Solare Energiewende

Wenn Forscher*innen Licht ernten

Der Traum von der künstlichen Photosynthese: Forschende der Uni Wien möchten die Energie der Sonne einfangen, in chemischen Verbindungen speichern und so die solare Energiewende vorantreiben. Wie das funktionieren kann und warum Computersimulationen dabei unentbehrlich sind.
Die Teams um Leticia González und Davide Bonifazi von der Uni Wien sind auf der Suche nach chemischen Verbindungen, die effizient Licht absorbieren – ein wichtiger Schritt bei der Entwicklung künstlicher Photosynthese. Das Bild zeigt Reagenzgläser mit verschiedenen Molekülen, die fluoreszieren. Photonen regen die Elektronen in diesen Molekülen an, wodurch sie Licht abgeben. Die Eigenschaften der Moleküle bestimmen die Farbe dieses Lichts. Das Reagenzglas in der Mitte enthält ein Kontrollmolekül, das nicht fluoresziert. © Alexander Bachmayer

Gelb, blau und pink leuchten die Flüssigkeiten in den kleinen Reagenzgläsern. Sorgfältig füllt Doktorand El Czar Galleposo mit der Pipette ein Gläschen nach dem anderen. Gleich testet der Chemiker, wie die im Labor erzeugten Moleküle auf Licht reagieren. Die Proben sind bereit, Galleposo dunkelt den Raum ab und schaltet eine Lampe ein. Strahlend blaues Licht flutet das Labor. Augenblicklich schlägt die Farbe der Flüssigkeiten um, die pinke Probe erstrahlt nun in kräftigem Orange. Für uns Besucher*innen ein beeindruckender Anblick und für Galleposo die Bestätigung: Die Synthese ist nach Wunsch verlaufen, die hergestellten Moleküle lassen sich tatsächlich durch Licht anregen und zum Fluoreszieren bringen.

Wir sind an der Fakultät für Chemie zu Gast, wo sich die Arbeitsgruppen von Leticia González vom Institut für Theoretische Chemie und Davide Bonifazi vom Institut für Organische Chemie über die Schulter schauen lassen. Die Forscher*innen verfolgen das gemeinsame Ziel, künstlich nachzubilden, was die Natur so selbstverständlich vormacht: das Gewinnen von Energie aus Sonnenlicht udn Speichern dieser Energie in chemischen Verbindungen. Um das zu erreichen, braucht es Materialien aus "Designer-Molekülen" mit ganz bestimmten Eigenschaften. Beispielsweise solche, die das Licht möglichst effizient absorbieren und so seine Energie nutzbar machen.

Ein "perfect match"

Mit Davide Bonifazi und Leticia González haben sich sozusagen die zwei Richtigen gefunden: Während González' Arbeitsgruppe Moleküle und ihre Eigenschaften am Computer simuliert, synthetisieren die Forscher*innen um Bonifazi diese Moleküle im Labor so, dass die vorhergesagten Eigenschaften auftreten.

Unser gemeinsamer Rundgang beginnt im BonifaziLAB – Davide Bonifazi stattet seine Kollegin Leticia González noch schnell mit einem Laborkittel aus, denn auch sie ist hier ein seltener Gast: Ihre Arbeit findet normalerweise vor dem Bildschirm statt. Genau so haben wir uns ein klassisches Chemielabor vorgestellt: Wir sehen Regale und Arbeitsflächen voller Glasgefäße, Schläuche, Metallstangen, Klemmen und Waagen. Die Glaswände mancher Abzugshauben sind vollgeschrieben mit chemischen Strukturformeln. In dem Raum herrscht geschäftige Betriebsamkeit: Der Masterstudent Jan Heckhausen holt ein Gefäß mit einer bräunlichen Flüssigkeit aus dem Abzug und legt es in ein vorgeheiztes Wasserbad. Währenddessen steht der Doktorand Davide Zanetti am Abzug und trennt eine knallgelbe Substanz von einer blauen ab. "Ich habe eine Säulenchromatografie durchgeführt, um meine Zielsubstanz aufzureinigen", erklärt der Nachwuchsforscher.

"Ich denke, dass wir in Zukunft viele organische Materialien haben werden, die selbst in der Lage sind, jene Energie zu produzieren, die wir für unsere Handys oder unsere Fahrzeuge benötigen, und das ganz einfach und nebenbei", beschreibt González die gemeinsame Vision, Solartechnologie zu etwas Alltäglichem zu machen und in unser aller Leben zu integrieren. 

Der Traum vom künstlichen Blatt

Die Frage nach der Zukunft der Energiegewinnung ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Und Chemie spielt dabei eine tragende Rolle. Wie ersetzen wir fossile Brennstoffe wie Kohle, Gas und Öl? Möglicherweise werden wir in Zukunft auf Wasserstoff, Methanol oder synthetische Kraftstoffe setzen, um unsere Fahrzeuge und Industrien anzutreiben. Doch für deren Bereitstellung braucht es viel Energie, die aus erneuerbaren Quellen kommen muss. Solarenergie ist einer der größten Hoffnungsträger. In nur einer Stunde strahlt die Sonne soviel Energie zur Erde, wie die Menschheit in einem Jahr verbraucht. Was, wenn man wenigstens einen Teil dieser unerschöpflichen Ressource anzapfen und direkt in chemische Energieträger umwandeln könnte?

Diesen raffinierten Trick beherrscht die Natur schon seit etwa 3,5 Milliarden Jahren – wir kennen ihn als Photosynthese. Das ist jener komplexe Prozess, der in den Blättern der Pflanzen die Energie des Sonnenlichts einfängt und dieses nutzt, um eingeatmetes CO2 in Zuckermoleküle umzuwandeln. Den Zucker nutzt die Pflanze dann als Brennstoff für ihr Wachstum und ihre Entwicklung. Pflanzen tun also nichts anderes, als die Sonnenenergie in chemische Energie umzuwandeln und bei Bedarf für ihre Zwecke zu nutzen.

Bild von Blättern eines Baumes von Licht durchschienen
In der Photosynthese wandeln Pflanzen Lichtenergie in chemische Energie um. Auf diese Weise machen sie die Energie der Sonne für den Aufbau von Kohlenhydraten nutzbar. Durchbrüche bei der künstlichen Photosynthese hätten revolutionäre Folgen: Analog zur Pflanze könnten wir Solarenergie in verschiedenste chemische Produkte umwandeln, als Energieträger oder als Rohstoffe für die chemische Industrie. © Kumiko Shimizu via Unsplash

Gelänge es, dieses geniale Prinzip aus der Natur auf die energiehungrigen Industrieprozesse des Menschen zu übertragen, sind die möglichen Anwendungen vielseitig und vielversprechend. "Es ist ein Szenario, von dem eigentlich die ganze Welt träumen sollte: billige Rohstoffe wie Wasser, Luft und Sonnenlicht nehmen und daraus speicherbare Energie und chemische Produkte gewinnen", so Leticia González. Beispielsweise ließe sich Wasser direkt in den Brennstoff Wasserstoff spalten, ohne als Zwischenprodukt elektrischen Strom zu brauchen. Oder man könnte CO2-Moleküle aus der Luft in nutzbare Kohlenwasserstoffe wie etwa Methanol – oder andere chemische Produkte auf Kohlenstoffbasis – umwandeln und diese als Treibstoff verwenden.

Vorbild Photosynthese

Photosynthese im Labor nachzubauen, ist den Forscher*innen zufolge "eine harte Nuss". Denn in der Pflanzenzelle laufen viele hintereinandergeschaltete Prozesse ab, alle perfekt aufeinander abgestimmt. Davide Bonifazi erklärt uns im Detail, was dabei in der Pflanze passiert:

Jede Zelle eines Blattes ist vollgepackt mit Chloroplasten. Das sind die Zellorganellen, wo sich die photosynthetische Action abspielt. Moleküle des grünen Pigments Chlorophyll fungieren hier wie Antennen, indem sie Photonen absorbieren. Sie regen Elektronen an, die wie in einem Staffellauf weitergegeben werden, bis ihre Energie in chemischen Bindungen gespeichert wird, die die Zelle nutzen kann.

In dem Prozess spielt ein Katalysator aus Mangan eine Rolle, der Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff spaltet, wodurch die Elektronen verfügbar gemacht werden. Ein Katalysator ist ein Stoff, der chemische Reaktionen beschleunigt. Geschieht dies nur unter Lichteinfluss, wird er Photokatalysator genannt.

Der "heilige Gral" sei es nun, effiziente Photokatalysatoren für ein "künstliches Blatt" zu finden. Doch damit nicht genug: "Mit dem besten Photokatalysator können wir nichts anfangen, wenn wir das Licht nicht effizient ernten", stellt González klar. Es braucht also auch gute Antennen für die Lichternte. Antennen und Photokatalysator so aufeinander abzustimmen, dass der Gesamtprozess funktioniert, ist die Herausforderung, der sich die Spitzenforscher*innen González und Bonifazi stellen.
 

"Lego-Bauen" mit Molekülen: Kreativität und Zusammenarbeit sind der Schlüssel

"Was wir erzeugen wollen, ist im Prinzip ein künstliches Blatt, also ein System, das die Lichtenergie erntet und direkt verfügbar macht, für den Aufbau aller möglichen Chemikalien", erklärt González. Was die Forscher*innen dafür brauchen, sind die chemischen Bausteine, die genau das leisten können.

Dieser Herausforderung nehmen sich die Forscher*innen im Teamwork an. Damit wir uns das konkret vorstellen können, ziehen die beiden Skizzen von chemischen Strukturformeln hervor. Zu sehen ist eine Reihe potenziell geeigneter Moleküle. Jedes Molekül weicht in einem Detail von den anderen ab, und jede dieser Variationen kann seine Eigenschaften verändern. Bei komplexeren Verbindungen sind fast unendlich viele Konfigurationen möglich.

Bonifazis Gruppe versucht, die besten Kandidaten zu identifizieren und im Labor zu testen. Doch auf gut Glück zu agieren wäre viel zu langwierig und teuer. Hier kommt der Input von González, der Theoretikerin, ins Spiel: Anhand von Computersimulationen kann ihr Team die Eigenschaften von Molekülkandidaten vorhersagen und so die vielversprechendsten der vielen theoretisch möglichen Kombinationen herausfiltern. "Wir versuchen, die Kandidaten mit den besten Eigenschaften ausfindig zu machen. Davides Team synthetisiert diese im Labor und testet, ob sie die erhofften Eigenschaften tatsächlich haben", erklärt González.

Besonders wichtig sind diese Vorhersagen aus dem Computer, wenn es noch komplizierter wird: Wenn viele Moleküle gemeinsam zu einem neuen Material zusammenkommen, das eine bestimmte Funktion erfüllen soll. "Es ist wie beim Bauen eines Lego-Hauses", sagt Bonifazi, "die einzelnen Bauteile allein haben keine Funktion, aber man muss wissen, wie sie sich im Gesamtgefüge verhalten, um die Eigenschaften des Endprodukts verstehen zu können." Die beiden Forschungsgruppen tüfteln also gemeinsam an den Bauteilen, die theoretisch infrage kommen. Wobei: "Das perfekte Molekül gibt es nicht", betont González. Vielmehr gehe es darum, Moleküle für bestimmte Funktionen zu optimieren. 

Die Computersimulationen ermöglichen es, auch "unorthodoxe" Ideen durchzuspielen. "Davide sagt manchmal: 'Ihr könnt ruhig sehr kreativ sein, was die möglichen Kandidaten betrifft'", schmunzelt González. "Diese Kreativität und diese Suche nach neuen Herangehens- und Denkweisen sind ganz fundamental, wenn es in der Forschung darum geht, komplexe Probleme zu lösen."

Exzellenzcluster MECS: Forschen an den Energiespeichern von morgen

Im Zeitalter der erneuerbaren Energie ist die Frage der Energiespeicherung eine ganz zentrale. Denn nachhaltige Energiequellen wie Sonne und Wind haben einen Makel: Sie sind nicht rund um die Uhr verfügbar. Es braucht also einen Zwischenspeicher für nachts oder wenn kein Wind weht. Dieser Herausforderung stellen sich die Forscher*innen des Exzellenzclusters "Materials for Energy Conversion and Storage" (MECS), dem seitens der Universität Wien neben Leticia González und Davide Bonifazi (Fakultät für Chemie) auch Jani Kotakoski und Georg Kresse (Fakultät für Physik) und ihre Teams angehören (mehr Infos zur Forschung von Jani Kotakoski im Podcast und zur Forschung von Georg Kresse im Interview).

Die Wissenschafter*innen des MECS bündeln ihre multidisziplinäre Forschungspower, um Materialien zu entwickeln, die Energie erzeugen und in Form von chemischen Verbindungen speichern. "Der Forschungscluster wird eine fantastische Möglichkeit bieten, in größerem Ausmaß an ambitionierten Projekten zusammenzuarbeiten. Es ist sehr wichtig, solche Exzellenzcluster in Österreich zu haben", freut sich González. Und Bonifazi betont, wie wichtig der regelmäßige Austausch mit anderen Wissenschafter*innen sei: "Es ist ganz essentiell, sich den Ideen anderer auszusetzen. Von Konferenzen komme ich immer mit Dutzenden neuen Ideen zurück."

Gateway zum Supercomputer

Nur wenige Minuten Fußweg von Bonifazis Labor entfernt, in der Währingerstraße 17, haben Leticia González und ihr Team ihre Büros. Für ihre Forschung brauchen die theoretischen Chemiker*innen keine Labors, ihre Arbeit findet am Computer statt. Anstelle von Reagenzgläsern und Bunsenbrennern stapeln sich hier Bücher, Ordner und Papiere. 

Über ihre Laptops und PCs verbinden sich die Wissenschafter*innen von hier aus mit ihren Servern, die im Wiener Arsenal stehen. Neben eigener, maßgeschneiderter Hardware, die für die Berechnungen der Arbeitsgruppe speziell konfiguriert und angeschafft werden, wird auch der Vienna Scientific Cluster verwendet – ein Supercomputer, den die Uni Wien gemeinsam mit anderen österreichischen Universitäten für besonders rechenintensive Projekte betreibt.

Sowohl die eigenen Computern als auch den Supercomputer teilen sich die Wissenschafter*innen mit anderen Forschenden, was dazu führen kann, dass manchmal Stunden oder Tage vergehen, bis die eigenen Simulationen starten. Auf dem Vienna Scientific Cluster dürfen Berechnungen maximal 72 Stunden laufen; die eigene Hardware wird insbesondere für Simulationen eingesetzt, die sich über mehrere Monate hinziehen. "Da kann man nur hoffen, dass es keine größeren Probleme mit der Hardware gibt, sonst heißt es: wieder von vorne anfangen", meint González augenzwinkernd.

Porträt von Leticia Gonzalez am Vienna Scientific Cluster
Leticia González am Vienna Scientific Cluster 5, einem Supercomputer, der für die Arbeit von theoretischen Physiker*innen und Chemiker*innen unerlässlich ist. Der VSC5 ist der leistungsstärkste Supercomputer Österreichs. Er hat rund 99.000 Rechenkerne und kann Billionen von Rechenoperationen pro Sekunde ausführen. © Alexander Bachmayer

Diese langwierigen Berechnungen geben den Forscher*innen Aufschluss darüber, wie die Moleküle reagieren, wenn Licht auf sie einstrahlt. "Als Ergebnis können wir simulieren, wie die Moleküle vom Licht angeregt geradezu tanzen", erzählt González begeistert. Spezielle Computerprogramme wandeln die Daten, die die Moleküle beschreiben, in dreidimensionale, bunte Illustrationen um, die wie ein Film einen zeitlichen Ablauf zeigen. Und dann beginnt der nächste Loop, und die Vorschläge gehen zum Synthetisieren und Testen ins Labor zu Bonifazi & Co.

Optimistisch bleiben und Lösungen finden: Die goldene Ära der Chemie

"Chemie muss Lösungen finden", bringt González ihre persönliche Motivation auf den Punkt, denn die Uhr tickt. Die Ära der Solartechnologie voranzubringen, sehen die beiden Forscher*innen als "eine fantastische Gelegenheit, der Gesellschaft etwas zurückzugeben", denn: "Als Wissenschafter*innen müssen wir optimistisch bleiben, nur so kommen wir weiter und können neue Fragen beantworten", ist González überzeugt. 

Ob es nun darum geht, Polymere zu recyclen und wieder in ihre Grundbestandteile zu zerlegen oder das Ziel, durch intelligente chemische Syntheseverfahren das Freisetzen von CO2 in die Atmosphäre zu verhindern: Chemie spielt dabei definitiv eine Schlüsselrolle. "Das wird das goldene Zeitalter der Chemie", stellt Bonifazi fest. 

Damit diese Visionen Realität werden, stecken die beiden Forschungsgruppen weiterhin die Köpfe zusammen. So überrascht es auch nicht, dass Bonifazi am Ende unseres Besuchs seine Kollegin mit den doch etwas ungewöhnlichen Worten verabschiedet: "Until the next problem, Leticia!"

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Leticia González ist seit 2011 Universitätsprofessorin für Theoretische Chemie an der Universität Wien, wo sie die Gonzalez Research Group leitet. Die gebürtige Spanierin ist Mitglied im Board of Directors des neuen Exzellenzclusters Materials for Energy Conversion and Storage. Aktuell forschen sie und ihr Team insbesondere zum Thema künstliche Photosynthese als Energiequelle der Zukunft.

Leticia González ist Mitglied im Forschungsverbund Umwelt und Klima der Universität Wien.

© Barbara Mair
© Barbara Mair
Davide Bonifazi ist nach Karrierestationen in Italien, Belgien und Großbritannien seit 2020 Professor für Organische Chemie an der Universität Wien. Er und sein Team forschen an synthetischer organischer Chemie zur Entwicklung supramolekularer Architekturen für verschiedene Anwendungen. Seine Forschungsgruppe ist Mitglied des neuen Exzellenzclusters Materials for Energy Conversion and Storage.