666 – des Rätsels Lösung
"Ich liebe die, deren Zahl 865 ist". So die Übersetzung eines der Wandgraffiti, die im "Hanghaus 2" bei Ausgrabungen in Ephesos zum Vorschein kamen. Diese sogenannten "isopsephischen Rätsel" beruhen auf dem Prinzip, dass jeder Buchstabe des griechischen Alphabets zugleich einen Zahlenwert hat; so steht Alpha für eins, Beta für zwei usw. Durch Addition der Zahlwerte der Buchstaben, aus denen ein Name besteht, ergibt sich eine Summe, aus der der Eingeweihte den ursprünglichen Namen erschließen konnte. Während für die antiken Teilnehmer*innen an diesem "Partyspiel" die Zahl der in Frage kommenden Personen ziemlich überschaubar war, ist es für heutige Forscher*innen ohne technische Hilfsmittel praktisch unmöglich, die Lösung solcher Rätsel zu ermitteln.
Der Name hinter der Zahl
Diana Altmann, Studentin der Informatik, hat unter Anleitung von Hans Taeuber vom Institut für Alte Geschichte in ihrer Diplomarbeit ein Programm entwickelt, mit dessen Hilfe die Zahlenwerte aller in Kleinasien nachgewiesenen Personennamen berechnet werden können. Die entsprechende Datenbasis in elektronischer Form wurde von Richard Catling, dem Autor des "Lexicon of Greek Personal Names", zur Verfügung gestellt. "Damit ist es uns nun möglich, zu jeder 'Rätselzahl' eine Liste antiker Personennamen zu erstellen, auf die die betreffende Quersumme zutrifft. Für die Berechnung kann eine beliebige Kombination orthographischer Varianten berücksichtigt werden", erklärt Taeuber.
"… und seine Zahl ist 666"
Mit Hilfe dieses Programms gelang es endlich, einem der größten Rätsel der Bibel auf die Spur zu kommen: In Kapitel 13 der Geheimen Offenbarung wird ein "Untier" (therion) beschrieben, dem der "Drache" (Satan) große Macht verliehen hat und dessen Bild alle Menschen anbeten müssen. Und weiter heißt es: "Hier ist die Weisheit. Wer Verstand hat, berechne die Zahl des Tieres, denn es ist eines Menschen Zahl, und seine Zahl ist 666."
Über die Rätsel von Ephesos
Die Buchstaben des griechischen Alphabets hatten neben ihrem Laut- auch einen Zahlenwert. Das System war in drei Neunergruppen gegliedert, je eine Gruppe repräsentierte die Einer, Zehner und Hunderter. Es begann mit Alpha = 1, Beta = 2 usw. bis Theta = 9; dann setzten die Zehner mit Iota = 10, Kappa = 20 … fort, und schließlich folgten die Hunderter mit Rho = 100, Sigma = 200 etc. Da das klassische griechische Alphabet nur 24 Buchstaben umfasste, hat das Zahlsystem drei damals in der Schrift bereits ungebräuchliche Buchstaben weiterverwendet: Stigma (ς) = 6, Koppa (Ϙ) = 90 und Sampi (Ϡ) = 900. Ab 1.000 wurde wieder mit Alpha begonnen, allerdings mit diakritischem Zeichen (im Druck als ͵α wiedergegeben), um es vom einfachen αʹ = 1 zu unterscheiden.
"Ganz offensichtlich handelt es sich dabei um die gleiche Art von Rätseln, wie sie auf den etwa zur selben Zeit wie die Offenbarung entstandenen Wandmalereien zu lesen waren und die dem im westlichen Kleinasien ansässigen Autor vertraut sein mussten", sagt der Historiker: "Der Kontext legt nahe, dass es sich um einen römischen Kaiser handeln dürfte, und tatsächlich wurde das 'Untier' von den Forscher*innen über die Jahrhunderte hinweg immer wieder mit Nero, Domitian oder zuletzt auch Hadrian identifiziert." Die Eingabe der Zahl "666" in das Programm führt jedoch zu einem ganz anderen Ergebnis: nämlich "Ulpius", der Familienname des Kaisers Marcus Ulpius Traianus, der von 98-117 n. Chr. regierte.
Sigma austauschbar
Ein Grund, warum dieser Kaiser bisher nicht in Betracht gezogen wurde, mag darin liegen, dass das Sigma (der 18. Buchstabe des griechischen Alphabets) am Ende von "Ulpius" – wie in den meisten anderen Rätseln – als "200" gewertet wurde und sich daraus eine andere Summe ergab. Taeuber konnte jedoch zeigen, dass das später als "Schluss-Sigma" bezeichnete Zeichen mit dem Zahlwert "6" (ς) in zeitgenössischen Inschriften genauso wie eine bestimmte Form des Sigma geschrieben wurde und die beiden Zeichen somit als austauschbar gesehen werden konnten.
Unbeliebter Kaiser
Von Trajan sind im Gegensatz zu Nero keine systematischen Christenverfolgungen bekannt; in einem berühmten Brief an den Statthalter von Bithynien, C. Plinius Secundus d. J. verfügte er, dass man Christ*innen nicht aufspüren und keinen anonymen Anzeigen gegen sie nachgehen solle. Andererseits befahl er sehr wohl, Christ*innen, die sich weigerten, den heidnischen Göttern zu opfern, mit dem Tode zu bestrafen. Diese Regelung führte zweifellos zu zahlreichen Hinrichtungen und machte den Kaiser bei den Gläubigen entsprechend unbeliebt; zudem verkörperte er das Reich Roms, das in den Augen fundamentalistisch gesinnter Kreise geradezu als Ausbund aller satanischer Laster und als Hort des Bösen schlechthin galt.
"Sitz des Satans"
Ein weiteres Indiz dürfte auf die Entstehungszeit der Offenbarung in trajanischer Zeit hindeuten: Im Sendschreiben an die christliche Gemeinde in Pergamon (Kapitel 2, 13) bezeichnet der Autor diese Stadt zweimal als "Sitz des Satans". Gerade in dieser Zeit um 110 n. Chr. wurde dort ein großer Kaiserkulttempel, das sogenannte "Traianeum", errichtet. Dem Autor der Apokalypse, der sicher vom Apostel Johannes zu unterscheiden ist, musste dieses Bauwerk als gotteslästerlich erscheinen und bewegte ihn daher zu dieser Bezeichnung. Das als letzter Teil des Neuen Testaments entstandene Werk wäre demnach in die letzten Regierungsjahre Trajans zu datieren und damit etwa zwei Jahrzehnte jünger als bisher allgemein angenommen.
Dieser Beitrag ist ursprünglich im April 2016 erschienen.