Corona-Forschung: Die Inhalation von Naturstoffen
Salbeitee gegen Halsschmerzen, Heidelbeertee bei Durchfall, Baldrian zur Beruhigung – seit Jahrhunderten ist die Wirksamkeit von Kräutern und Pflanzen unbestritten. Doch nicht nur in der Hausapotheke finden sie Platz, die Erforschung von Naturstoffen bildet eine wichtige Basis in der Medikamentenherstellung. Allerdings ist der Weg bis zum fertigen Medikament ein langwieriger Prozess, der seinen Anfang in der Grundlagenforschung hat.
Die Suche nach dem richtigen Wirkstoff
Gemeinsam mit Judith M. Rollinger vom Department für Pharmazeutische Wissenschaften hat die Pharmakognostin Ulrike Grienke an der Universität Wien eine Datenbank von rund 160 Extrakten aus Naturstoffgemischen angelegt – basierend auf Erkenntnissen der traditionellen Medizin bzw. aus ethnopharmakologischen Quellen. Diese Extrakte wurden dann auf ihre Wirksamkeit untersucht, mit Fokus auf Coronaviren: "Die Evaluierung von Bioaktivitäten haben wir zusätzlich mit computerbasierten Methoden gekoppelt, um zu sehen inwieweit die Wirkstoffe in die Bindetasche des Enzyms passen, das für die Ausbreitung des Virus verantwortlich ist. Passen die Moleküle eines Naturstoffes hinein, ist das ein wichtiger Hinweis zu seiner Wirksamkeit ", erklärt Ulrike Grienke die Basis ihrer Forschung.
Das antivirale und antibakterielle Potenzial des weißen Maulbeerbaums
Besonders vielversprechend zur Behandlung respiratorischer Erkrankungen, zu denen auch Covid-19 zählt, erwies sich dabei die Wurzelrinde des weißen Maulbeerbaums. "Der nächste Schritt erfolgte dann in-vitro im Labor, um zu schauen, ob Körperzellen mit einem Extrakt des Maulbeerbaums vor einem Virenbefall geschützt werden können. Die Ergebnisse waren sehr positiv: Die Substanzen aus unserem Extrakt haben Aktivität gegen Influenzaviren gezeigt, gegen Coronaviren und interessanterweise auch gegen Bakterien. Das heißt, wir haben hier sowohl eine antibakterielle als auch eine antivirale Wirkung", sagt Grienke: "Das Problem ist, dass die Wirkstoffe bei oraler Einnahme nicht an ihr Ziel – die Lunge – gelangen bzw. dort nicht verweilen. Deshalb schauen wir uns im aktuellen Projekt an, ob unser Spezialextrakt dann am richtigen Ort ankommt, also dort, wo der Befall bzw. die Infektion stattfindet, wenn man es inhaliert."
Barrieren im Körper überwinden
Hier kommt die Pharmazeutin Lea Ann Dailey ins Spiel: Die Expertin für die Inhalation von Wirkstoffen beschäftigt sich in ihrer Forschung damit, wie Wirkstoffe am besten zu ihrem "Zielort" im Körper kommen, ohne an Wirksamkeit zu verlieren. "Aktuell erforschen wir die chemischen und physikalischen Eigenschaften der Wirkstoffe des weißen Maulbeerbaums, um sie gezielt für eine Inhalation vorbereiten zu können", erklärt Dailey: "Dann schauen wir anhand von Modellen, ob diese Wirkstoffe überhaupt in der Lage sind die unterschiedlichen Barrieren, wie z.B. Zellwände, bis zum Wirkort, also in unserem Fall die Lunge, zu passieren."
Mit unserer Forschung möchten wir bereits einen Schritt näher an die Produktentwicklung kommen.Lea Ann Dailey
"Die Dosis macht das Gift"
Da in dieser Phase noch nicht an Tier und Mensch geforscht werden kann, arbeitet Lea Ann Dailey mit einem speziellen Gerät, einer Art "künstlichen Lunge", die der menschlichen Lunge nachgebaut ist: "Durch den besonderen Aufbau wird die Luft durch das Gerät geleitet – und so das Einatmen bis in die Lunge simuliert", erklärt die Pharmazeutin: "Der Luftzug trägt die Aerosole bis dorthin, wo sie dann andocken sollen – das ist genau das was in unserer Lunge passiert. Wir messen dann die Konzentration der Wirkstoffe in den jeweiligen Stufen und daraus können wir berechnen, wie weit sie in die Lunge eindringen und welche Konzentration sie an welchem Punkt aufweisen."
Das Um und Auf bei der Wirkung eines Medikaments ist der Transport einer ausreichenden Dosis hin zu jenem Ort, an dem sich die Viren bzw. die Bakterien im Körper aufhalten und Schaden anrichten. "Wenn die Konzentration der Wirkstoffe zu niedrig ist oder zu schnell absinkt, können sich die Mikroben daran gewöhnen, die Wirkungskraft lässt nach und resistente Keime sind die Folge. Daher ist es gerade bei Behandlungen von Infektionen äußerst wichtig, hohe Mengen an den Wirkort zu schleusen", so Dailey.
Das ist der Vorteil von Grundlagenforschung, dass man Daten generiert, aber wenn dabei nichts rauskommt, dann ist es auch etwas wert.Ulrike Grienke
Durchlässige Lunge
Die große Herausforderung bei der Suche nach der "richtigen" Menge der Wirkstoffe des weißen Maulbeerbaums in die Lunge liegt am Organ Lunge selbst. Das Atmungsorgan ist für viele Stoffe extrem durchlässig. "Von daher ist wirklich diese Zurückhaltung, also das Verweilen der Wirkstoffe in der Lunge herausfordernd", so die Pharmazeutin. Und es ist ja nicht ein einzelner Wirkstoff, der die antiviralen und antibakteriellen Eigenschaften besitzt, sondern eben ein Wirkstoffgemisch aus mindestens fünf Hauptkomponenten, die sehr wahrscheinlich überhaupt erst durch ihre Synergie die Wirkung entfalten. "Es sollen natürlich alle Stoffe gleichzeitig lange in der Lunge bleiben. Wenn aber eine Komponente schneller aus der Lunge heraustritt als andere, dann haben wir nicht mehr diesen sogenannten additiven Effekt, also dass die Wirkung der Mischung größer ist als die Summe der einzelnen Inhaltsstoffe."
Die Coronaviren scheinen keine Probleme mit den Barrieren im menschlichen Körper zu haben, sie können auch tief in die Lunge vordringen, dort verweilen und das Lungengewebe angreifen. "Wir wissen aus Studien, dass die Krankheit schwerwiegender verläuft, wenn der Virus tiefer in die Lunge eingedrungen ist. Daher möchten wir den Wirkstoff wirklich tief in die Lunge hinein befördern – und, was noch wichtiger ist, dort auch halten können", fasst Lea Ann Dailey ihr Forschungsziel zusammen und fügt abschließend hinzu: "Für viele Erkrankungen gibt es immer noch wenige Therapeutika, besonders gegen virale Erkrankungen wie Covid-19. Wir brauchen dringend neue antivirale Substanzen, die den Krankheitsverlauf lindern oder verkürzen können."