Versteinerte Überreste

Durch fossile Fische Evolution verstehen

12. Juni 2019 von Marion Wittfeld
Vor etwa 50 Millionen Jahren starben sogenannte pycnodonte Fische aus. Heutzutage gibt es sie nur noch als Fossilien. "Sie helfen uns dabei, Evolution besser zu verstehen", sagt Paläontologe Jürgen Kriwet. In einem aktuellen Forschungsprojekt schaut er sich die versteinerten Überreste genauer an.

Knapp 180 Millionen Jahre lang gab es auf unserer Erde pycnodonte Fische, die während all dieser Zeit unbeeindruckt von klimatischen Veränderungen und Massensterbeereignissen ihr Dasein fristeten. Vor etwa 50 Millionen Jahren starben sie plötzlich aus. Für die Pycnodontier eher betrüblich, war das für andere Fischarten durchaus positiv: Die Teleostier, die heute die dominierende Fischgruppe sind, vermehrten sich explosionsartig.

"Es gibt in der Paläontologie die These, dass die Teleostier das Aussterben der pycnodonten Fische verursacht haben. Andererseits ist es aber auch möglich, dass sie die frei gewordene Lücke einfach ausnutzten und die Pycnodontier aus anderen Gründen verschwunden sind", erklärt Jürgen Kriwet vom Institut für Paläontologie der Universität Wien. In einem aktuellen FWF-Projekt versuchen er und Projektmitarbeiter John Joseph Cawley dem Geheimnis mittels modernster Technik auf den (Meeres-)Grund zu gehen.

Jürgen Kriwet am Schreibtisch
Jürgen Kriwet ist seit September 2010 Professor für Paläobiologie, Schwerpunkt Wirbeltierpaläontologie, an der Universität Wien. Er forscht u.a. zur Anatomie und Evolution von Wirbeltieren (Video "Jagdverhalten ausgestorbener Raubtiere"), zum Ursprung und zur Entwicklung von Fischen sowie zur Biodiversität und Zoogeographie aquatischer Wirbeltiere. © Universität Wien

Aus der Vergangenheit lernen

Heutzutage gibt es eine große Fischvielfalt. Allein von Teleostiern sind 33.000 Arten bekannt, hinzu kommen noch Knochenhechte mit sieben Gruppen und mit einer Art auch Schlammfische – die letzten "Dinosaurier" unter den Fischen, wie Jürgen Kriwet verrät. Um zukünftige Entwicklungen zu verstehen, ist die Reise in unsere weit zurückliegende Vergangenheit notwendig: "Fossilien geben einen tiefen Einblick in die Mechanismen der Evolution. Was wir heutzutage sehen, ist immer nur ein Schnappschuss. Um zu verstehen, wie sich Konkurrenz innerhalb eines Ökosystems auf das Entstehen oder Sterben von Arten auswirkt, müssen wir zurückblicken", erläutert Jürgen Kriwet.

Das ist heutzutage möglicherweise wichtiger denn je: Durch die Klimaveränderung werden unsere Meere wärmer, wodurch sich die Verbreitungsgebiete von Fischen ändern. "In Korallenriffen gibt es jetzt auch Fische, die vorher nicht dort waren. Diese treten natürlich in Konkurrenz zur bestehenden Population an Korallenfischen", weiß Jürgen Kriwet.

Fischfossilien
"Pycnodonte Fische waren meist klein und wie heutige Fische seitlich abgeflacht. Sie hatten verlängerte Flossen, die zusammen mit den Schwanzflossen ein effektives Ruder darstellten, was sie sehr manövrierfähig machte", so Jürgen Kriwet. © J. Kriwet

Morphologische Befunde

Gleichzeitig geht es den beiden Wissenschaftern darum, die bislang kaum erforschten pycnodonten Fische besser zu verstehen, etwa in ihrer Diversität und ihren Verwandtschaftsgraden. Mittels geometrisch morphometrischen Analysen können die Forscher herausfinden, wie sich der sogenannte Morphospace der Fische, z.B. ihre Körper- und Gebissform, über die Zeit verändert hat und ob Fische zueinander in Konkurrenz standen. Eine Frage dabei ist: Inwieweit haben solche morphologischen Veränderungen Einfluss auf das Überleben von Arten?

Anders als lebende Fische können die versteinerten Fische nicht durch Farbmuster voneinander unterschieden werden. Im Fokus stehen daher Körpergröße und Körperbau, doch auch die sind nicht immer aussagekräftig: "Wir wissen von lebenden Fischen, dass Männchen und Weibchen in ihrer Skelettausprägung sehr unterschiedlich sein können. Wie ausgeprägt dieser Sexualdimorphismus bei fossilen Fischen war, ist nicht leicht zu beantworten", erklärt der Paläontologe: "Es gibt Funde aus dem Libanon, da sehen wir bei zwei erwachsenen Exemplaren eine Verlängerung des ersten Strahls der Rückenflosse. Dieser findet sich auch bei heutigen männlichen Korallenfischen und dient dem Imponiergehabe. Auf diese Weise ziehen wir Analogien."

Grafische Darstellung von Fischfossilien
Hauptkomponentenanalyse der Gestaltkoordinaten von drei ausgestorbenen Fischgruppen mit ähnlichen Nahrungsanpassungen: "Man sieht, dass Pycnodontier einen anderen Morphospace einnehmen als die beiden anderen Gruppen. Dapediiformes und Ginglymodi konkurrierten also um ähnliche Nahrungsquellen, während Pycndontier eine etwas andere Nische besetzten und so Konkurrenz um Nahrungsquellen mit den anderen vermieden – das Geheimnis ihres Erfolgs", erklärt Jürgen Kriwet. © J. Kriwet

Erstellung einer Datenbank

Pycnodonte Fische bieten als Forschungsgegenstand einen entscheidenden Vorteil: Sie kommen extrem häufig vor, wodurch Jürgen Kriwet und John Joseph Cawley mehrere tausend Fossilien zur Verfügung stehen. Verstreut in Sammlungen auf der ganzen Welt eine zeitintensive Arbeit: "Man muss wochenlang in einem Kellerraum sitzen, versteinerte Fische anschauen, ihre Merkmale aufnehmen und sie abfotografieren", lacht Jürgen Kriwet. Um anderen PaläontologInnen zukünftig die Forschung zu erleichtern, wird im Rahmen des Projekts auch eine Datenbank erstellt.

Mit dem Projekt geht Jürgen Kriwet, der sonst vor allem fossile Haie und Rochen erforscht, zurück zu seinen eigenen Anfängen als Wissenschafter: In seiner Doktorarbeit hatte er sich bereits mit pycnodonten Fischen beschäftigt, wenn auch mit anderen Forschungsfragen. "Bei den Pycnodontier ist vieles immer noch unerforscht", erklärt der Paläontologe sein Interesse an den fossilen Fischen und ergänzt schmunzelnd: "Ich diskutiere seit Jahren mit einem spanischen Kollegen bei einem Bier über unsere Thesen. Ich hoffe, ihn mit den Ergebnissen aus dem neuen Projekt endlich zu überzeugen."

© Barbara Mair
© Barbara Mair
Jürgen Kriwet ist seit 2010 Professor für Paläobiologie Schwerpunkt Wirbeltierpaläontologie an der Fakultät für Geowissenschaften, Geographie und Astronomie. Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a. Anatomie und Evolution von Wirbeltieren, Ursprung und Entwicklung von Fischen sowie Biodiversität und Zoogeographie aquatischer Wirbeltiere.