Siliziumdioxid: Vom Feuerstein zur Insulin-Tablette
Rudolphina: Herr Kleitz, Siliziumdioxid ist ein Material, das die Menschheit schon seit Jahrtausenden begleitet. In welchen Bereichen wurde und wird es verwendet?
Freddy Kleitz: Es ist belegt, dass Silika – feuerfester keramischer Baustoff bestehend aus Siliziumdioxid – schon in prähistorischer Zeit in Verwendung war: in Form von Feuersteinen. Mit ihnen wurde nicht nur Feuer gemacht, sie eigneten sich durch ihre Härte und Scharfkantigkeit auch gut zur Herstellung von Waffen und Werkzeugen, aber auch von Schmuck. Ab 1.500 v. Chr. kam Siliziumdioxid als Hauptbestandteil bei der Herstellung von Glas zum Einsatz. Die Römer wiederum mischten Kalk mit Silikaten, um eine betonähnliche Substanz zu erhalten, und errichteten damit beispielsweise ihre Aquädukte, das Pantheon und das Kolosseum. Bis heute wird Siliziumdioxid in Kombination mit Kalzium- und Aluminiumoxiden zu Zement verarbeitet. In der jüngeren Geschichte wurden Silika verwendet, um elementares Silizium (Si) herzustellen, das als Halbleiter-Material nicht mehr aus der Mikroelektronik und Photovoltaik wegzudenken ist.
Rudolphina: Wo ist überall Siliziumdioxid "drin"?
Kleitz: Es gibt eine Vielzahl an Synthese-Möglichkeiten, um silikabasierte Materialien (SiO2) in den verschiedensten Formen und Strukturen herzustellen. Zum Beispiel werden synthetisch hergestellte, hochporöse Silika-Gel Pulver als Adsorptionsmittel, Trocknungsmittel und Trägermaterial für wichtige Industrie-Katalysatoren verwendet. Sie finden als Silika-Partikel Anwendung in Zahnpasten, als Gleitmittel und Trägerstoff in pharmazeutischen Produkten und Tabletten oder auch in Nahrungsmitteln, wo sie als Rieselhilfe (E551) zugesetzt werden. Silikabasierte Materialien sind außerdem Bestandteil von Baumaterialien, Glas, optischen Fasern, Elektronik und Solaranlagen.
Nanoporöses Siliziumdioxid
Nanoporöses Silika besteht chemisch gesehen aus Siliziumdioxid (SiO2), eine anorganische Verbindung, die aus den beiden Elementen Silizium und Sauerstoff besteht und der Hauptbestandteil von Sand, Steinen und vielen anderen Materialien ist. Es liegt in der Natur entweder als reiner kristalliner Quarz (Bergkristall) oder als Silikat in Kombination mit anderen Elementen vor.
Rudolphina: Sie selbst forschen zu nanoporösem Siliziumdioxid. Was ist hier die Besonderheit?
Kleitz:
Der Durchmesser von Nanoporen beträgt weniger als 100 Nanometer. Zum Vergleich: Haare sind 1.000-mal dicker als eine Nanopore! Das führt dazu, dass diese Materialien außerordentlich hohe Oberflächen und große Porenvolumina besitzen, was sie zu hervorragenden Absorbentien macht und die Möglichkeit bietet, sie mit großen Mengen an Substanzen zu beladen. Synthetisches nanoporöses Silika, zu dem beispielsweise Silika-Gel, pyrogenes Silika und Aerogele gehören, wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert entwickelt. In den frühen 2000er Jahren wurden dann nanoporöse Silika-Nanopartikel entwickelt. Das heißt, dass sich sowohl die Partikelgröße als auch die Porengröße im Nanometer-Bereich befindet.
In meiner Arbeitsgruppe beschäftigen wir uns mit dem Design von derartigen Nanopartikeln und verfolgen das Ziel, diese in der Medizin als intelligente "Nanocarrier" für den gezielten Medikamenten-Transport im Körper zu verwenden. Durch die lokalisierte Freisetzung der Medikamente am Wirkungsort könnten nämlich die Nebenwirkungen und die benötigten Wirkstoff-Dosen deutlich verringert werden!
Rudolphina: Wie hat nanoporöses Siliziumdioxid unsere Gesellschaft geprägt?
Kleitz:
Nanoporöses Siliziumdioxid ein wichtiges Material, das in der pharmazeutischen und chemischen Industrie in großem Umfang verwendet wird und daher in den letzten Jahrzehnten viel zur Verbesserung der Gesundheit und des globalen Wohlstands beigetragen hat. Nanoporöse Siliziumdioxid Nanopartikel dagegen sind eine neuere Innovation, und die vielseitigen Produkte, die darauf basieren, nähern sich nur langsam der Marktreife. Denn die klinische Erprobung dieser Partikel als "Nanocarrier" für den zielgerichteten Medikamenten- und Wirkstofftransport hat gerade erst begonnen.
Dennoch haben medizinische Produkte auf der Grundlage von Nanopartikeln bereits ihren Weg in verschiedene klinische Anwendungen gefunden. Dass Nanopartikel wichtige Aufgaben in der Medizin übernehmen können, haben sie schon bewiesen, denn mittlerweile gibt es bereits mehr als 30 zugelassene Nanoformulierungen, und einige weitere befinden sich derzeit in klinischen Studien.
Rudolphina: Drei Worte, die dieses Material beschreiben?
Kleitz: Hoch porös – biokompatibel – funktionell.
Rudolphina: Was ist die "Superpower" von nanoporösem Siliziumdioxid?
Kleitz: Mesoporöse Silika Nanopartikel - Mesoporen sind Nanoporen mit einer Größe spezifisch zwischen zwei und 50 nm - können eingesetzt werden, um therapeutische Wirkstoffe in hoher Konzentration zu transportieren und sie so an die richtige Stelle im Körper bringen. Das ermöglicht, geringere Mengen der meist sehr teuren Medikamente einzusetzen und senkt dadurch auch die zu erwarteten Nebenwirkungen einer Behandlung.
Rudolphina: Gibt es eine problematische Seite von nanoporösem Siliziumdioxid?
Kleitz: Heute stehen wir vor dem Problem, dass die Herstellung von Silika Nanopartikeln noch deutlich effizienter und kostengünstiger werden muss. Es ist nicht immer einfach, ein im Labor in kleinen Mengen hergestelltes Material auf die industrielle Produktion hoch zu skalieren, dabei kann es auch passieren, dass die Produktionsmethode geändert werden muss. Dies erfordert also die Entwicklung zuverlässiger Scale-up-Methoden und die Synthese reproduzierbarer Siliziumdioxid-Nanopartikel mit minimalen Schwankungen. Auch das ist, unter anderem, Teil unserer aktuellen Forschung.
Serie: Wissenschafter*innen präsentieren "Materialien der Zukunft"
In dieser Serie stellen Wissenschafter*innen der Uni Wien jeweils ein "Material der Zukunft" vor: das neu und vielversprechend ist oder unsere Gesellschaft in der Vergangenheit besonders geprägt hat. Nächste Woche spricht Bernhard Palme vom Institut für Alte Geschichte und Altertumskunde, Papyrologie und Epigraphik über Papyrus, das bis in das 10. Jahrhundert n. Chr. das beherrschende Beschreibmaterial der Mittelmeerwelt und des Nahen Ostens war. Insgesamt gibt es weltweit etwa eine Million erhaltener Papyri, die rund 4.000 Jahre Kulturgeschichte enthalten. Zur Serie
Rudolphina: Wo gibt dieses Material in der Forschung noch Rätsel auf?
Kleitz: Gerade wenn es um die Wechselwirkungen mit Barrierekomponenten im Körper geht, müssen im Hinblick auf die klinische Anwendung beim Menschen viele Systeme untersucht werden. Konkrete Beispiele von solchen Barrieren sind das Epithel, das den Darm vom Blutstrom trennt, oder die Blut-Hirn-Schranke, die das zentrale Nervensystem schützt. Hier müssen wir herausfinden, ob einige dieser Partikel in der Lage sind, diese Barrieren selektiv zu überwinden und in weiterer Folge die Medikamente hindurch zu transportieren. Darüber hinaus müssen die Sicherheit bei chronischer Exposition und die langfristigen toxikologischen Profile bei verschiedenen Verabreichungswegen ermittelt werden.
Rudolphina: Womit beschäftigen Sie sich aktuell in Bezug auf nanoporöses Siliziumdioxid?
Kleitz:
Wir möchten effizientere Nanoträger entwickeln, damit sich empfindliche Arzneimittel wie Peptidpräparaten und Biopharmazeutika auch oral verabreichen lassen, was mit klassischen Materialien nur schwer möglich ist. Hier arbeiten wir derzeit beispielsweise an der Entwicklung einer Insulin-Tablette. Es gibt aber auch viele andere Kandidaten, die ein verbessertes orales Verabreichungssystem benötigen.
Derzeit interessiert uns insbesondere auch das Zusammenspiel verschiedener Nanopartikel mit den Komponenten der Epithelbarriere sowie mit dem Darmmikrobiom. Da arbeiten wir aktuell an der Entwicklung eines "Nanocarriers", mit dem wir selektiv bestimmte Bakterienstämme im Darm ansteuern können.
Rudolphina: Was wäre ein Durchbruch für Ihre Forschung?
Kleitz: Die Blut-Hirn-Schranke ist eine neuroprotektive Barriere, die das Zentralnervensystem (ZNS) vom Blutkreislauf trennt und dadurch schützt, z.B. vor Krankheitserregern. Diese Schranke verhindert jedoch auch, dass therapeutische Wirkstoffe dorthin gelangen, was u. a. die Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer, Demenz und Parkinson behindert. Die Entwicklung von Materialien, die die Blut-Hirn-Schranke effizient überwinden können, um therapeutische Wirkstoffe selektiv und in der erforderlichen Konzentration ins Gehirn zu bringen, ist also eine Art heiliger Gral auf diesem Gebiet, den wir natürlich gerne finden möchten.
Er promovierte 2002 in Chemie am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung und an der Ruhr-Universität Bochum in Deutschland. In den Jahren 2002-2003 war er als Postdoktorand im KAIST in Südkorea tätig. Im Jahr 2005 wechselte er an den Fachbereich Chemie der Université Laval in Kanada, wo er das "Canada Research Chair" für funktionelle nanostrukturierte Materialien erhielt. Im Jahr 2014 wurde er dann zum ordentlichen Professor befördert. Seine Forschung konzentriert sich auf die Entwicklung funktioneller nanoporöser anorganischer und organisch-anorganischer Hybridmaterialien und deren Anwendung als selektive Sorptionsmittel, heterogene Katalysatoren und biomedizinische Materialien.