Was bedeutet ein Recht auf Gesundheit?
Immer wieder hört man, Gesundheit sei ein Menschenrecht. Das stimmt zumindest in vielerlei Hinsicht. Tatsächlich ist das "Recht auf Gesundheitsversorgung" in vielen völkerrechtlichen Verträgen verankert, die auch Österreich unterzeichnet hat (siehe z.B. Factsheet der UNO zum Recht auf Gesundheit im Völkerrecht). Allerdings steht dieses Recht fast immer unter dem Vorbehalt verfügbarer Ressourcen, zudem ist die Durchsetzung internationaler Verpflichtungen durch einzelne Personen oft nicht möglich oder zumindest sehr schwierig.
In unserer Bundesverfassung sucht man ein explizites "Recht auf Gesundheitsversorgung" überhaupt vergeblich. Dennoch gibt es Bestimmungen in der Verfassung, die indirekt den Zugang zur Gesundheitsversorgung garantieren. Aus ihren Bestimmungen lassen sich – wie in fast allen Verfassungen Europas – einige Mindestgarantien ableiten: ein Recht auf Versorgung bei medizinischen Notfällen, eine ausreichende Überwachung von Gesundheitsdienstleistungsanbietern durch den Staat und, ganz wichtig als Ergebnis des sogenannten Gleichheitsgrundsatzes, ein Gebot der Verteilung der staatlichen Mittel im Gesundheitswesen nach sachlichen Kriterien – oder, anders gesagt: in fairer Weise. Als sachlich gilt insbesondere eine Verteilung nach rein medizinischen Kriterien, etwa der Dringlichkeit der benötigten Behandlung.
Kein Anspruch auf die weltbeste Versorgung
Wirklich entscheidend für den Einzelnen sind aber die rechtlichen Vorgaben "unterhalb" der Verfassung, insbesondere im Sozial(versicherungs)recht (Anspruch auf Krankenbehandlung im ASVG). Hier geht das österreichische Recht über die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen deutlich hinaus, indem fast alle in diesem Land lebenden Personen Anspruch auf eine "ausreichende, zweckmäßige und das Maß des Notwendigen nicht übersteigende" gesundheitliche Versorgung haben. Damit ist nicht – wie Gerichte schon klargestellt haben – ein Anspruch auf die weltbeste Versorgung, sondern auf eine, die nach dem Stand der Wissenschaft, der einem Gesundheitssystem wie dem österreichischen angemessen ist, gemeint (Entscheidung des Obersten Gerichtshof über grundsätzlichen Anspruch auf Behandlung nach dem Stand der Wissenschaft).
Ein konkreter Fall: Eine Herzoperation in Österreich ist auch dann zumutbar, wenn in einer amerikanischen Klinik eine ganz neue Operationsmethode verfügbar ist, die weniger belastend ist. Will man diese haben, muss man sie selbst zahlen. Das klingt eigentlich fair. Warum haben dennoch viele Menschen in Österreich das Gefühl, dass der Zugang zur gesundheitlichen Versorgung in Österreich in der Realität nicht so einfach möglich ist? Weil es trotz dieser rechtlichen Vorgaben tatsächlich Hürden gibt.
Zuviel regionale Macht tut dem Gesundheitswesen nicht gut – Gesundheit sollte keine politische Verhandlungsmasse im Föderalismus sein.Karl Stöger
Alltagshürden im österreichischen Gesundheitssystem
Viele Menschen haben die Erfahrung gemacht, dass man oft schneller zu einem Arzttermin kommt, wenn man die Rechnung selbst zahlt und sich dann einen Teil davon zurückerstatten lässt (Wahlarztpraxis) statt auf den nächsten freien Termin in der "aufzahlungsfreien" Kassenarztpraxis zu warten. Deutlich bedrohlicher war das Szenario, dem sich vor einigen Jahren einige Jugendliche mit der genetischen Erkrankung SMA (Spinale Muskelatrophie) gegenübersahen: Während gleichaltrige Leidensgenossen in einigen Bundesländern eine sehr teure Gentherapie erhielten, verweigerte die Krankenanstaltengesellschaft ihres Bundeslandes die Behandlung mangels medizinischer Erfolgsaussichten. Erst ein Verfahren unter Einbindung des Obersten Gerichtshofs führte dazu, dass ihr Anspruch auf diese Behandlung anerkannt wurde (Der Standard berichtete über eine erkämpfte Behandlung).
Im Zuge der letzten Gesundheitsreform wurde versucht, für solche Divergenzen bei Medikamenten eine österreichweit einheitliche Lösung zu finden: das "Bewertungsboard". Dieses soll Vorschläge für den einheitlichen Einsatz von teuren Medikamenten machen. Ob das funktioniert, bleibt abzuwarten. Kurz gesagt, Knappheit spürt man auch im österreichischen Gesundheitswesen. Wie lässt sich dieser Mangel an Ressourcen rechtlich angehen?
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Lösungsansätze: Was kann rechtlich getan werden?
Der öffentlich finanzierte Bereich (Kassenpraxen, große Spitäler) muss für medizinisches Personal attraktiver werden, was auch die Wartezeiten dort verkürzen würde – derzeit klagen viele dort tätige Personen darüber, dass ihnen auf Grund von Patientenzahlen und Bürokratie zu wenig Zeit für die einzelnen Patient*innen bleibt. Die Idee der Pflichtarbeitsdienste für Ärztinnen und Ärzte wird dieses Ziel nicht erreichen, und sie ist verfassungsrechtlich auch nicht umsetzbar. Pflichtarbeit ist nur in sehr engen Grenzen umsetzbar, und jedenfalls nicht umfassend für einen ganzen Berufszweig. Stipendienmodelle, wie sie in den letzten Monaten etabliert wurden, können ein Stück weit helfen, aber letztlich wird man Geld in die Hand nehmen müssen. Der Fachkräftemangel ist nicht auf das Gesundheitswesen beschränkt, aber dort ist er besonders schmerzhaft.
Aber wo soll man das Geld hernehmen? Eine Möglichkeit wäre eine Strukturreform. Unsere Verfassung sieht vor, dass im Gesundheitswesen eine große Anzahl von Akteuren mitreden dürfen – und müssen. Die Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherungen ist teuer und oft langsam. Wenn Wien ankündigt, dass es im Interesse der Wiener Patientinnen und Patienten weniger Burgenländer in seinen Spitälern behandeln möchte, und Burgenland kontert, dass Wien sich im Finanzausgleich dazu aber verpflichtet hat, so ist dieser Wunsch Wiens nachvollziehbar, aber "Recht" hat das Burgenland. Wenn es Probleme an der Schnittstelle Spital-Praxis gibt, so hat das oft auch mit der Finanzierung zu tun. Zuviel regionale Macht tut dem Gesundheitswesen nicht gut – Gesundheit sollte keine politische Verhandlungsmasse im Föderalismus sein. Entweder kommt eines Tages eine solche Reform, oder die Qualität des Gesundheitswesens wird weiter darunter leiden – derzeit sieht es nach Letzterem aus.
Veranstaltungstipps zur Zukunft der Gesundheitsversorgung
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15. Nov. 2024, 9:00-17:30 Uhr, Med.Uni Wien
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Finanzierung und Strukturreform im Gesundheitswesen
Und wenn das Geld weiter fehlt? Dann verbietet auch die Verfassung keine Beschränkung und Begrenzung von Leistungen (also das, was Politiker*innen niemals "Rationierung" nennen würden), vorausgesetzt sie erfolgt – wie oben schon erwähnt – nach sachlichen, also insbesondere medizinischen, Kriterien. Auch ein Grundrecht auf Gesundheit steht eben unter dem Vorbehalt der vorhandenen Mittel. Was aber nicht erfolgen darf, ist eine "stille" Rationierung – nur findet eine solche heute schon in Ansätzen statt (Wartezeiten, unterschiedliche Behandlungen je nach Einrichtung). Das ist rechtlich und ethisch der falsche Weg. Solche harten Entscheidungen müssen offen, rechtlich nachprüfbar und nach einer politischen Diskussion vor den Wähler*innen – die ja auch potenzielle Patient*innen sind – erfolgen. Verfassungsrechtlich zulässige Vorschläge für den Umgang mit Knappheit im Gesundheitswesen gibt es in der Medizinethik viele, aber es wird viel politischen Mut erfordern, dieses Thema anzusprechen.
Er leitet auch das Institut für Ethik und Recht in der Medizin, das als gemeinsame Einrichtung von Universität Wien und Medizinischer Universität Wien zu aktuellen Fragen der Medizin aus sozialwissenschaftlicher Sicht regelmäßig Veranstaltungen durchführt.
Dieser Artikel erschien im Rahmen der Kooperation zur Semesterfrage auch auf derStandard.at.