Biodiversitätsforschung

Invasion der parasitären Pilze

21. September 2023 von Hanna Möller
Vom Eschentriebsterben bis zur Krebspest: Vom Menschen verschleppte Pilze können große Schäden in unseren Ökosystemen anrichten. Biodiversitätsforscher*innen Anna Schertler und Franz Essl erforschen die biologische Invasion von parasitären Pilzen, um ihre Verbreitungswege in Zukunft besser abschätzen zu können.

Herbstzeit ist Schwammerlzeit. Wonach wir beim Schwammerlsuchen meist Ausschau halten, nämlich dem Fruchtkörper mit Hut und Stiel, ist aber nur ein kleiner Teil des eigentlichen Pilzes. Der weitaus größere verbirgt sich unter unseren Füßen, wo seine fadenartigen Zellen (Hyphen) ein unterirdisches Netzwerk spannen, das – wie bei einem Exemplar des Dunklen Hallimaschs (Armillaria ostoyae) im Schweizerischen Nationalpark – sogar mehrere Hektar umfassen kann.

Neben den typischen Schwammerln gibt es aber auch eine Vielzahl von sogenannten Kleinpilzen, die oft ein verstecktes Dasein führen. Pilze sind vielgestaltig in ihrer Erscheinungsform und können nicht nur Boden oder Totholz, sondern verschiedenste Substrate oder andere Lebewesen besiedeln. Daneben übernehmen sie diverse ökologische Rollen: Während Saprobionten totes organisches Material verwerten und damit eine wichtige Rolle im Stoffkreislauf spielen, gehen einige Pilzarten enge Wechselbeziehungen mit anderen Lebewesen ein (Symbionten). Pilz ist also nicht gleich Pilz, wissen Anna Schertler und Franz Essl vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien, die sich gemeinsam die Verbreitung von eingeschleppten Pilzen weltweit anschauen und ihre Rolle im Ökosystem untersuchen.

Good Pilz, Bad Pilz

Während bei der Schwammerlsuche vor allem interessant ist, ob das Fundstück essbar ist, zählen im Ökosystem andere Eigenschaften. Auch unter den symbiontischen Pilzen gibt es die "Guten" und die "Bösen".  Zu jenen, die mit anderen Lebewesen in einer win-win-Beziehung leben (Mutualisten), gehören etwa die Mykorrhizapilze, wie der Fliegenpilz (Amanita muscaria) oder der Steinpilz (Boletus edulis), die am Wurzelsystem von Pflanzen andocken. Sie lösen Nährstoffe aus dem Boden, die für den Wirt andernfalls nicht verfügbar wären und werden im Gegenzug dazu von der Pflanze mit wertvollem Zucker aus der Photosynthese versorgt.

Doch nicht immer ist der Deal von beiderseitigem Vorteil: Parasitische Pilze infizieren gezielt das Gewebe von Pflanzen, Tieren und sogar anderen Pilzen, und ernähren sich von ihrem Wirt, was diesen schwächt und zu erheblichen Krankheitserscheinungen führen kann. In diesem Fall spricht man von pathogenen Pilzen. Die Schmarotzer sind aber nicht per se schlecht: "In vielen Fällen regulieren sie die Bestände und halten Arten im Gleichgewicht, was wiederum die Artenvielfalt fördert", erläutert Anna Schertler, Doktorandin im Projekt.

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Wissenschafter des Jahres
Der Biodiversitätsforscher Franz Essl von der Universität Wien ist Österreichs Wissenschafter des Jahres 2022. Die Auszeichnung würdigt vor allem die Fähigkeit von Forscher*innen, wissenschaftliche Inhalte verständlich zu vermitteln. Wie das bei den akuten Themen Klimakrise und Artensterben funktionieren kann, erzählt der Biologe im Interview.

Weitreichende Schäden durch eingeschleppte Parasiten

Pilze verbreiten sich durch winzige Sporen in Luft und Boden – aber zunehmend auch mithilfe menschlicher Aktivitäten: als blinde Passagiere in ihrem Wirt, aber auch an Kleidung oder dem Urlaubssouvenir haftend. Der in den letzten Jahrzehnten stark gewachsene Reiseverkehr und internationale Handel, etwa von Pflanzen, Getreide oder Lebendtieren, hat das Verbreitungsgebiet von pathogenen Pilzen stark vergrößert. Wurden vor 20 Jahren noch etwa 60 eingeschleppte pathogene Pilzarten für Österreich beschrieben, sind heute schon über 300 bekannt – "das ist ein extremer Anstieg", so der Ökologe Franz Essl. Wenn Pilze durch den Menschen in fremde Gefilde verschleppt werden, können sie als invasive Neobiota das vorhandene Ökosystem aus dem Lot bringen, etwa wenn sie auf neue unangepasste Wirte treffen, die in Folge dramatisch zurückgehen oder sogar ganz verschwinden können.

So ist es beispielsweise ein aus Ostasien eingeschleppter Pilz, der das Eschentriebsterben und damit den Rückgang der heimischen Esche zu verantworten hat. Mit weitreichenden Folgen – "wenn eine Baumart im Wald fehlt, ändert sich die Waldstruktur und das hat auch Konsequenzen für andere Lebewesen, z.B. Insekten oder Vögel", erklärt das Forscherduo, das den eingeschleppten pathogenen Pilzen ein eigenes Forschungsprojekt widmet.  Eine andere pathogene Eipilzart (Aphanomyces astaci) aus Nordamerika verursacht die Krebspest, die das weitgehende Verschwinden heimischer Krebsarten zur Folge hatte. Während die nordamerikanischen Krebse durch die lange Koexistenz bereits zahlreiche Abwehrmechanismen entwickelt hatten, waren die europäischen Verwandten dem weitgereisten Pilz schutzlos ausgeliefert. In den Tropen wiederum ist der Chytridpilz (Batrachochytrium dendrobatidis), der unter anderem durch den Tierhandel verbreitet wurde, für das Aussterben ganzer Amphibienarten verantwortlich. 

Wer nicht parasitär ist, kann es noch werden

"Viele Pilze sind opportunistische Lebewesen", erklärt Essl, der 2022 zum Wissenschafter des Jahres gewählt wurde, weiter: "Die Grenzen zwischen ihren ökologischen Rollen ist oft fließend und viele Pilze können ihre Lebensweise im Laufe ihres Pilzdaseins ändern." Etwa können Pilze, die sich normalerweise von totem organischem Material ernähren, auch geschwächte Pflanzen – etwa durch lange Hitze- oder Dürreperioden – befallen. Und genau da liegt das Problem: "Man geht davon aus, dass zunehmende Extremwetterereignisse in Zeiten des Klimawandels die Schäden von invasiven pathogenen Pilzen noch zusätzlich begünstigen", ergänzt Anna Schertler.

Nicht sicher, mit welchem Pilz Sie es zu tun haben?

Wenn Sie im Wald Pilze sammeln, sich aber nicht sicher sind, welches Exemplar Sie tatsächlich in den Händen halten, ob es essbar oder womöglich ein seltener Fund ist – dann sind Sie bei der univie Pilzberatung genau richtig. Expert*innen der Universität Wien stehen einmal wöchentlich bei der Pilzbestimmung zur Seite, immer montags von 17:00 bis 18:30 Uhr im Department für Botanik und Biodiversitätsforschung (Rennweg 14, 1030 Wien). Informationen und weitere Pilzberatungsstellen

Ordnung ins Reich der Pilze bringen

Weltweit sind derzeit mehr als 150.000 Pilzarten beschrieben – und das ist nach Schätzungen von Mykolog*innen nur ein kleiner Bruchteil. Die wissenschaftlich eindeutige Zuordnung stellt oft ein Problem dar: Oftmals sind die gleichen Pilze unter anderen Namen, mit anderen Eigenschaften und anderen Ursprungsorten katalogisiert. "Die molekulargenetischen Methoden eröffnen neue Möglichkeiten, die Verbreitung eines Pilzes zu erfassen und die menschengemachte Ausbreitung zu rekonstruieren. Und mittels Big Data können die oft weit verstreuten Informationen gebündelt werden", so Schertler. In ihrer Arbeit stützt sie sich auf bereits publizierte Daten, die sie in Teamarbeit mit Franz Essl sammelt, standardisiert und in einer Datenbank für Anschlussforschung verwendet und auch zugänglich machen möchte.

Wenn pathogene Pilze erstmal verschleppt sind, gibt es bislang kein effektives Mittel gegen die weitere Ausbreitung. Im Falle des Getreideschwarzrostes (Puccinia graminis) – ein Pilz, der im Laufe der Geschichte immer wieder zu schweren Ernteausfällen führte – wurde der Sekundärwirt, die Berberitze, systematisch ausgerottet, um Epidemien entgegenzuwirken. In manchen Regionen ist der Strauch heutzutage kaum mehr in der Nähe von landwirtschaftlichen Flächen zu finden. Keine Lösung, aber "eine gewisse Risikoabschätzung", erhoffen sich Essl und Schertler von ihrer Datenbank. "Wenn wir zum Beispiel wissen, welcher Pilz auf welchen Organismus überspringt, können wir davon ausgehen, dass andere Arten, die stammesgeschichtlich mit dem Wirt verwandt sind und die im Einschleppungsgebiet des Pilzes vorkommen, ebenfalls einem Risiko unterliegen", erklärt Essl: "Oftmals sind es die kleinen Pilze, die große Auswirkungen auf unsere Umwelt haben. Unser Projekt macht es möglich, die Ursachen und Folgen der menschengemachten Ausbreitung von pathogenen Pilzen erstmals global zu bewerten." (hm) 

Neue Checkliste gebietsfremder Pilze Österreichs

Mykolog*innen und Ökolog*innen des Departments für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien veröffentlichten 2022 eine aktualisierte Checkliste gebietsfremder Pilze Österreichs. Insgesamt sind nun 375 Arten gelistet – das ist ein fast 5-facher Anstieg im Vergleich zur Erstversion der Liste 2002. Der Großteil der Arten sind Pflanzenpathogene, die höchstwahrscheinlich vor allem als blinde Passagiere auf infizierten Wirten eingeschleppt werden. Die meisten Arten stammen ursprünglich aus Nordamerika oder Asien, wobei der Ursprungsort vieler Arten auch gänzlich unbekannt ist. Zur Checkliste und dazugehörigen Fachpublikation
 

© Walter Skokanitsch
© Walter Skokanitsch
Franz Essl ist assoziierter Professor und Biodiversitätsforscher am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung. Er gilt als führender Experte in der Neobiota-Forschung.

Essl gehört zu den Forscher*innen, deren Arbeiten besonders häufig zitiert werden ("Highly Cited Scientists"), und ist auch im Leitungsteam des kürzlich neu gegründeten österreichischen Biodiversitätsrats tätig.

© Anna Schertler
© Anna Schertler
Anna Schertler ist Doktorandin am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung. In ihrem Dissertationsprojekt erforscht sie globale Verbreitungsmuster von eingeschleppten pathogenen Pilzen und die zugrundeliegenden Treiber.

Neben biologischen Invasionen liegt der Interessensfokus der Ökologin auf der Biogeographie, der Erforschung der Verbreitungsmuster von Arten.