Wie Hautzellen über ihre Nachbarn wachen
In Ihrer Forschung untersuchen Sie, wie sich Gewebestrukturen entwickeln. Warum interessiert Sie speziell die Haut?
Stephanie J. Ellis: Betrachtet man unsere Haut, dann könnte man glauben, alle Hautzellen seien ident. Dabei ähnelt die Haut eher einem Mosaik. Sie besteht aus kleinen Zellverbänden, die sich über den Körper verteilen wie die Flicken einer Patchwork-Decke. Die einzelnen Zellgruppen sind genetisch divers und können zum Beispiel Mutationen tragen, die zu Krebserkrankungen führen. Außerdem teilt sich das Hautgewebe ein Leben lang weiter und muss Anpassungen erlauben, etwa wenn in der Schwangerschaft der Bauchumfang zu- und wieder abnimmt. Für solche Umstände gibt es Mechanismen unter Hautzellen, die die korrekte Entwicklung und Gesundheit des Gewebes sicherstellen. Diese Prozesse zu verstehen, ist eine fundamentale Aufgabe für mich.
Welche Wissenslücke wollen Sie mit dem START-Projekt schließen?
Ellis: Wir wissen, dass Hautzellen in einem ständigen Wettbewerb stehen, in dem sich entscheidet, wer überlebt und wer nicht. Zunächst dachte man, es handle sich um eine Abwandlung von Darwins "Survival of the Fittest" in kleinerem Maßstab. Mittlerweile gehen wir davon aus, dass es sich um einen aktiven Mechanismus handelt. Unsere Hypothese ist, dass Hautzellen die Fitness ihrer Nachbarn wahrnehmen können und die Selektion entsprechend beeinflussen. Erste Experimente meiner Forschungsgruppe zeigen, dass dieser Mechanismus nur dann greift, wenn zwei Zellen direkt aneinandergrenzen. Davon ausgehend möchte ich in meinem START-Projekt drei zentrale Fragen beantworten: Welche Aspekte sind für die Fitness einer Zelle entscheidend? Wie können Zellen den Gesundheitsstatus ihrer Nachbarn feststellen? Und wie werden "unfitte" Zellen eliminiert, ohne die Struktur des Gewebes zu zerstören?
START-Projekt von Stephanie J. Ellis
Das Projekt "Understanding Cellular Community Dynamics in Mosaic Tissues" versucht zu klären, weshalb manche Zellen eines Zellverbandes untergehen, während andere überleben. Selektion auf zellulärer Ebene ist für die Entwicklung und Erhaltung von Geweben wesentlich. An der Haut als Modellorgan will Ellis untersuchen, nach welchen Prinzipien evolutionär "fitte" Zellen von ihren weniger geeigneten Nachbarn unterschieden werden. Dazu greift sie auf bahnbrechende neue Technologien zurück.
Welche ersten Schritte planen Sie zur Beantwortung dieser Fragen?
Ellis: Das erste Ziel ist, molekulare Regulatoren der Fitness zu finden. Dafür setzen wir auf "räumliche Transkriptomik", eine neue Technologie in unserem Feld. Mit ihr können wir messen, welche Gene in einzelnen Zellen verwendet werden, ohne das Gewebe zu zerstören. Das gibt uns ein Abbild von den Zellen einer Nachbarschaft. Wir können zum Beispiel untersuchen, was in einer unfitten Zelle geschieht, und nach Unterschieden zu ihren fitteren Nachbarn suchen. Die räumliche Transkriptomik ist in unserem Feld bahnbrechend, aber auch so neu, dass ihre Anwendung bislang recht unerforscht ist. Ein Teil des Projekts wird daher sein, die Methode für unsere Fragestellung aufzusetzen. Parallel werden wir mit fluoreszierenden Markern und Mikroskopie arbeiten. Damit wollen wir herausfinden, ob biomechanische Eigenschaften einer Zelle ihre Fitness beeinflussen. Zum Beispiel, ob Zellen aussortiert werden, wenn sie weniger gut auf ihrem Untergrund haften.
Welche Bedeutung hat der START-Preis für Ihre Forschungstätigkeit?
Ellis: Der START-Preis spielt eine enorme Rolle für meine Forschung. Die geplanten Experimente sind sehr kostspielig und wären ohne die Förderung definitiv nicht durchführbar. Was ich vorhabe, ist zwar mit einem großen Risiko verbunden, aber auch mit einem hohen Lohn. Der START-Preis gibt mir die Freiheit, dieses Risiko einzugehen.
Was motiviert Sie in Ihrem Forschungsalltag?
Ellis: Natürlich treibt mich die Aussicht auf neue Entdeckungen an. Aber die größte Motivation ist es, solche Durchbrüche mit anderen zu teilen. Es ist sehr erfüllend, mit so vielen Menschen zusammenzuarbeiten, die ebenfalls von der Biologie gefesselt sind. Gemeinsam zu forschen, Ideen auszutauschen und Rätsel zu lösen, ist besonders motivierend für mich. Noch mehr Freude bereitet es mir, seit ich als Gruppenleiterin mein eigenes Team aufbaue und andere für die Frage begeistern kann, wie die Gewebe unseres Körpers entstehen.
Gibt es Vorbilder, die Sie auf Ihrem Weg begleitet haben?
Ellis: Es gab eine Reihe an passionierten und enthusiastischen Menschen, die mich initial für das Feld begeistert haben und auch weiterhin in meiner Forschung unterstützen. Aber ein wirkliches Vorbild zu finden, ist als Frau in unserem Bereich eher schwierig. Zwar arbeiten mehr Frauen in der Wissenschaft als früher, aber in Wahrheit sind es immer noch zu wenige. Wir sollten diesem Umstand mehr Sichtbarkeit einräumen und zeigen, dass es auch anders geht.
Mehr über das START-Programm des FWF
Das Karriereprogramm des Wissenschaftsfonds FWF richtet sich an junge Spitzenforschende, denen die Möglichkeit gegeben wird, auf längere Sicht und finanziell weitgehend abgesichert ihre Forschungen zu planen. Der FWF-START-Preis ist mit bis zu 1,2 Millionen Euro dotiert und zählt neben dem FWF-Wittgenstein-Preis zur prestigeträchtigsten und höchstdotierten wissenschaftlichen Auszeichnung Österreichs.
Die START-Preisträger*innen der Universität Wien 2023 sind die Umweltmikrobiologin Barbara Bayer, die Zell- und Entwicklungsbiologin Stephanie J. Ellis, der Mathematiker Clemens Sämann und der Physiker Marcus Sperling.
Das Interview erschien ursprünglich auf scilog, dem Magazin des Wissenschaftsfonds FWF.