutzte diesen gut sichtbaren Standort um zu zeigen, dass sie am Balkan als Zivilisierungsinstanz auftritt."
Eine "altösterreichische Moscheenbaukunst"
Die Architekten der austro-orientalischen Bauten waren Schüler großer Wiener Ringstraßenarchitekten wie Theophil Hansen, Heinrich von Ferstel – dem Architekten des Uni Wien-Hauptgebäudes – oder Friedrich von Schmidt. Sie kamen aus der gesamten Monarchie, wurden in Wien ausgebildet und erhielten von der österreichisch-ungarischen Verwaltung den Auftrag, repräsentative Gebäude zu errichten, die das islamische Erbe Bosniens berücksichtigen.
"Spannend ist, dass sie sich dabei nicht an den zahlreichen vor Ort vorhandenen osmanischen Bauten aus vier Jahrhunderten orientiert haben, sondern vor allem an mittelalterlichen Gebäuden Kairos, Cordobas und Granadas", sagt Hartmuth, der das Thema im Rahmen eines hochdotierten Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) erforscht, und erklärt: "Diese entsprachen in ihrer Dekoriertheit und Farbenvielfalt eher der europäischen Vorstellung von 'orientalisch'."
Romantisierung, Historisierung, Heimatschutz
Dieses Experiment hat aber keinen homogenen Stil hervorgebracht, sondern kann grob in drei Perioden unterteilt werden. Anfangs wird noch nach passenden Ausdrucksformen gesucht: "Man zitiert aus verschiedenen Quellen Bekanntes, dichtet viel dazu, lässt sich von der 'exotisierenden' Gestik von Ausstellungspavillons und Synagogenbauten inspirieren", erklärt Hartmuth.
Dieser "romantischen" Phase folgt eine "konsolidierende": In den 1890er Jahren verfestigt sich ein Formenvokabular. Stilbildend dafür wirkt das Rathaus in Sarajevo, das ab 1892 errichtet wird. Abschließend kommt es zur Reaktion: Der inzwischen als "landesfremd" entlarvte neue Stil wird von einer Rückbesinnung auf osmanische Bauformen abgelöst. "Es entwickelt sich ein weniger extrovertierter Stil, der auf das Lokalkolorit und die Authentizität bosnischer Städtebilder Rücksicht nehmen will", erklärt der Kunsthistoriker.
Kulturelle Bevormundung in der Auslage
Die Bevölkerung Bosniens, von der zu dieser Zeit etwa 30 bis 40 Prozent MuslimInnen waren, äußerte sich kaum zu diesem Stil. "Die Tatsache, dass sich einige Angehörige der muslimischen Oberschicht Villen und Landhäuser in diesem Stil errichten ließen, scheint aber zu belegen, dass ihm manche Einheimische durchaus etwas abgewinnen konnten. Dabei scheint es sich häufig um Muslime mit einem guten Draht zur Landesregierung gehandelt zu haben." Vereinzelt überlebte der Stil sogar die Habsburgerzeit.
Das fünfjährige ERC-Projekt macht es möglich, solchen Details nachzugehen, für die sonst selten Raum bleibt, freut sich Maximilian Hartmuth. "Dazu gehört in der Praxis zum Beispiel auch, mit Fotoapparat und Notizblock sämtliche Ortskerne einer Region nach Gebäuden zu durchsuchen, die dem Radar der Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker vielleicht bislang entgangen sind."
Auf diese Weise hat das österreichisch-bosnische Projektteam bereits spannende Bauten entdeckt, über die noch nie berichtet wurde: "Unser Ziel ist es, diesem architektonischen Erbe zu einem sichtbaren – wie wir finden verdienten – Platz in der Kultur- und Architekturgeschichte Europas zu verhelfen."
Das ERC-Projekt "Islamic Archtecture and Orientalizing Style in Habsburg Bosnia, 1878-1918" unter der Leitung von Dr. Maximilian Hartmuth ist am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien angesiedelt und läuft von Februar 2018 bis Jänner 2023. Mit ERC-Grants fördert der Europäische Forschungsrat Projekte mit hohem Potenzial für Innovationen. Seit 2007 wurden insgesamt 58 ERC Grants an ForscherInnen der Universität Wien vergeben: 15 Advanced Grants, zehn Consolidator Grants, 30 Starting Grants und drei Proofs of Concept. ERC Grants an der Uni Wien im Überblick
Hartmuth studierte an der Universität Wien, der Kunstuniversität Belgrad und der Koç Universität in Istanbul, bevor er 2011 an der Sabancı Universität in Istanbul promovierte. 2012 kehrte er als Universitätsassistent für islamische Kunstgeschichte an die Universität Wien zurück.Im Jahr 2017 erhielt er den prestigeträchtigen ERC Starting Grant.