Natur unter Folie – der Fluch der Haltbarkeit

Können wir die Weltbevölkerung 2050 ohne Plastik in der Landwirtschaft ernähren?

18. April 2023 Gastbeitrag von Thilo Hofmann
Trotz seiner negativen Auswirkungen ist Plastik derzeit unverzichtbar für die Landwirtschaft. Im Gastbeitrag erklärt Umweltgeowissenschafter Thilo Hofmann wie es vermieden werden könnte.
Mulchfolien, unter denen Erdbeeren, Spargel, Salat und vieles mehr gedeiht. © Getty Images/iStockphoto

Plastik hat alle Bereiche des menschlichen Lebens durchdrungen: Jährlich werden weltweit über Millionen 400 Tonnen Kunststoff produziert. Durch seine Haltbarkeit, Missmanagement des Mülls und unzureichende Wiederverwendung häufen sich immense Mengen Plastik in der Umwelt an. Weltweit werden nur 9 % des Plastiks recycelt, 22 % landen unkontrolliert in der Umwelt, der Rest wird verbrannt oder endet auf Mülldeponien. Für EU-Länder sind die Zahlen etwas besser, aber noch weit entfernt von gut. Es wundert daher kaum, dass Plastik bereits heute für 4,5 % der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, das Meiste hiervon bereits bei der Herstellung, insbesondere durch die Verwendung nicht erneuerbarer Energie im Produktionsprozess.

Landwirtschaft ist der größte Druck auf das Ökosystem unseres Planeten

Moderne Landwirtschaft ist wenig romantisch: Landwirtschaft ist verantwortlich für 29 % der globalen Treibhausgasemissionen, 30 % des Energieverbrauchs, 33 % der globalen Landnutzung, 70 % des Grundwasserverbrauchs für Bewässerung und 75 % der Abholzung. Damit geht außerdem eine dramatische Reduktion der Biodiversität einher. Dass unser überhöhter Fleischkonsum hierbei eine große Rolle spielt, steht außer Frage. Viel schwieriger zu beantworten ist die Frage, wie man geschätzte 10 Milliarden Menschen im Jahr 2050 sicher und für den Planeten verträglich ernähren will. Stichwort: Planetary Health.

Der einflussreiche Bericht der EAT-Lancet Kommission nennt zehn Aktionspunkte: zum Beispiel eine gesündere fleischarme Ernährung, weniger Lebensmittelabfall, effizienterer Düngemittel- und Wassereinsatz, umweltverträglichere Pestizide und keine neuen Abholzungen für Agrarflächen. Dies bedingt die wenig romantische weitere Intensivierung der Landwirtschaft. Um 10 Milliarden Menschen nachhaltig für den Planeten zu ernähren, muss der ökologische Fußabdruck der Lebensmittelproduktion allerdings deutlich reduziert werden. Und hier beginnt die scheinbare Erfolgsgeschichte von Plastik in der Landwirtschaft.

Plastik

ist ein umgangssprachlicher Oberbegriff für Kunststoffe. Diese bestehen aus organischen Polymeren, die wiederum aus kleineren Monomeren aufgebaut sind. Alle Kunststoffe enthalten Zusatzstoffe (Additive) für die gewünschten Materialeigenschaften. Diese können unbedenklich, aber auch sehr problematisch in der Umwelt sein. Kunststoffe werden überwiegend aus fossilen Rohstoffen hergestellt, können aber auch aus erneuerbaren Rohstoffen produziert werden (z.B. Pflanzen, Abfälle von Krustentieren). Unabhängig der Herkunft des Rohstoffes können Kunststoffe sehr lange in der Umwelt stabil und nicht bioabbaubar sein; sie zerfallen dann mit der Zeit zu immer kleineren Mikro- und Nanoplastikpartikeln. Sie können jedoch auch für bestimmte Anwendungen bioabbaubar produziert werden. Dabei muss kritisch untersucht werden, unter welchen Umweltbedingungen (z.B. Temperatur, pH-Wert, Wassergehalt) der Abbau vollständig zu Biomasse und CO2 erfolgt, oder ob Rückstände im Boden langfristig verbeiben.

Ohne Plastik ist die moderne Landwirtschaft derzeit nicht möglich

Über 12 Millionen Tonnen Plastik werden weltweit laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN (FAO) jährlich in der Landwirtschaft verwendet. Der größte Anteil entfällt auf Mulchfolien, unter denen Erdbeeren, Spargel, Salat und vieles mehr gedeiht. Dazu kommt eine lange Liste an weiteren Plastikprodukten, zum Beispiel Befestigungsclips, Bewässerungsschläuche, Netze, Schutzfolien, Gewächshäuser, Silagefilme, Verpackung für Agrochemikalien und Transportbehältnisse und vieles mehr.

Lesen Sie auch
Gesundheit
Ein internationales Forscher*innenteam untersucht im EU-Projekt "Imptox", welche Rolle Mikro- und Nanoplastik für die menschliche Gesundheit spielen – der Schwerpunkt liegt dabei auf den Atemwegen. Mit an Bord ist Lea Ann Dailey vom Department für Pharmazeutische Technologie & Biopharmazie der Universität Wien.

Weitgehend unbekannte Anwendungen sind Düngemittel, deren Körner für eine langsame Freisetzung in wasserlösliches Plastik eingepackt sind. Hinzu kommen unbeabsichtigte Plastikeinträge über Windverfrachtung oder Bodenerosion, mit Plastik verunreinigte Klärschlammdüngung, oder die Wiederverwendung von mit Plastik belastetem Abwasser für die Bewässerung.

Plastik hat viele negative Effekte: Es verringert die Bodenfruchtbarkeit, der Ertrag sinkt langfristig – besonders bedenklich ist, dass giftige Additive aus dem Plastik in die Pflanze aufgenommen werden, und über die Nahrungskette in den menschlichen Körper gelangen. (Lesen Sie dazu eine aktuelle Pressemeldung der Hofmann-Gruppe.)

Einfache Lösungen für komplexe Probleme?

Sollen wir also Plastik in der Landwirtschaft verbieten? Besser nicht, denn der ökologische Schaden wäre aktuell größer als der Nutzen. Der Einsatz von Plastik spart erhebliche Mengen an Dünger, Pestiziden und Wasser ein. Es kann früher und öfter geerntet werden, der ökologische Gesamtfußabdruck sinkt. Aber sind die kurzfristigen Vorteile des Einsatzes von Plastik in der Landwirtschaft langfristig nachhaltig?

Bei den derzeitigen Anwendungspraktiken nicht. Daher bedarf es mehrerer Schritte: Vermeiden wo möglich, Recyclen, Wiederverwenden. Die Vision: Der Hersteller bietet kein Wegwerfprodukt an, sondern die vollständige Rückholung des Plastikprodukts vom Acker inklusive Aufbereitung – und das mit gesetzlich verbindlichen Quoten. Und nur wo dies nicht möglich ist, also Plastik auf dem Feld verbleibt, wird vollständig biologisch abbaubares Material ohne toxische Additive verwendet. Hier sind Forschung und Innovation nötig (z.B. Bioplastikflaschen als bessere und nachhaltigere Alternative zu PET – eine Pressemeldung der Pignitter-Gruppe).

Biobasierte Rohstoffe können helfen, wirken sich aber ebenfalls negativ auf andere Ökosysteme oder Ernährungsnetzwerke aus, wenn nicht der vollständige Lebenszyklus bedacht wird. Als Negativ-Beispiel kann die erste Generation E10 Kraftstoffe betrachtet werden: Hier führte der vorgeschriebene Anteil im Kraftstoff zu einer Konkurrenz um Anbauflächen gegenüber Lebensmittel und zu einem erhöhten Eintrag von Pestiziden ins Grundwasser, da diese für Treibstoffe weniger stark reguliert sind. Es gibt daher keine einfachen Lösungen; aber wissenschaftlich fundierte, die Probleme ganzheitlich und über den Lebenszyklus des Produktes betrachten. Hierzu gehört auch die Dimension Gerechtigkeit: Lösungen sind regional zu adaptieren und können nicht "one-fits-all" global angewendet werden.

In Summe ist die globale Problematik der Plastikverschmutzung auf landwirtschaftlichen Flächen noch nicht im nötigen Bewusstsein der Politik und Öffentlichkeit. Während international die Thematik auf der Ebene der Vereinten Nationen und ihre Unterorganisationen bearbeitet wird, sollte in den Ländern das Thema Plastikverschmutzung in der Landwirtschaft stärker in den Fokus rücken.

Diskutieren Sie mit!

Welche Ideen haben Sie, um den Einsatz von Plastik in der Landwirtschaft bei gleichbleibenden Erträgen zu verringern, ohne mehr Wasser und Pestizide einzusetzen? Wie können Sie als Individuum zur Lösung des Plastik-Dilemmas beitragen?

Auf DerStandard.at haben Sie die Möglichkeit, diesen Artikel zu kommentieren, die Antworten von Thilo Hofmann zu lesen und bei Fragen zum Thema ihre Stimme abzugeben. Hier geht's zum Beitrag!

© Universität Wien
© Universität Wien
Thilo Hofmann ist seit 2019 stellvertretender Leiter des Zentrums für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft an der Universität Wien. Zu seinen Forschungsinteressen zählt u.a. das Verhalten von Umweltschadstoffen.

Er leitet zusammen mit Sabine Pahl den neuen Forschungsverbund "Umwelt und Klima", dem 65 Wissenschafter*innen aller Fachrichtungen angehören. Er leitet außerdem die Forschungsplattform PLENTY, in dessen Rahmen Plastikverschmutzung in einem holistischen, interdisziplinären Ansatz untersucht wird.