Russischer Angriffskrieg

Wie geht es den geflüchteten Ukrainerinnen in Österreich?

13. Oktober 2022 Gastbeitrag von Sonja Dörfler-Bolt
Aktuell sind mehr als 80.000 Ukrainer*innen in Österreich registriert, ein Großteil von ihnen sind Frauen und minderjährige Kinder. Die Soziologin Sonja Dörfler-Bolt von der Universität Wien hat vertriebene ukrainische Frauen in Österreich befragt und beschreibt im Gastbeitrag, wie es ihnen geht und wie sie in die Zukunft blicken.
Die meisten Ukrainerinnen fühlen sich in Österreich sicher und willkommen, dennoch ist ihre allgemeine Lebenszufriedenheit im Vergleich zur österreichischen Bevölkerung deutlich geringer. © Алесь Усцінаў

Seit Beginn des Angriffkriegs Russland auf die Ukraine im Februar 2022 ist die Zahl der Vertriebenen, die in Österreich Zuflucht suchen, deutlich angestiegen. Aktuell sind mehr als 80.000 Ukrainer*innen in Österreich registriert, ein Großteil von ihnen sind Frauen und minderjährige Kinder.

Stimmungsbild der Ukrainerinnen in Wien

Der Österreichische Integrationsfonds beauftragte das Institut für Familienforschung der Universität Wien, das Stimmungsbild in Österreich lebender, vertriebener Frauen aus der Ukraine zu erheben. Ziel der Kurzstudie war es, die sozioökonomischen Hintergründe, aktuelle Lebenssituation, familiäre Netzwerke, das Wohlbefinden sowie die Pläne der Frauen zu erheben. Die aktuellen Ergebnisse der Studie zeigen, dass ihre allgemeine Lebenszufriedenheit vergleichsweise niedrig ist, sie sich allerdings sicher und willkommen in Österreich fühlen. Zudem sind sie hoch gebildet und sehr erwerbsorientiert.

Befragt wurden 833 Frauen zwischen 18 und 55 Jahren, die beim Österreichischen Integrationsfonds registriert waren oder einen Online-Deutschkurs absolviert haben. Die Einladung zur Teilnahme erfolgte per SMS, in den Kursen wurde ein Link zum Fragebogen eingeblendet. Der Erhebungszeitraum fiel in die zweite Maihälfte 2022. Ende Mai waren 5.323 aus der Ukraine vertriebene Personen beim Österreichischen Integrationsfonds registriert. Davon waren über zwei Drittel (70 %) Frauen im Alter von 18 bis 55 Jahren. Die Befragung wurde auf ukrainisch mittels standardisierter Online-Erhebung (CAWI) durchgeführt.

© Christine Geserick
© Christine Geserick
Sonja Dörfler-Bolt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Österreichischen Institut für Familienforschung an der Universität Wien (ÖIF) und forscht schwerpunktmäßig zu internationaler Familienpolitik, Geschlechterrollen, Familie und Migration, Vereinbarkeit von Familie und Erwerb sowie Verhaltensökonomie in der Familienpolitik.

Mehr Infos zur Studie

Sonja Dörfler-Bolt, Markus Kaindl und Andreas Baierl vom Institut für Familienforschung führten die Erhebungen durch und publizierten im Auftrag des Österreichischen Integrationsfonds die Studie "Aktuelle Situation und Zukunftsperspektiven von Ukraine-Vertriebenen in Österreich."

Lebensmittelpunkt Großstadt versus Land

Fast die Hälfte der befragten Frauen stammt aus der Zentralukraine (46 %), ein Drittel kommt aus Kiew und Umgebung und weitere 31 % aus der Ostukraine. Etwa die Hälfte ist verheiratet, ein Viertel ledig und 22 % sind geschieden. Verwitwet ist zum Erhebungszeitpunkt nur ein sehr kleiner Teil. 41 % der Frauen haben keine in Österreich lebenden Kinder unter 18 Jahren; etwas mehr als ein Drittel eines, 19 % zwei und 5 % drei oder mehr Kinder. Diese sind überwiegend im Volksschul- (36 %) bzw. vorschulischen Alter (22 %).

Mehr als die Hälfte der Frauen lebt in Österreich in einer Großstadt, ein Viertel in einer Kleinstadt und ein Fünftel in einer ländlichen Gemeinde. Die meisten Ukrainerinnen leben in Wien (42 %), mit einigem Abstand gefolgt von der Steiermark (15 %) und Niederösterreich (13 %).

Interesse an Berufsfeldern bei Arbeitssuchenden nach Berufserfahrung und Ausbildung

Institut für Familienforschung
Fast 90 Prozent der aus der Ukraine vertriebenen Frauen suchen zum Erhebungszeitpunkt in Österreich Arbeit. Dabei können sich die Befragten insbesondere vorstellen, in den Bereichen Büro (46 %), Soziales (43 %), Gastgewerbe (40 %), Bildung (29 %) oder Gesundheit (20 %) zu arbeiten. © Institut für Familienforschung

Hohes Bildungsniveau der Befragten

Das Bildungsniveau der Befragten ist grundsätzlich sehr hoch. Knapp über 70 Prozent der Frauen haben einen Hochschulabschluss, weitere elf Prozent haben ihre Hochschulausbildung (noch) nicht abgeschlossen; 13 Prozent haben die Sekundarstufe absolviert und nur ein Prozent hat keinen dieser Abschlüsse erreicht. Es zeigt sich hier eine hohe Selbstselektion der ukrainischen Population in Österreich bezüglich Bildung, denn unter Frauen im Alter von 25 bis 64 Jahren in der Ukraine weist nur ein Drittel einen tertiären Abschluss auf (State Statistics Ukraine 2022).

Die beruflichen Ausbildungen der vertriebenen Ukrainerinnen konzentrieren sich vor allem auf die Bereiche Bildung (21 %), Finanzwesen (19 %), Büro (16 %), Verwaltung (15 %), Handel (14 %) und Gesundheit (12 %). Die Erwerbsbereitschaft ist sehr hoch. Insgesamt besteht somit beachtliches Potenzial für einige Bereiche, in denen in Österreich Arbeitskräftemangel herrscht. Um dieses Potential zu nutzen, müssen allerdings entsprechenden Angebote wie Sprachkurse und Hilfe bei der Anerkennung von Ausbildungen bereitgestellt werden. 

Eher niedrige Lebenszufriedenheit

Die allgemeine Lebenszufriedenheit der vertriebenen Frauen ist verglichen mit der österreichischen Bevölkerung (Blüher u.a. 2021) gering: Auf einer Skala von Null bis Zehn schätzten nur rund fünf Prozent ihr derzeitiges Leben sehr positiv (9 oder 10) ein (bei Österreicher*innen 41 %). In ländlichen Gemeinden ist die Lebenszufriedenheit am höchsten und nimmt mit der Größe des Wohnortes tendenziell ab. Zudem ging es Befragten deutlich besser, wenn sie Deutschkenntnisse hatten und deutlich schlechter, wenn ihr*e Partner*in sich in der Ukraine aufhielt. Sicher, willkommen und gut umsorgt fühlten sich dennoch über 90 Prozent der Befragten in Österreich. Allerdings fühlt sich auch ein beachtlicher Teil von jeweils über 40 Prozent einsam und antriebslos. Einsamkeit, Antriebslosigkeit, Ängste und Ausgrenzungsgefühle traten bei jüngeren Befragten häufiger auf. Das hängt vermutlich damit zusammen, dass die Jüngeren ihre Peer Groups aus der Ukraine vermissen, die für diese Altersgruppe besonders wichtig sind. Zudem hat man in sehr jungem Alter seltener eine eigene Familie, wohingegen man sich aus der Herkunftsfamilie bereits weitgehend herausgelöst hat.

Trotzdem wollen die meisten Ukrainerinnen nicht zurück. Konkrete Rückkehrpläne in die Ukraine äußern nur 30 Prozent der Befragten. Vertriebene Frauen mit Partner*innen in der Ukraine haben deutlich häufiger solche Pläne (41 % vs. 22 %). Zudem wollen Frauen ohne Deutschkenntnisse eher zurückkehren als Frauen mit Deutschkenntnissen (31 % vs. 23 %). Heimweh wurde oft als Grund für Rückkehrpläne (57%) genannt. Die wichtigsten Voraussetzungen, unter denen vertriebene Frauen in die Ukraine zurück gehen würden, sind der Abzug der russischen Truppen (84 %) und Sicherheit in der Heimat (83 %).