Warum wir alle (ein bisschen) veganer werden sollten
Essen in Zeiten des Klimawandels
Ernährungsempfehlungen dienen traditionell der Vorbeugung von Übergewicht, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs. Eine kleine Revolution war da 2019 die Etablierung der "Planetary Health Diet" durch international führende Klima- und Ernährungsforscher*innen. Anders als bisher wurden dafür ökologische Kriterien wie Treibhausgas-Emissionen, Pestizideinsatz oder Biodiversitätsverluste durch die Lebensmittelproduktion berücksichtigt. Dies erschien überfällig, da Produktion und Vertrieb von Nahrungsmitteln z. B. mehr als ein Viertel der globalen Treibhausgas-Emissionen verursacht.
Wie sieht die "Planetary Health Diet", mit der wir sowohl unserer Gesundheit als auch dem Planeten etwas Gutes tun, aus? Noch stärker als bei bisherigen nationalen und internationalen Empfehlungen basiert sie auf pflanzlichen Lebensmitteln, auch weil tierische Produkte tendenziell einen größeren Umweltfußabdruck haben.
Weniger tierische, mehr pflanzliche Lebensmittel
Die "Planetary Health Diet" ist jedoch nicht zwingend rein vegan, auch weil ihren Entwickler*innen klar war, dass nicht jeder Mensch gleich vollkommen vegan werden will. Niemand muss also komplett auf Milch und Fleisch verzichten, um den Klimawandel zu stoppen und etwas für die eigene Gesundheit zu tun. Vielmehr kommt es jeweils auf die Menge an: Ein Weniger an tierischen Produkten (diese aber gerne aus regionaler und ökologischer Produktion) würde ein Mehr an Klima- und Gesundheitsschutz bedeuten.
Diskutieren Sie mit!
Auf DerStandard haben Sie die Möglichkeit, diesen Artikel zu kommentieren, die Antworten von Tilman Kühn zu lesen und bei Fragen zum Thema ihre Stimme abzugeben. Hier geht's zum Beitrag!
Eine Frage der Zusammensetzung
Eine pflanzenbasierte, vegane Ernährung ist aber nicht automatisch gesund. Laut aktueller Daten meiner Kollegin Maria Wakolbinger von der medizinischen Universität Wien greifen viele vegan lebende Österreicher*innen zu stark auf ungesunde Fertigprodukte zurück. Eine Studie aus meiner Arbeitsgruppe zeigt, dass eine vorwiegend pflanzenbasierte Ernährung der Gesundheit eher schadet, wenn sie viele Snacks, Desserts und zuckerhaltige Getränke beinhaltet. Jedoch weisen jene Personen, die sich weitestgehend pflanzlich ernährten, aber dabei auf Fertigprodukte, gezuckerte Getränke und raffinierte Kohlenhydrate verzichten, ein geringeres Risiko für chronische Erkrankungen und eine höhere Lebenserwartung auf als jene Personen mit einem höheren Verzehr tierischer Produkte.
Wenn komplett vegan, dann richtig
Menschen, die aus ethischen, Umwelt- oder gesundheitlichen Gründen vegan leben, wurde früher oft gesagt, dass sie ihrer Gesundheit schaden. Glücklicherweise wissen Veganer*innen heute viel besser, wie Risiken vermieden werden können. Die große Mehrheit nimmt Vitamin B12, das sonst nur in tierischen Lebensmitteln vorkommt, via Nahrungsergänzung ein. Kalzium für die Knochengesundheit wird über Mineralwässer verzehrt. Gleichzeitig sind die gesundheitlichen Vorteile der veganen Ernährung offensichtlich. Übergewicht und damit verbundene Folgeerkrankungen werden etwa deutlich seltener beobachtet. Daher und nicht zuletzt wegen der positiven Umwelteigenschaften wird der Veganismus in der wissenschaftlichen Community heute positiver gesehen.
Dennoch gibt es weiteren Forschungsbedarf: So ist beispielsweise nicht ganz klar ist , wie Veganerinnen und Veganer genügend Jod zu sich nehmen können, da dieses hauptsächlich in Milch und Fisch vorkommt. Ein gerade laufendes Forschungsprojekt mit der Karls-Universität Prag deutet auf sehr niedrige Jodwerte bei sich vegan ernährenden Kindern hin. Hier gilt es Alternativen wie Algenprodukte mit definiertem Jodgehalt zu finden. Auch die wissenschaftliche Bewertung veganer Milchprodukt- und Fleischalternativen steckt noch in den Kinderschuhen.
Neue Wege zu einer gesünderen Ernährung?
Wir verdrängen es gerne, aber Klima- und Umweltkrise werden spürbarer, auch bei uns. Öfter auf tierische Lebensmittel zu verzichten erscheint da, gerade in Anbetracht gesundheitlicher Vorteile, als hinnehmbares Opfer. Ohne Frage braucht es dafür angesichts hoher Lebensmittelkosten neben gut gemeinten Appellen die richtigen Anreize. So könnten Klima und Gesundheit stark von einer Reduzierung der Steuern auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte profitieren, bei gleichzeitig höherer Besteuerung von tierischen Produkten.
In der Diskussion um aktuell hohe Lebensmittelkosten und mögliche Steuerentlastungen wäre ein solches differenziertes Steuerkonzept, das Gesundheits- und Umweltaspekte berücksichtigt, bedenkenswert. In Kalifornien, Mexiko oder dem Vereinigten Königreich wurden bereits erfolgreich "Strafsteuern" auf besonders ungesunde Lebensmittel eingeführt. Mit Steuersenkungen für gesunde und umweltfreundliche Grundnahrungsmittel gepaart, würden sie gleich sympathischer daherkommen.