Klima

Der weiße Planet

19. Mai 2021 von Theresa Dirtl
Aiko Voigt beschäftigt sich mit Wolken und ihrem Einfluss auf das Klimasystem der Erde. Über die Herausforderung, mit Hilfe von Modellen das Klima zu verstehen, und das bis heute ungelöste sogenannte "Konvektionsproblem" spricht er im Interview mit Rudolphina.
"Wir können unseren Planeten nicht verstehen, ohne Wolken zu verstehen", sagt Aiko Voigt, Professor für Climate Science an der Universität Wien. © Pixabay/klickblick

Rudolphina: Herr Prof. Voigt, Sie haben seit Jänner 2021 die Professur für Climate Science an der Universität Wien inne. Einer Ihrer Schwerpunkte ist der Einfluss von Wolken auf das Klima. Können Sie kurz das Phänomen Wolken erläutern?

Aiko Voigt: Bei Vorträgen zeige ich immer gerne ein Satellitenbild unseres sogenannten blauen Planeten, das schön zeigt, dass er eher einem weißen Planeten entspricht. Denn die Erde ist permanent von Wolken überzogen. Wir können unseren Planeten nicht verstehen, ohne Wolken zu verstehen. Auch wenn sie nur aus einem Bruchteil der Gesamt-Wassermenge auf der Erde bestehen, haben sie einen sehr großen Einfluss auf die Strahlungseigenschaften und damit auf das Klima. Gerade weil Wolken aus sehr kleinen Partikeln bestehen, sind sie sehr gut darin, kurzwellige Strahlung zu reflektieren und auch terrestrische Strahlung zu absorbieren. Wären alle Wolken auf einmal weg, so würde das einem Strahlungsantrieb gleichkommen, der einer augenblicklichen 16-fachen Erhöhung des CO2 Gehalts entsprechen würde. Der Strahlungsantrieb ist eng verknüpft mit der globalen Energiebilanz der Erde und der Erdmitteltemperatur. Ist er positiv, wie zum Beispiel durch eine Erhöhung der CO2 Konzentration, so führt das zu einer Erwärmung der Erde. Wolken sind für mich auch so spannend, weil sie sehr kompliziert sind. Sie bestehen einerseits aus winzigen Tröpfchen und Eiskristallen, gleichzeitig organisieren sie sich auf Größenskalen von mehreren hundert bis tausend Kilometern. Die besondere Herausforderung in meinem Forschungsbereich der Klimamodellierung ist es, diese zwei Skalen zu koppeln.

Jedes Semester stellt die Universität Wien eine Frage zu einem Thema, das die Gesellschaft aktuell bewegt. Die Semesterfrage im Sommersemester 2021 lautet: "Was machen wir Menschen mit der Erde?" 

Aiko Voigt: Ein großes und wahrscheinlich von vielen Menschen ungewolltes Experiment, dessen Ausgang im Detail ungewiss ist, aber von dem wir wissen, dass wir es nicht weiter so betreiben können.

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Rudolphina: Weitere Schwerpunkte Ihrer Forschung sind die Globale Klimadynamik und Klimamodellierung. Wie hängen diese mit Wolkenprozessen zusammen?

Voigt: Da ich aus der theoretischen Physik komme, schaue ich immer mit einer "Physik-Brille" auf die Frage "Was bedeuten Wolken für das Klima?" Obwohl unsere Forschung auch Anknüpfungspunkte an den aktuellen Klimawandel hat, machen wir keine konkreten Prognosen, sondern arbeiten mit Modellen und Simulationen. Sprich wir betreiben Grundlagenforschung. So betreffen unsere Fragestellungen nicht die konkrete Klimaentwicklung der nächsten 20 bis 30 Jahre. Wir fragen eher nach Mechanismen, z.B.: Wie beeinflusst eine hohe Wolke das Aufheizen in der Atmosphäre und die Winde des Strahlstroms? Dazu arbeiten wir mit verschiedenen globalen Modellen. Die größte Herausforderung und gleichzeitig die größte Unsicherheit ist, Wolken- und Wolkensysteme angemessen zu simulieren.

Rudolphina: Worin genau besteht die Schwierigkeit, Wolken in Klimasimulationen einzubauen?

Voigt: Ein Gewitter hat eine Wolkenausdehnung zwischen einem und fünf Kilometern, und klassische Klimamodelle benutzen Gitterabstände von grob gesagt hundert Kilometern. So können wir ein einziges Gewitter gar nicht in das Modell einbauen. Daher helfen wir uns mit einer statistischen Annäherung – wir nennen das Parametrisierung. Das heißt, wir bilden den Effekt des Gewitters auf die großskalige Zirkulation mit Hilfe von empirischen Gleichungen ab, ohne das Gewitter selbst zu simulieren. Wir müssen das Gewitter im Modell mitnehmen, da der Einfluss der Prozesse, die im Gewitter auftreten, auf die Atmosphäre enorm ist. Das ist ein 50 Jahre altes Problem in der Klimaforschung. Bis heute gibt es keine Lösung für dieses – so nennen wir es – Konvektionsproblem.

Rudolphina: Wie sieht Ihre tägliche Arbeit aus, um Klimasysteme zu verstehen?

Voigt: Ich bin ein klassischer Schreibtischtäter (lacht). Wir nehmen eine Reihe von Modellen – das sind Gleichungen, die Temperatur, Winde, etc. abbilden – als Werkzeug, um das System Klima zu verstehen. Diese Gleichungen können wir mit Stift und Papier nicht lösen, daher packen wir sie in den Computer und versuchen sie dort zu lösen. Wir wissen, dass Wolken in Modellen wie gesagt sehr schwer abzubilden sind, folglich auch der Einfluss des Wolkenstrahlungsheizens auf die Temperatur und die Windsysteme. Wir arbeiten daher z.B. konkret an der Frage: Inwieweit kann sich diese Unsicherheit in den Wolken auf Unsicherheiten in den Änderungen der Windsysteme im Klimawandel auswirken? Kurz gesagt: Wir wollen das System Klima mit Hilfe von Modellen verstehen. Ein weit verbreiteter Falschglaube ist, wenn man das perfekte Modell hätte, dann wäre das Problem gelöst. Ich sage darauf immer: Nein, dann würden wir das goldene Zeitalter der Klimaforschung betreten, denn dann hätten wir unseren perfekten Experimentiertisch – ein Modell, das ganz nah an der Physik der Atmosphäre, etc. dran ist und mit dem wir viele der heutigen Probleme abräumen könnten.

Rudolphina: Herzlichen Dank für das Interview! (td)

© Aiko Voigt
© Aiko Voigt
Aiko Voigt hat seit Jänner 2021 die Professur für Climate Science an der Fakultät für Geowissenschaften, Geographie und Astronomie inne.

Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u.a. Globale Klimadynamik und Klimamodellierung, Wolken, Strahlung sowie Zirkulation der Atmosphäre.