Materialien der Zukunft

Lithium zwischen grüner Revolution und grauer Realität

7. Dezember 2023 von Redaktion
Lithium ist ein Schlüsselrohstoff für "grüne" Technologien, doch seine Gewinnung wirft vor allem im Globalen Süden einen dunklen Schatten von Ausbeutung, Spekulation und Umweltzerstörung. Forschende des Instituts für Internationale Entwicklung der Universität Wien gewährten Rudolphina einen spannenden Einblick in das globale Lithium-Produktionsnetzwerk.
Anhand einer Rolltreppe als ein Sinnbild des ungleichen Tauschs im Extraktivismus veranschaulicht unsere Illustratorin Andreia Rocha die Widersprüche zwischen grünen Zielen im Globalen Norden und dem Preis, den der Globale Süden dafür zahlt. © Andreia Rocha

Rudolphina:  Was ist Lithium, und was ist die Geschichte dahinter?

Felix Dorn / Cornelia Staritz / Aleksandra Wojewska: Lithium ist ein Leichtmetall, das seit dem Zweiten Weltkrieg in einer Vielzahl industrieller Produktionsprozesse verwendet wird – von der Glas- und Keramikindustrie über die Klimatechnik bis zu medizinischen Therapien. Strategische Bedeutung erlangte Lithium erstmals durch den Einsatz in der Kernenergie. Ein globaler Nachfrageboom setzte aber erst mit der Entwicklung wiederaufladbarer Lithium-Ionen-Batterien ein.  

Durch ihr geringes Gewicht und die hohe Energiedichte fanden diese Batterien seit Ende der 1990er- Jahre eine rasche Verbreitung in Konsumgütern wie Mobiltelefonen, Notebooks oder Tablets, und seit Ende der 2000er-Jahre auch in grünen Technologien wie der Elektromobilität und im Bereich der erneuerbaren Energie. Die Technologie wurde bereits 1991 von Sony eingeführt, allerdings boomte der Sektor insbesondere in den vergangenen Jahren, mit einer beinahen Versechsfachung der Produktion von 2000 bis 2020. Lithium hat sich in sehr kurzer Zeit von einer Nischenchemikalie zu einem zentralen Rohstoff entwickelt, was auch durch Bezeichnungen wie ‚super-commodity‘, ‚white gold‘ oder ‚white oil‘ deutlich wird.

Rudolphina:  Wie hat dieses Material unsere Gesellschaft geprägt?

Dorn / Staritz / Wojewska: Lithium ist Teil einer Reihe von Rohstoffen, die für grüne Technologien und derzeitig verfolgte Nachhaltigkeitspolitiken besonders relevant sind. Mit Elektroautos and erneuerbarer Energie soll das Klima geschützt werden, aber dafür braucht es Zugang zu kritischen Rohstoffen wie Lithium. Im Rahmen von Nachhaltigkeitspolitiken versuchen demnach vor allem die USA, die EU und China, Zugang zu diesen Rohstoffen auf globaler Ebene sicherzustellen und auch die nationale Produktion zu fördern. Für die EU ist Lithium zum Beispiel auf der Liste der kritischen Rohstoffe (seit 2020, mit mittlerweile 33 anderen Materialien) und der 17 strategischen Rohstoffe.

Ein Großteil der derzeit bekannten globalen Lithium-Vorkommen befindet sich in Ländern des Globalen Südens, insbesondere im Drei-Länder-Eck zwischen Argentinien, Bolivien und Chile, aber auch in afrikanischen Ländern. Aktuell ist die Produktion noch stark geographisch konzentriert, wie in Abbildung 1 ersichtlich. So kamen 89 Prozent der Produktion im Jahr 2020 aus drei Ländern: Australien, Chile und China. Aber der Nachfrageboom und die vorhergesagte Angebotslücke führten zu vielen neuen Extraktionsprojekten und auch zu neuen Bergbau-Akteuren wie E-Autohersteller und Batterieproduzenten. Wie Abbildung 2 zeigt, werden zusätzlich zu den acht etablierten Produzentenländern aus Abbildung 1 weitere 16 Länder zu Lithiumproduzenten. Lithium lässt sich somit mit einer Reihe aktueller ökonomischer und geopolitischer Fragestellungen in Verbindung bringen.

Rudolphina:  Welche Auswirkungen hat dieser Nachfrageboom?

Dorn / Staritz / Wojewska: Dieser Boom führt seit 2017 zu steigenden Preisen (siehe Abbildung 3), aber auch zu Boom-Bust-Entwicklungen und erhöhter Volatilität. Das bedeutet, dass die Industrie Perioden mit einem raschen Anstieg, gefolgt von einem raschen Rückgang der Aktivitäten, Investitionen und Preisen erlebt. Dies wiederum hat Unsicherheiten und Instabilitäten vor allem in Produzentenländern zur Folge. Da ’Nachhaltigkeitstransformationen’ auf langfristig orientierten Strategien beruhen sollten, um ökologische und soziale Kosten zu minimieren, ergeben sich dadurch im Falle von Lithium auch zahlreiche Widersprüche. Neben Boom-Bust-Zyklen hat auch die Preisvolatilität zugenommen, das heißt Preisschwankungen eher kurzfristiger Natur (z.B. innerhalb einer Woche) und Verträge haben sich von langfristigen, jährlich fixierten Preisen zu wöchentlichen Benchmark-Preisen entwickelt, was Preisvolatilität direkt in den physischen Handel bringt.

Rudolphina:  Drei Worte, die dieses Material beschreiben?

Dorn / Staritz / Wojewska: Ambivalent/widersprüchlich, konfliktiv, umkämpft.

Rudolphina:  Was ist daran besonders konfliktbeladen und wo tun sich Widersprüche auf?

Dorn / Staritz / Wojewska: Bei der Lithium-Gewinnung führt die ungleiche Verteilung von ökonomischen Vorteilen (meist zugunsten transnationaler Unternehmen) und sozialen und ökologischen Risiken (zulasten der lokalen Bevölkerung) vielerorts zu Kämpfen um Land, Wasser und politischer Partizipation in Entscheidungsprozessen, von denen insbesondere indigene Gemeinschaften betroffen sind. Der Lithium-Bergbau ist somit sehr ambivalent/widersprüchlich und umkämpft, da der Rohstoff einerseits mit nachhaltigen Narrativen und einer grünen Mobilitäts- und Energiewende aufgeladen ist und andererseits ungleiche globale ausbeuterische Muster reproduziert und zu problematischen ökonomischen, sozialen und ökologischen Auswirkungen in Extraktionsregionen führt. Dies ist auch anhand der vielen Proteste im Kontext von Lithiumprojekten zu sehen, wie zuletzt in der argentinischen Provinz Jujuy. Auch im Globalen Norden wird Extraktion gefördert, was zu aktivem Widerstand der Bevölkerung führt, wie im Norden Portugals oder in Serbien. Ein Anstieg der Lithiumextraktion steht somit im Widerspruch zu sozial-ökologischen Zielsetzungen.

Entwicklungen im Lithiumsektor sind eng mit Dynamiken an globalen Finanzmärkten verbunden. Finanzakteure spielen vor allem eine Rolle bei der Frage, welche Lithiumprojekte realisiert werden, und wie und zu welchen Preisen Lithium gehandelt wird. Dies führt zu einer engen Verknüpfung von Nachhaltigkeit und Finanzen (dem sogenannten ‘finance-sustainability nexus’), wodurch die Spekulation, Instabilität und Kurzfristigkeit im Lithiumsektor zunimmt. 

Rudolphina:  Woran forschen Sie derzeit im Kontext mit Lithium?

Dorn / Staritz / Wojewska: Die Situationen in verschiedenen Lithium-Abbauregionen sind sehr dynamisch und komplex. Die betroffenen Abbaugebiete sind in globale Produktionsnetzwerke eingebettet, die von transnationalen Unternehmen gesteuert werden. Uns interessiert unter anderem, inwieweit durch die steigende Nachfrage z.B. lokale/regionale/nationale Akteure und Institutionen in Entscheidungsprozessen ermächtigt oder geschwächt werden und sich somit Machtbeziehungen in globalen Produktionsnetzwerken ändern. In dem Zusammenhang hinterfragen wir auch klassische Nord-Süd-Muster etwa in Bezug auf den Lithium-Boom und damit einhergehende Prozesse in Europa. Wir analysieren die Rolle von Staaten in Konsum- und Extraktionsregionen sowie die Strategien von Unternehmen und von Finanzakteuren, die maßgeblich zum Lithium-Boom sowie zu erhöhter Volatilität und Kurzfristigkeit beitragen, aber auch Strategien von indigenen Gruppen und zivilgesellschaftlichen Akteuren.

Rudolphina:  Welche Vision haben Sie für Ihre Forschung und die damit verbundenen Ziele?

Dorn / Staritz / Wojewska: Kritische sozialwissenschaftliche Entwicklungsforschung zum Thema Lithium soll Machtbeziehungen aufzeigen und hinterfragen und schwächere Akteure im Globalen Süden und Norden bestärken. Auch unsere Forschungsergebnisse haben zum Ziel, die Strategien von z.B. indigenen Gruppen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zu unterstützen. Wir kritisieren zudem bestehende Nachhaltigkeitspolitiken und Transformationen als sehr widersprüchlich und nicht ausreichend; vor allem im Globalen Norden braucht es einen geringeren Rohstoffverbrauch, faire Kooperation mit Abbauländern und eine Regulierung des Finanzsektors. Recycling kann auch eine Rolle spielen, den Lithiumverbrauch zu reduzieren, aber weitreichendere Veränderungen von Produktions- und Lebensweisen sind notwendig, um den Ressourcenverbrauch ausreichend und nachhaltig zu reduzieren.

Elektroauto-Batterien verlieren gegenwärtig nach fünf bis acht Jahren etwa 70 bis 80 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit. Diese abgenutzten Batterien stellen ein großes ökologisches und gesundheitliches Risiko dar. Schätzungen zufolge wurden im Jahr 2022 jedoch weltweit nur fünf Prozent aller Lithium-Ionen-Batterien recycelt. Die langsame Entwicklung der Recyclingkapazitäten hängt mit fehlenden Vorschriften sowie mit den - im Vergleich zum direkten Abbau - nach wie vor höheren Kosten für die Gewinnung zusammen. Regulierungen sind aber im Entstehen wie zum Beispiel in der EU mit der Verordnung über Batterien und Altbatterien (2023); wichtig ist dabei aber, dass Recycling-Quoten und andere Regeln verpflichtend und nicht freiwillig sind - was in dieser EU-Regulierung der Fall ist.

Hintergrund: Kritische Rohstoffe

Im März 2023 präsentierte die EU-Kommission die Europäische Verordnung zu kritischen Rohstoffen, wonach künftig mindestens zehn Prozent der strategisch besonders wichtigen Rohstoffe in der EU gefördert, 40 Prozent verarbeitet und 15 Prozent recycelt werden sollen.

Im November 2023 erzielten der Rat und das Europäische Parlament eine vorläufige Einigung zu der vorgeschlagenen Verordnung. Darin werden mehrere Elemente verstärkt, u.a. wird Aluminium in die Liste der strategisch wichtigen und kritischen Materialien aufgenommen und der Richtwert für das Recycling erhöht – von 15 auf nunmehr 25 Prozent.

Felix Dorn arbeitet als Universitätsassistent (Post-Doc) am Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien. Seine Promotion mit Fokus auf Politische Ökologie und das globale Lithium-Produktionsnetzwerk schloss er Anfang 2021 an der Universität Innsbruck ab. In seiner aktuellen Forschung beschäftigt er sich mit der politischen Ökonomie der Dekarbonisierung und der damit verbundenen Inwertsetzung von Klimawandel-Rohstoffen wie Lithium und Wasserstoff in Lateinamerika und Europa.
Cornelia Staritz ist assoziierte Professorin für Entwicklungsökonomie am Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien. Sie arbeitet zu den Themen internationaler Handel und globale Produktion, Arbeitsregulierung und -kämpfe in globalen Produktionsnetzwerken, Rohstoff-basierte Entwicklung und Finanzialisierung von Rohstoffmärkten. Ihre Forschung fokussiert auf industrielle Exportsektoren wie Bekleidung, agrarische Rohstoffe wie Baumwolle, Kaffee und Kakao sowie kritische Rohstoffe wie Kupfer, Kobalt und Lithium und deren umkämpfte Rolle in Transformationsprozessen.
Aleksandra Wojewska ist Doktorandin und sowi:doc Stipendiatin am Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien. In ihrer Dissertation befasst sie sich mit der Preisbildung in globalen Produktionsnetzwerken von Kobalt und Lithium und den damit verbundenen Auswirkungen auf Extraktionsregionen, mit einem geografischen Fokus auf Afrika. Sie hat einen MSc in Umwelt- und Ressourcenökonomie von der Universität Kopenhagen und einen MA (Hons) in Wirtschaftswissenschaften von der Universität Aberdeen.